# taz.de -- Prozess gegen Brasiliens Ex-Präsidenten: Kein Freispruch für Lula
> Ein Berufungsgericht bestätigt die Verurteilung von Lula da Silva wegen
> Korruption. Die Spaltung des Landes im Wahljahr vertieft sich.
IMG Bild: Die Präsidentschaftskandidatur des Ex-Präsidenten steht erst einmal in den Sternen
Rio de Janeiro taz | Zehntausende Demonstranten und die Belagerung des
Gerichtsgebäudes im südbrasilianischen Porto Alegre konnten die Justiz
nicht umstimmen: Einstimmig bestätigten die drei Berufungsrichter das
erstinstanzliche Korruptionsurteil gegen Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da
Silva. Statt dem Antrag der Verteidigung auf Freispruch stattzugeben
folgten sie der Staatsanwaltschaft, die die Verurteilung zu neuneinhalb
Jahren Haft wegen der Annahme von Bestechungsgeld und Geldwäsche für zu
milde hielt.
Nun muss Lula für zwölf Jahre und einen Monat hinter Gitter – allerdings
erst, wenn alle Berufungsoptionen der Verteidigung ausgeschöpft sind, wie
das Gericht betonte. Und Lulas erneute Kandidatur für die
Präsidentschaftswahl im Oktober steht erst einmal in den Sternen.
Lulas Arbeiterpartei PT kündigte dennoch unmittelbar nach der
Urteilsverkündung an, dass die Kandidatur von Lula aufrechterhalten werde.
„Es gibt keinen Plan B.“ Es gelte, die Demokratie gegen eine Justiz zu
verteidigen, die den konservativen Kräften die Stange halte und den
Brasilianern die Option, für Lula zu stimmen, nehmen wolle. Immerhin liegt
der 72-Jährige in aktuellen Umfragen weit vor all seinen Mitbewerbern.
„Jetzt will ich Kandidat für die Präsidentschaft sein“, sagte Lula am
Mittwochabend trotzig vor tausenden Anhängern in der Metropole São Paulo.
Doch das einstimmige Berufungsurteil wird dieses Vorhaben erschweren. Die
Anwälte können jetzt nur Verfahrensfehler geltend machen, nicht aber das
Urteil selbst anfechten. Es bleibt aber noch der Weg vor das Oberste
Gericht. In der Zwischenzeit könnte die Frist zur Einschreibung ins
Wahlregister ablaufen. Als in zweiter Instanz zu einer hohen Haftstrafe
Verurteilter ist Lula da Silvas Kandidatur nach heutiger Rechtslage
durchaus fraglich.
Der Prozess wurde von einem großen Sicherheitsaufgebot begleitet. Den
Demonstranten gelang es nicht, in die Sperrzone im Stadtzentrum zu
gelangen. Auch in anderen Landesteilen kam es zu Demonstrationen. Anhänger
von Lula demonstrierten in fast allen großen Städten des Landes. In
geringerer Zahl kam es auch zu Kundgebungen, auf denen oft grün-geld
geschmückte Demonstranten lautstark die sofortige Inhaftierung des
Ex-Präsidenten forderten.
## Vorwurf gegen die Justiz
Wie zur Zeit [1][der umstrittenen Amtsenthebung von Lulas Nachfolgerin
Dilma Rousseff] stehen sich in Brasilien zwei politische Lager
unversöhnlich gegenüber. Weder die verstrichene Zeit seit August 2016 noch
die leidvolle Erfahrung von Wirtschaftskrise und zunehmender Gewalt im
ganzen Land konnte die Gräben verkleinern.
Lulas Anwälte werfen der Justiz vor, im Einvernehmen mit der konservativen
Regierung einen „politischen Prozess zu inszenieren, um eine Rückkehr von
Lulas Arbeiterpartei PT an die Macht zu verhindern“. Es gehe ihnen nicht um
die Bekämpfung von Korruption, sondern um Politik. „Es gab keinen einzigen
Beweis. Nur die fragwürdige Kronzeugenaussage eines Mitangeklagten“,
empörte sich Anwalt Cristiano Zanin.
Auch viele Juristen im Ausland verfolgen das Tauziehen vor Gericht mit
Sorge. Die ehemalige Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin kritisiert
[2][in einem Beitrag] für das IPG-Journal eine „erhebliche politisch
bedingte Schlagseite“ des Verfahrens: „Die offen sichtbare Korruption etwa
durch den jetzigen Staatspräsidenten Temer wie auch große Teile seiner –
konservativen – Gefolgschaft in Abgeordnetenhaus und Senat scheint die
Gerichte und die politische Machtelite Brasiliens nicht zu stören.“ Zudem
verweist Däubler-Gmelin auf „rechtsstaatswidrige Vorgehensweise der Justiz
und fehlende Unvoreingenommenheit von Richtern“. Kritikpunkte, die Lulas
Anwälte auch dem UN-Hochkommissar für Menschenrechte vorlegten.
Der für den Fall zuständige Richter João Pedro Gebran Neto, der ganze
dreieinhalb Stunden lang seine live im Fernsehen übertragene
Urteilsbegründung verlas, argumentiert mit der Objektivität der Justiz.
„Wir richten nicht über einen Namen oder eine Persönlichkeit, sondern über
Fakten.“ Auch die vielzitierten politischen Implikationen dürften die
Entscheidung des Gerichts nicht beeinflussen, erklärte Richter Gebran Neto.
Er bedauerte allerdings, dass ausgerechnet ein Ex-Präsident ein Verbrechen
beging und deswegen verurteilt wird.
25 Jan 2018
## LINKS
DIR [1] /Absetzung-von-Dilma-Rousseff/!5332785
DIR [2] http://www.ipg-journal.de/regionen/lateinamerika/artikel/detail/einaeugige-justiz-schwerwiegende-verfahrensverstoesse-2537/
## AUTOREN
DIR Andreas Behn
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