URI: 
       # taz.de -- Ein Brief an Georg Schmitz: Danke? (ja!, der säzzer)
       
       > Georg Schmitz, der „Vater der Säzzer-Bemerkungen“ und ein tazzler der
       > ersten Stunde, geht in Rente. Freundschaftliche Worte zum Abschied.
       
   IMG Bild: Georg Schmitz in den 80er Jahren in den Produktionsräumen der taz, die damals noch im Wedding residierte
       
       Dieser Brief an Georg Schmitz von taz-Layouter Uli Kuesters ist
       ursprünglich 2018 in [1][„40 Jahre taz – Das Buch“] erschienen. Wir
       veröffentlichen in nun neu auf taz.de, um an den verstorbenen Georg Schmitz
       zu erinnern. Einen Nachruf [2][finden Sie hier]. 
       
       Lieber Georg, weißt du noch, als wir uns das erste Mal gesehen haben? Es
       war in der Weddinger Wattstraße im Dezember 1978. Mit deinen feuerroten
       Schopf und einem ebensolchem ZZ-Top-Bart warst du nicht zu übersehen und
       mir sofort sympathisch, zumal du aus dem Rheinland kommst, genau wie ich.
       Das Erste, was du zu mir sagtest, war: „Die wollen alle in die Redaktion.
       Keiner will sich mit der technischen Herstellung einer Zeitung
       beschäftigen. Nur, ohne technisches Knowhow wird es keine Tageszeitung
       geben.“ Einleuchtend war das.
       
       Und so beschloss ich – nach 17 Jahren theoretischem Lernen inklusive vier
       Jahren Studium – in der technischen Abteilung der taz, genannt der Sazz,
       einzusteigen. Wir hatten den Einheitslohn beschlossen, so gab es ja auch
       keinen finanziellen Anreiz, in die Redaktion einzusteigen. Das habe ich bis
       heute nicht bereut. Außerdem wollten wir die Trennung zwischen Kopf- und
       Handarbeitern aufheben. Das war anfangs leider nur ein vernünftig
       scheinender Anspruch. Vor allem, als ich merkte, wie viel Dünkel und
       Eitelkeit in der Redaktion grassierten.
       
       Die erste Zeit der Produktion war ziemlich anstrengend. Bei den ersten
       Nullnummern habe ich des öfteren gezweifelt, ob wir es schaffen, jeden Tag
       pünktlich eine Zeitung zu produzieren. Heute würde ich es in unserem Alter
       nicht mehr schaffen, über Monate 60 Stunden die Woche zu arbeiten. Aber der
       Einsatz hat sich gelohnt. Immerhin haben wir es geschafft, eine
       zuverlässige Blattproduktion zu etablieren und freiere Arbeitsstrukturen
       als auf dem übrigen Arbeitsmarkt zu gewährleisten. Die technischen
       Möglichkeiten, die wir vor 40 Jahren hatten, muten der heutigen jungen
       Generation als Dampfmaschinenzeitalter an. Die Jungen, die heute in der taz
       arbeiten, können sich gar nicht vorstellen, was für eine intensive Zeit wir
       hatten, und das gemeinsam.
       
       Was ich nach wie vor – genau wie du – schade finde, ist, dass wir
       Abteilungsleiter und damit hierarchische Strukturen eingeführt haben – auch
       wenn ebendiese noch so „flach“ sind. Sich auf dem Arbeitsplatz auf einer
       Ebene ohne Vorgesetzte zu begegnen, das war schon ein Abenteuer.
       
       Wir Säzzer hatten dieselbe Macht innerhalb unseres Projektes wie die
       Redakteure. Wenn uns ein Artikel überhaupt nicht gefiel, haben wir ihn im
       Blatt nicht erscheinen lassen. Wenn wir teilweise eine andere Meinung
       hatten als der Redakteur, haben wir die Artikel mit Säzzer-Bemerkungen
       verziert, die du damals als erster eingeführt hast. So wurdest du als
       „Vater der Säzzer-Bemerkungen“ bekannt. Die Säzzer haben sich als erste
       Leser der Zeitung verstanden und durch ihre Kommentare sofort einen kleinen
       Leserbrief platzieren können. Daraus resultierte manche Auseinandersetzung,
       denn mancher Redakteur und manche Redakteurin fühlte sich in seiner oder
       ihrer intellektuellen Eitelkeit verletzt.
       
       Apropos intellektuelle Arroganz der Redakteure: Weißt du noch, als der
       Schönling unter den Redakteuren sich bei uns im Sazz wie ein Elefant im
       Porzellanladen aufgeführt hat? Nach dreimaliger Bitte bzw. Warnung, sich
       doch leiser zu verhalten, sind mir die Nerven durchgegangen. Ich bin dann
       aufgesprungen und wollte ihm eine reinhauen. Du bist geistesgegenwärtig
       dazwischen gesprungen und meintest zu mir: „Es lohnt sich nicht bei dem,
       sich die Finger schmutzig zu machen. Lass das lieber.“
       
       Ich habe dann dank deiner Intervention von meinem Vorhaben abgelassen.
       Dafür bin ich dir heute noch dankbar. Der Redakteur hat dann bis zu seinem
       Weggang einen großen Bogen um mich gemacht, aber laut und unverschämt war
       er ab da nicht mehr in unseren Räumen.
       
