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       # taz.de -- Prostituiertenschutzgesetz in Sachsen: Massage nur noch mit Hurenausweis
       
       > Auf Länderebene zeigen sich die Fehler des Prostituiertenschutzgesetzes.
       > Es treibt nicht nur Sexarbeiter*innen in die Illegalität.
       
   IMG Bild: Erotikmassage: Für die Behörden in Dresden spielt es keine Rolle, ob Spirituelles dabei eine Rolle spielt
       
       DRESDEN taz | Wer in Dresden derzeit auf der Suche nach einer erotischen
       Massage die Seite von „Sinnesart“ anklickt, wird unter dem Button „AnuKan“
       zu einer Petition geleitet. Ein Hilferuf auch im Namen der kleineren
       Studios, die Dienstleistungen in der gar nicht so grauen Zone zwischen
       Wellness, Esoterik und Erotik anbieten.
       
       Das sogenannte Prostitutiertenschutzgesetz, seit Sommer 2017 in Kraft,
       erklärt sie nämlich zu Prostituierten. Die damit verbundenen neuen Auflagen
       würden das Ende der Massagestudios nicht nur in Dresden bedeuten, kämen
       Länder-Ausführungsgesetze wie das seit Jahresbeginn in Sachsen vorliegende
       zur Wirkung. Nach Einschätzung von Interessenvertretungen wie „Sex Workers
       Solidarity“ in Dresden oder „Hydra“ in Berlin schützt dieses Gesetz
       niemanden besser, sondern treibt besonders Masseusen und nebenberufliche
       Prostituierte in die Illegalität.
       
       „Aus einem anzeigepflichtigen Gewerbe wird ein genehmigungspflichtiges“,
       bringt es Sinnesart-Unternehmerin Katrin Laux auf den Punkt. Alle, die im
       weitesten Sinn sexuelle Dienstleistungen mit Körperkontakt erbringen,
       müssen sich bei den kommunalen Behörden anmelden und einer Pflichtberatung
       und einem Gesundheitscheck unterziehen. Danach erhalten sie einen in der
       Branche so genannten Hurenausweis. Auch Männer, in Dresden nach Schätzungen
       der Stadt etwa 100, neben etwa 500 Frauen.
       
       Für Massagestudios und die in Dresden unter etwa 150 Adressen betriebene
       Wohnungsprostitution gilt nun wie in anderen Städten auch die
       Sperrbezirksverordnung, deren Fassung von 1991 hier besonders rigide
       ausfällt. Danach ist ein Mindestabstand von 200 Metern zu sozialen
       Einrichtungen wie Kindergärten, Altenheimen oder Friedhöfen und Kirchen
       einzuhalten.
       
       „Allein diese Klausel würde schon das Aus für unsere drei Studios und alle
       anderen Kollegen bedeuten“, befürchtet Katrin Laux. Im Sperrbereich des
       Hauptsitzes von Sinnesart beispielsweise liegt pikanterweise der linke
       Jugendklub Roter Baum. Die gelernte Fotografin Laux war in der späten DDR
       am Theater beschäftigt, begann dann selbst als Masseuse zu arbeiten und
       baute zu Beginn der 2000er Jahre ein eigenes Unternehmen auf. Typisch für
       den Osten seien die über die Stadt verteilten sehr individuellen Studios
       oder Wohnungen, sagt sie. Das Bedürfnis nach passiven Kuschelmassagen und
       persönlicher Ansprache sei hier ausgeprägter. Große kasernierte Laufhäuser
       an den Stadträndern sind im Osten deutlich seltener zu finden als im
       Westen.
       
       ## „Komplett verfehlt“
       
       Empfang und Atmosphäre in den drei Sinnesart-Studios sind denn auch
       keineswegs billig, sondern eher spirituell angehaucht. Masseusen und
       Masseure müssen eine Ausbildung durchlaufen, am intensivsten für
       Tantra-Rituale. Sie bringen ihre favorisierte Musik und Accessoires mit.
       Die Kundenpreise bewegen sich zwischen 70 Euro für die einfache Stunde bis
       zu 310 Euro in der VIP-Lounge. Berührungen sind erlaubt, nicht aber
       Geschlechtsverkehr. Letzteres aber ist für die gesetzliche Definition einer
       sexuellen Dienstleistung irrelevant.
       
       „Bisher lief das gut“, resümiert Katrin Laux und spricht von einem
       Vertrauensverhältnis zum Ordnungs- und Gesundheitsamt. Welche Behörde
       künftig für diese Szene zuständig sein wird, ist noch unklar. Für absurd
       hält sie es, dass ihr Unternehmen nun ausgerechnet für seinen gehobenen
       Anspruch bestraft werde. Ein früher geachteter Beruf werde nun aufs Neue
       diskriminiert.
       
