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       # taz.de -- Kunstevent in Hildesheim: Die uneitle Kunst
       
       > Lichtkunst ist niedrigschwellig – auch Laien können sich daran erfreuen.
       > Bei der Lichtkunstbiennale „Lichtungen“ in Hildesheim hat das
       > funktioniert.
       
   IMG Bild: „Origin“ von Philipp Mohr und Julian Mandernach mit dem von einem Besucher bedienten Theremin
       
       Ausnahmezustand im mittelgroßen Städtchen Hildesheim. Wie alle zwei Jahre
       stellen Künstler*innen aus der ganzen Welt ihre Lichtkunst im Rahmen des
       Festivals „Lichtungen“ verstreut in der Stadt aus, draußen und drinnen.
       Neben dem öffentlichen Raum verwandeln sich viele Kirchen in
       Ausstellungsräume – und davon hat die Stadt reichlich. Der Dom und die
       Michaeliskirche gehören sogar zum Unesco-Weltkulturerbe.
       
       Chefkuratorin Bettina Pelz ist zufrieden: „Das diesjährige Thema sind die
       Metaphern des Lichts. Lichtphänomene als Sinnbilder sind in vielen Kulturen
       und Sprachen präsent. Dem gehen wir in diesem Ausstellungsprojekt nach.“
       Die Gruppe Xenorama beispielsweise, die sich in der Lichtkunst-Szene
       bereits einen Namen in Häuserfassaden-Mapping gemacht hat, beleuchten den
       Innenraum der St.-Andreas-Kirche.
       
       Betritt man das Kirchenschiff, taucht man in eine Lichterflut ein, die
       Wände und Decken bespielt und die räumlichen Grenzen vergessen lässt.
       Farbverläufe vollziehen die architektonischen Details nach, bauen sich auf
       und verschwinden wieder.
       
       Herausragend ist auch das Objekt des Lichtkünstlers Philipp Mohr und des
       Komponisten Julian Mandernach, das skulptural im Dommuseum platziert ist.
       Wie eine galaktische Supernova scheinen einzelne Sternschnuppen aus einem
       zentralen Mittelpunkt heraus in alle Richtungen nach außen zu explodieren.
       Diese Sternschnuppen sind auf Stahlfäden aufgespannte, ungefähr ellenlange
       weiße Stangen, die durch zwei Projektoren angestrahlt werden.
       
       ## Handlungsspielräume erkunden
       
       „Origin“, wie Mohr das Objekt genannt hat, ist nicht nur eine Skulptur,
       sondern eine interaktive Installation. „Über das Theremin, ein altes
       elektrisches Instrument, kann das Objekt gesteuert werden“, erklärt Mohr,
       „die Zuschauer bestimmen, in welchem wechselnden Licht die Stäbe
       erstrahlen. Sie können so auf visuelle und auditive Art und Weise die
       Auswirkungen ihres eigenen Handels und ihrer eigenen Bewegung erfahren.“
       
       Die einzige nichtchristliche religiöse Kooperationspartnerin ist die
       Selimiye-Moschee. „Gerne wollten wir auch mit dem jüdischen Friedhof
       zusammenarbeiten. Das ging leider aus Sicherheitsgründen nicht“, sagt
       Bettina Pelz. In der Moschee und in der St.-Mauritius-Kirche stellen die
       Künstlerinnen Houda Ghorbel und Wadi Mhiri aus. Feine arabische
       Schriftzeichen in fast übersinnlich leuchtender grünlicher Schrift ziehen
       sich durch die Räume. „Es war uns wichtig, dass wir auch den
       interreligiösen Dialog fördern“, sagt Jule Kriesel aus dem Kurationsteam.
       
       Dass die Selimiye-Moschee zum türkischen Verband Ditib gehört, der dem
       türkischen staatlichen Präsidium für religiöse Angelegenheiten untersteht,
       wird vom Team der „Lichtungen“ ausgeklammert. Das wirft die alte Frage auf,
       die sich in der Praxis von Kooperation und Bündnisarbeit immer stellt: Über
       welche Differenzen darf man hinwegsehen, um den Dialog zu fördern? Wen
       integriert man, wer wird durch die Integration des einen ausgeschlossen?
       
       ## Ohne Sponsorengeld keine Kunst
       
       Finanzielle Kooperationspartnerin sind die Evi-Stadtwerke, die die Region
       Hildesheim mit Energie versorgen. „Die Evi stellen ein Drittel der
       Finanzierung“, sagt Chefkuratorin Bettina Pelz, „ohne die Evi wäre aus dem
       Projekt kein wiederkehrendes Ausstellungsformat geworden.“ Auch hier tritt
       die prekäre Grundfinanzierung von Kunst wieder zutage: Die öffentliche Hand
       fördert Kunst zu wenig. Wer etwas bewegen möchte, ist gleichsam gezwungen,
       sich von privaten Sponsoren und Konzernen abhängig zu machen.
       
       Im Gegensatz zur abgeschotteten „Hochkultur“ allerdings wird bei den
       „Lichtungen“ die Kunst ortsspezifisch in den alltäglichen Stadtraum
       gebracht und somit vergesellschaftet. Philipp Mohr macht besonders die
       Perspektive der örtlichen wie intellektuellen Zugänglichkeit stark: „Kunst
       steht nie im luftleeren Raum. Meist ist sie aber sehr elitär und
       unzugänglich. Lichtkunst ist niedrigschwellig. Man kann auch Freude daran
       haben, ohne einen Master in Kunstwissenschaft zu haben.“
       
       Das scheint zu funktionieren. Bereits am ersten Abend ist ein Großteil der
       Stadtgesellschaft auf den Beinen, Pelz spricht von bis zu 5.000
       Besucher*innen. „Die Menschen treten in Dialog, miteinander und mit den
       Kunstwerken. Es ist eine der Besonderheiten der Erfahrung der
       künstlerischen Arbeit mit Licht, sie regt das Sehen an und öffnet neue
       Perspektiven.“ Der Eintritt ist frei, eine weitere abgebaute Hürde. „Ich
       gehe nie ins Museum“, sagt eine ältere Besucherin, „aber das hier ist in
       Highlight.“ Wie recht sie hat.
       
       30 Jan 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Daphne Weber
       
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