       Die Frauen in der taz hatten es dir ja angetan. Du brauchtest ja eine ganze
       Menge weiblicher Bestätigung und hast ja vielen mit Erfolg den Hof gemacht
       – auch solchen, die schon anderweitig gebunden waren. Das hat zu einigem
       Eifersuchtsstress und Beleidigtkeiten – auch deinerseits – geführt. Die taz
       war eben damals ein echtes Selbsterfahrungsprojekt: Politik und Privates
       vermischten sich und waren nicht eindeutig zu trennen.
       
       Als die Frauen sich über männliches, sexistisches Macho-Verhalten bei einem
       Plenum beklagten und plötzlich den Oberkörper entblößten, hast du ziemlich
       cool reagiert. Bei einer Werbeaktion der taz hast du dich als männlicher
       „Pin-up-boy“ nackt auf einem übergroßen Hotelbett geräkelt und
       fotografieren lassen.
       
       Irgendwann war dann auch deine „Sturm- und Drangzeit“ vorbei, und du
       lerntest eine Frau kennen und lieben, die du dann auch geheiratet hast, was
       dir gut getan hat. Du bist ruhiger und gelassener geworden. So hat es dir
       dann auch nicht mehr soviel ausgemacht, als sich eine Mehrheit für
       hierarchische Arbeitsstrukturen ausgesprochen hat, der Sazz dank
       technischer Weiterentwicklung abgeschafft wurde und das Layout von der
       Hand- zur Computerarbeit mutierte. Ja, die Arbeit wurde sinn(en)-entleerter
       und nach Effektivität neu organisiert. Das hat dir überhaupt nicht
       gefallen, und so hast du der Technik den Rücken gekehrt und bist in die
       Aboabteilung gewechselt. Dass du diesen Sprung so gut verkraftet hast,
       hätte ich nicht gedacht.
       
       Aber dein (Arbeits-)Leben war nie eintönig. Einen schweren Schicksalsschlag
       musstest du mit dem Tod deiner ersten Frau hinnehmen. Aber auch das hat
       dich menschlich nicht brechen können. Etwas später hast du deine jetzige
       Freundin lieben gelernt, die ihren Mann verloren hatte. Mit ihrer
       Unterstützung hast du deine alte Lebensfreude wiedergefunden.
       
       So wünsche ich dir für das letzte Viertel deines Lebens, die Rentnerzeit,
       von Herzen eine gute und schöne Zeit – zusammen mit deiner jetzigen
       Lebensgefährtin. Habe erfüllte und erkenntnisreiche Tage, kurz: Lass es dir
       gut ergehen.
       
       Herzlich, Uli
       
       Uli Kuesters, 61, arbeitet schon immer in der taz und versteht es als
       Layouter nach wie vor, Redakteur*innen in ihre Schranken zu weisen.
       
       19 Feb 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://shop.taz.de/product_info.php?products_id=244654
   DIR [2] /Nachruf-auf-taz-Setzer-Georg-Schmitz/!6067175
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Uli Kuesters
       
       ## TAGS
       
   DIR Der Säzzer
   DIR taz
   DIR Der Säzzer
   DIR Der Säzzer
   DIR Gründer*innentaz
   DIR 40 Jahre taz
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Nachruf auf taz-Setzer Georg Schmitz: Über einen, der buchstäblich neue Standards säzzte
       
       War er der Erfinder des Binnen-I? Selbst wenn nicht, war taz-Urgestein und
       -Setzer Georg Schmitz für diese Zeitung, nun ja: unersäzzlich.
       
   DIR Der Säzzer über die Säzzer-Bemerkungen: Anarchie in eckigen Klammern
       
       Georg Schmitz kommentierte in den frühen taz-Jahren AutorInnen-Texte mit
       seinen Säzzer-Bemerkungen [Gut so! dS]. Hier beschrieb er, wie es dazu kam.
       
   DIR 40 Jahre taz: Die Gründer-Ausgabe: Die bewegte Zeitung
       
       Über ergraute Alt-tazler und eine Leiche im Keller: Zum 40. haben
       taz-GründerInnen das Blatt übernommen. Wie das so zuging, lesen Sie hier.
       
   DIR 40 Jahre taz: Drucktechnik und Fortschritt: Analog, okay. Digital? Ach nee!
       
       Die taz geht nur mit „modernster Technik“, das war den Gründern trotz
       Technologie-Skepsis klar. Kein Redakteur wollte aber am Bildschirm
       arbeiten.