       Dabei galt das von Rot-Grün 2002 beschlossene Prostituiertengesetz als
       fortschrittlich, weil es Prostitution nicht mehr als sittenwidrig erklärte
       und Rechtssicherheit schaffte. Das auf Betreiben der ehemaligen
       Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) von der vorigen Groko
       verabschiedete sogenannte Schutzgesetz aber nennt Anna Hoffmann vom
       Berliner „Hydra“-Verein eine „Katastrophe für die gesamte Branche“. Die
       Berufsgruppe werde auf einen Opferstatus festgelegt, sagte sie in einem
       Diskussionsbeitrag für den MDR-Hörfunk. Die Arbeitsbedingungen
       verschlechterten sich, wie der Berliner Beratungsverein bereits feststellt.
       
       Die sächsische Grünen-Landtagsabgeordnete Katja Meier bezeichnet die im
       Gesetzestitel formulierte Absicht des Prostituiertenschutzes als „komplett
       verfehlt“. Sie bezieht sich speziell auf das sächsische Ausführungsgesetz,
       dessen Entwurf am 9. Februar im Sozialausschuss des Landtags von
       Sachverständigen überprüft werden soll.
       
       ## Spürbarer Rückgang von Beratungsgesprächen
       
       Die Zahl der wirklich vor organisierter Kriminalität zu schützenden meist
       ausländischen Zwangsprostituierten sei „marginal“, hieß es auch in der
       MDR-Diskussion. Dagegen griffen bereits andere Gesetze gegen
       Menschenhandel. Solche Zuhälter könnten ihr Tun jetzt vielmehr
       legalisieren, wenn sie ihre Sklavinnen zwangsweise bei den Behörden
       registrieren ließen. Durch die verschärften Melde- und Überwachungsauflagen
       würden andererseits hiesige Prostituierte in die Illegalität gedrängt,
       befürchtet die Grüne Katja Meier. Allein schon die fälligen Gebühren
       könnten dies bewirken.
       
       Dresdens Sozialbürgermeisterin Kristin Kaufmann (Linke) rechnet mit
       Zusatzkosten von rund 175 Euro pro Jahr für Anmeldung und Pflichtberatung.
       Die Modalitäten sind noch völlig unklar, denn die Kommunen sind in die
       Erarbeitung des Gesetzentwurfs nicht einbezogen worden. In anderen
       Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg oder
       Mecklenburg-Vorpommern fallen keine Gebühren an. Berlin handhabt das Thema
       insgesamt gelassener. Die Gruppe „Sex Workers Solidarity“ stößt sich aber
       auch an der „diskriminierenden berufsbezogenen staatlichen
       Sonderregistrierung“, wie es in einem Schreiben an Sachsens
       Sozialministerin Barbara Klepsch (CDU) und den Landtag heißt. Die ohnehin
       schon bedauerliche öffentliche Stigmatisierung von SexarbeiterInnen werde
       so noch verstärkt.
       
       Die praktischen Erfahrungen in Dresden seit Jahresanfang zeigen, dass
       solche Befürchtungen nicht aus der Luft gegriffen sind. Die drohende
       Anwendung des Prostituiertenschutzgesetzes hat im Gesundheitsamt bereits zu
       einem spürbaren Rückgang der Beratungsgespräche geführt. Bislang habe ein
       Vertrauensverhältnis bestanden, nun sei Verunsicherung eingezogen, heißt
       es. Auch Katrin Laux muss beobachten, dass die Ersten ihrer Masseusen
       aufgeben. Bei der Wohnungsprostitution trete auch das Gegenteil von Schutz
       ein, wenn Frauen, die bisher zusammenarbeiteten, sich nun vereinzeln. Denn
       wenn zwei sich wie bisher zusammentun, müssen sie alle für Bordelle
       geltenden Vorschriften erfüllen. Alle Insider schätzen ein, dass Hobbyhuren
       und Nebenberufler nun untertauchen, statt sich mit allen Personendaten
       registrieren zu lassen.
       
       Rund 750 Unterstützer haben die Onlinepetition zum Erhalt von Sinnesart
       bislang gezeichnet. Zu wenig für eine Landtags-Petition. Katrin Laux muss
       ernüchtert die fehlende Solidarität in der Sexarbeiterszene konstatieren.
       Es mangelt eben vor allem an Beratung und Vernetzung und nicht am
       sogenannten Schutz. Sie bangt um ihr Lebenswerk, hat aber die Hoffnung auf
       kulante Ausführungsregelungen noch nicht ganz aufgegeben.
       
       8 Feb 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Michael Bartsch
       
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