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       # taz.de -- Rechtsextremismus in Polen: Neonazis feiern Hitler
       
       > Ein Bericht mit versteckter Kamera zeigt die Huldigung Adolf Hitlers.
       > Zwar gab es erste Verhaftungen. Doch Polen wird insgesamt immer brauner.
       
   IMG Bild: Seit November 2017 ist nicht mehr Bialystok, sondern Warschau Europas „Hauptstadt des Rassismus“
       
       Warschau taz | „Sieg Heil“-brüllende Polen in Wehrmachts- und SS-Uniformen,
       ein Altar mit großem Hitlerporträt und seitlich aufgepflanzten
       Hakenkreuz-Fahnen – das flimmerte am Wochenende in verwackelten Bildern
       über die Fernsehschirme Polens. Ein Journalistenteam des Privatsenders
       TVN24 begleitete monatelang polnische Hitler-Anhänger mit versteckter
       Kamera.
       
       Die Zuschauer waren entsetzt. Denn während neofaschistische Aufmärsche im
       blutroten Qualm von Rauchraketen und rassistische Parolen wie „Polen wird
       weiß sein oder entvölkert“ längst zum Alltag Polens gehören, gab es doch
       bislang keine polnische Geburtstagsfeier und Huldigung für den Massenmörder
       Adolf Hitler.
       
       Allein in Polen fielen ihm knapp sechs Millionen Menschen zum Opfer – 90
       Prozent aller polnischer Juden und rund zehn Prozent der christlichen
       Polen. Am Montag und Dienstag verhaftete die Polizei erste Mitglieder des
       bislang völlig legal auftretenden Vereins „Stolz und Moderne“.
       
       Da die polnischen Neonazis das Horst-Wessel-Lied, die in Deutschland
       verbotene Nazi-Hymne, in einem abgelegenen Waldstück anstimmten und ihre
       Party „Auf Hitler – drei Mal Heil, Heil, Heil!“ in einem großen Zelt
       feierten, zu dem kein Außenstehender Zutritt hatte, wird die Klage wegen
       Propagierung faschistischer oder kommunistischer Ideologien wohl im Sande
       verlaufen.
       
       Bislang schaute Polens politische Elite auch eher wohlwollend auf Exzesse
       wie die Verbrennung einer Judenpuppe mit langen Schläfenlocken und
       schwarzem Kaftan auf dem Breslauer Rathausplatz. Als ein Richter ein
       Exempel statuieren und den Täter, der das nächtliche Spektakel vor
       hunderten Anhängern des Nationalradikalen Lager (ONR) von langer Hand
       vorbereitet hatte, zu einer empfindlichen Haftstrafe verurteilen wollte,
       wurde er von ganz oben zurückgepfiffen. Am Ende bekam Piotr Rybak drei
       Monate Haft, die er mit elektronischen Fussfesseln zu Hause absitzen durfte
       – stundenweise, so dass er in seiner Freizeit wieder an antisemitischen und
       ausländerfeindlichen Demonstrationen teilnehmen konnte. Ein kürzlich
       aufgetauchtes Video zeigt den Antisemiten Rybak neben dem heutigen
       Justizminister Zbigniew Ziobro und dessen Stellvertreter Patryk Jaki,
       Fähnchen schwingend und die Nationalhymne Polens singend.
       
       ## Niederlage für Polens Rechtssystem
       
       Auch in Bialystok, das bis vor kurzem als „Polens Hauptstadt des Rassismus“
       galt, endete ein groß angelegtes Ermittlungsverfahren mit einer blamablen
       Niederlage für Polens Rechtssystem. Der Staatsanwalt, der gegen rund 100
       rechtsradikale Hooligans ermittelte, wurde von dem Fall abgezogen und
       degradiert. Später wurde weder der katholische Hetzprediger Jacek Miedlar
       zur Rechenschaft gezogen, die militärisch geschulte Schlägertruppe der ONR,
       die Falanga, deren Anhänger in Bialystok gerne „Juden in den Bäumen“ hängen
       sehen wollten, noch die Brandstifter, die sich auf Ausländerwohnungen
       spezialisiert hatten.
       
       Den schmachvollen Titel „Europas Hauptstadt des Rassismus“ trägt [1][seit
       dem 11. November 2017 Polens Hauptstadt Warschau]. Zwischen 60.000 und
       100.000 Polen schlossen sich dem „Unabhängigkeitsmarsch“ an, der seit
       mehreren Jahren von drei rechtsradikalen Splitterparteien organisiert wird.
       Viele junge Leute fanden nichts dabei, mit ihren Kindern im blutroten Qualm
       von Rauchraketen mitzulaufen, hinter faschistischen Keltenkreuzen, die das
       in Polen verbotene Hakenkreuz ersetzen, oder hinter Parolen wie „Weißes
       Europa!“ und „Ganz Polen singt: Verpiss Dich, Flüchtling“.
       
       Als weltweit Medien über den europaweit größten Neofaschistenmarsch
       berichteten, kommentierte dies der damalige Innenminister Mariusz
       Blaszczak: „Das war ein schöner Anblick. Wir sind stolz darauf, dass so
       viele Polen an den Feiern zur Wiedergewinnung der Unabhängigkeit Polens
       teilgenommen haben“. Befragt, wie er die zahlreichen Transparente mit
       rechtsradikalen Parolen bewerte, sagte er: „Ich habe keine gesehen!“
       
       ## Nur die Spitze des Eisbergs
       
       Dass heute auf den Titelseiten der rechten Presse in Polen immer wieder
       Angela Merkel als Hitler zu sehen ist, EU-Politiker und Oppositionelle in
       diffamierenden Wehrmacht-Uniformen, geht zu einem guten Teil auf Jaroslaw
       Kaczynski zurück, den Parteichef der nationalpopulistischen
       Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS). Im Wahlkampf 2015 hatte er
       Angst vor Ausländern und insbesondere muslimischen Flüchtlingen geschürt:
       „Cholera auf den griechischen Inseln, Ruhr in Wien, alle Arten von
       Parasiten und Bakterien, die in den Organismen dieser Menschen harmlos
       sind, können hier gefährlich werden“, sagte er auf einer Wahlveranstaltung.
       Kurz zuvor hatte er behauptet, dass Flüchtlinge in Europa Scharia-Zonen
       einrichten und in Kirchen pinkeln würden.
       
       In Polen ist diese Art der Propaganda nicht unbekannt. In der
       Okkupationszeit warnten die deutschen Besatzer christliche Polen, Juden zu
       helfen oder auch nur Kontakt zu ihnen in den „Seuchensperrgebieten“
       aufzunehmen, wie die Ghettos offiziell hießen. Die Juden trügen Krankheiten
       in sich, die ihnen selbst nicht schaden würden, für alle anderen aber den
       sicheren Tod bedeuteten. Die Angst vor den „Parasiten und Bazillen“ hat
       nicht nur Parolen wie „Polen den Polen“ und „Weißes Europa“ Auftrieb
       gegeben, sondern die einstige Hilfsbereitschaft der Polen in Angst und Hass
       gegenüber Ausländern verwandelt. Dass da eine Handvoll polnischer Neonazis
       den Geburtstag Hitlers feiern, ist nur die Spitze des Eisberg. Darunter ist
       Polen in den letzten Jahren sehr braun geworden.
       
       25 Jan 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Grossdemo-zu-Polens-Unabhaengigkeitstag/!5462065
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gabriele Lesser
       
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