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       # taz.de -- Australische Soul-Sängerin Nai Palm: Pop mit Ureinwohnern
       
       > Die Songs von Nai Palms „Needle Paw“ sind inspiriert von bulgarischen
       > Frauenchören, türkischem Psychedelic und Aborigines-Klagegesang.
       
   IMG Bild: Ihr erstes Tattoo ragt vom Mundwinkel zum Kieferknochen: Sängern Nai Palm
       
       Am 10. Januar 2016 fuhr die Australierin Naomi Saalfield mit Freundinnen an
       die Pazifikküste. Im Radio wurden damals viele Songs von David Bowie
       gespielt. Aus gutem Grund: der Popstar war in der Nacht zuvor verstorben.
       Saalfield und ihre Freundinnen genehmigten sich daher einen Rum. Nahe der
       Küste rostete ein Schiffswrack vor sich hin. Noch am selben Tag ließ sich
       Naomi Saalfield Bowies Augen auf die Schulter tätowieren. Und bald coverte
       sie David Bowies Song „Blackstar“.
       
       Als Künstlerin nennt sich Naomi Saalfield: Nai Palm. Das Bowie-Cover hat es
       als Ingredienz ihres Triptychons „Blackstar/Pyramid Song/Breathing
       Underwater“ nun auf ihr Debütsoloalbum „Needle Paw“ geschafft – mit dem
       Segen von Bowies Hinterbliebenen. Wer Nai Palm als Sängerin des Melbourner
       Bombastpop-Quartetts Hia-tus Kaiyote kennt, wird überrascht sein, wie
       reduziert Nai Palms eigene Songs klingen.
       
       Und wie viel überwältigender ihre warmherzige Stimme sich beim Hören
       anschmiegt, wenn man ihr den Raum lässt. Mitunter erinnert sie an Beyoncé,
       nur eine Oktave tiefer. Einige Kaiyote-Songs sind nun in Nai Palms Fassung
       neu zu entdecken. „Ich wollte den Hörern intimere Versionen anbieten“, sagt
       Nai Palm beim Gespräch. „Rau und nackt.“
       
       Songs von Kaiyote wurden schon von zahlreichen Rapstars gesampelt: Drake,
       Kendrick Lamar und Anderson .Paak etwa. Nai Palms Musik klingt nun auf
       wundersame Weise nach R&B, obwohl sie gitarrenlastig ist und Beats nur eine
       Nebenrolle spielen. „Ich sehe mich nicht als R&B-Künstlerin“, sagt Nai
       Palm. „Ich mache auch Referenzen an bulgarische Frauenchöre und
       Psychedelic-Rock des türkischen Künstlers Erkin Koray.“ Am Beginn und am
       Ende ihres Albums hört man Jason Gurruwiwi, einen Zeremonienmeister der
       Aborigines. Gurriwiwi singt ansonsten bei Beerdigungen.
       
       Prominentester Fan von Nai Palm und ihrer Band war Prince. Auf Twitter
       postete er 2013 den Kaiyote-Song „Nakamarra“. Er fragte die Band, ob sie
       nicht in seinem Studio Paisley Park spielen wollen. Das wäre allerdings mit
       ihrem Konzert in Chicago kollidiert. Zwei ähnliche Fälle gab’s später noch
       mal. Beim dritten Mal kam Prince persönlich aufs Konzert. „Er saß neben der
       Bühne“, erinnert sich Nai Palm, „mit Sonnenbrille.“ Nach dem Tod von Prince
       habe sie von einer seiner Freundinnen erfahren, dass sein Lieblingssong
       „Borderline“ von Kaiyote war. „Ausgerechnet die Komposition, die mir immer
       schon am liebsten war“, sagt Nai Palm. Auch dieser Song findet sich in
       einer reduzierten Fassung auf „Needle Paw“.
       
       ## Statement gegen das Schweigen
       
       In Australien wurde ihr Soloalbum am vergangenen Freitag veröffentlicht,
       dem Nationalfeiertag. Das sei „ein rassistischer Feiertag“, findet Nai
       Palm. „Man begeht damit die europäische Besiedelung Australiens, die mit
       etlichen Massakern an den Aborigines einherging.“ Deshalb setzt sich die
       Künstlerin gemeinsam mit Aborigine-Aktivist*innen dafür ein, den Umgang
       mit jenem Tag zu ändern. „In der Schule wird die Geschichte der Aborigines
       ausgespart.“
       
       Dass auf Nai Palms Album nun ein Aborigines-Zeronienmeister das erste und
       das letzte Wort hat, ist ein Statement gegen dieses Schweigen. „Ich will
       nicht aktionistisch sein mit meiner Musik. Nur etwas ins Licht rücken und
       sagen: Es gibt hier etwas Schönes, das viel zu selten beachtet wird.“ Es
       liege auch in der Verantwortung weißer Australier, Aborigines-Kultur zu
       zelebrieren.
       
       Nai Palm stört es nicht, als Künstlerin anzuecken, wenn etwas für sie viel
       Bedeutung trägt. Das Tattoo der Bowie-Augen ist nur eines von Dutzenden
       auf ihrem Körper. Ihr erstes Tattoo war eine Linie vom Mundwinkel zum
       Kieferknochen quer über ihr Gesicht. Die Überzeichnung eines Krähenbisses.
       Von einem jungen Vogel, den sie aufzog und wieder freiließ. Da war sie 15,
       vier Jahre nachdem ihre Mutter starb. „Viele meinten, ich ruiniere mir
       damit mein Leben“, erinnert sie sich. „Aber mir hat das geholfen, meine
       Stärken zu festigen – und zu feiern.“
       
       31 Jan 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Hochgesand
       
       ## TAGS
       
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