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       # taz.de -- Sportjournalisten über Doping: „Das kann ja wohl nicht wahr sein“
       
       > Hajo Seppelt und Markus Harm berichten seit Jahren über Doping und
       > Korruption im Sport. Ein Gespräch, warum Olympia niemals sauber sein
       > wird.
       
   IMG Bild: Diese Skifahrer im Himmel von Pyeongchang sind nur Skulpturen. Dafür aber garantiert nicht gedopt
       
       taz am wochenende: Herr Harm, Herr Seppelt, Discovery hat für viel Geld die
       Olympiarechte gekauft, auch mit dem Ziel, diese weiterzuveräußern, und ARD
       und ZDF haben – ebenfalls für viel Geld – zugegriffen. Hält man mit diesen
       Zahlungen nicht das System IOC aufrecht, über das Sie beide doch immer
       wieder berichten, wie korrupt und kaputt es sei? 
       
       Hajo Seppelt: Mit der Entscheidung haben wir ja nichts zu tun. Was ich
       Ihnen versprechen kann, ist, dass es niemanden in der ARD gibt, der sagt,
       dass ich irgendwas nicht machen dürfte, weil es mit den Sportrechten
       kollidieren würde. Hat es noch nie gegeben, wird es auch nie geben. Aber
       Sie berühren dennoch einen heiklen Punkt, weil man sich generell die Frage
       stellen muss: Wie läuft das Sportrechtegeschäft im Fernsehen? Es ist über
       Jahrzehnte eine akzeptierte Regel, dass für die Übertragung von
       Sportereignissen im Fernsehen Geld bezahlt wird. Ich bin ganz neidisch auf
       Sie, lieber Kollege, dass ihr Zeitungsjournalisten von den Veranstaltern
       noch nicht zur Kasse gebeten werdet. Und ich hoffe, dass das auch nie so
       kommt.
       
       Markus Harm: Die Frage ist, wie die Verbände damit umgehen. Die setzen ja
       die Preise fest. Und die wollen mehr und mehr und mehr Geld verdienen. Und
       natürlich müssen wir das kritisch hinterfragen – auch wenn wir selbst die
       Rechte halten.
       
       Seppelt: Ich glaube, dass wir in den letzten Jahren sehr deutlich gemacht
       haben, dass wir unsere kritische Berichterstattung nicht von Rechtefragen
       abhängig machen. Und dass wir zum Beispiel das Internationale Olympische
       Komitee ordentlich gereizt haben, weil wir die Spiele der Sportpolitik
       durchschaut haben. Man kann uns kein X für ein U mehr vormachen. Anders als
       früher: Vor zehn, fünfzehn Jahren wurden Herrschaften wie Thomas Bach
       (Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC); d. Red.) noch
       ins Olympia-Studio eingeladen – als Experten, die uns die Welt erklären
       sollten.
       
       Harm: … oder Sepp Blatter …
       
       Seppelt: Genau. Die wurden dann hofiert. Diese Zeiten sind komplett vorbei.
       Es hat einen Paradigmenwechsel in der Sportberichterstattung gegeben.
       
       Dennoch wird sich immer noch schwer damit getan: Wenn Moderatoren
       Überleitungen herstellen wie „Bevor wir über Doping reden, wollen wir noch
       kurz über Sport reden“. Gibt es überhaupt auf der einen Seite den bösen,
       gedopten Sport und auf der anderen Seite den guten, echten Sport? 
       
       Seppelt: Der Grundfehler ist, zu glauben, dass der Sport anders sei als der
       Rest der Gesellschaft. Ich werde ganz häufig in Interviews gefragt, wann
       der Sport endlich sauber würde oder ob die Spiele in Pyeongchang sauber
       sein werden. Darauf antworte ich gebetsmühlenartig: Wird es irgendwann
       einen Straßenverkehr geben ohne Leute, die bei Rot über die Ampel fahren?
       Die Frage würde doch niemand stellen. Warum hängen wir dieser Illusion an,
       dass es im Sport anders sein könnte?
       
       Ja, warum? 
       
       Seppelt: Weil Leute wie Thomas Bach uns auf Eröffnungsfeiern von
       Olympischen Spielen suggerieren, dass es so sei. Aber das ist die
       Lebenslüge des Sports. Und unsere Aufgabe ist es, die andere Seite der
       Medaille zu beleuchten und den Zuschauer zum Nachdenken anzuregen.
       
       Harm: Gerade das IOC betont mit seiner eigenen Hymne und der eigenen Charta
       ja immer wieder, wie sehr es für Ethik und Moral stünde. Aber die sind eben
       nicht besser. Und genau das kritisieren wir.
       
       Seppelt: Wir messen die Funktionäre an ihren eigenen Worten. Nicht mehr und
       nicht weniger. Wenn die mir erzählen würden, „Wir sind ein reines Produkt
       und wir wollen nichts als Geld scheffeln“, würde ich sagen: „Wunderbar,
       dann wissen wir das.“ Aber das tun sie ja nicht. Sie spielen uns ein
       Theater vor, das mit der Realität wenig zu tun hat.
       
       Aber ist diese Lebenslüge, der viele Zuschauerinnen und Zuschauer anhängen,
       nicht auch aufgrund der Art, wie Sport von den Medien präsentiert wird,
       entstanden? Als 2014 in Sotschi herauskam, dass die deutsche Biathletin Evi
       Sachenbacher-Stehle positiv getestet wurde, sagte der ARD-Moderator, dass
       er hoffe, dass sich das Ganze in Luft auflösen würde. 
       
       Seppelt: Es ist nicht die Aufgabe von Sportjournalisten, sich auf die Seite
       von Athleten zu stellen. Und es ist genauso wenig ihre Aufgabe, sich gegen
       Athleten zu stellen. Schon der Anschein sollte nicht geweckt werden. Der
       gesamte Sportjournalismus – Print, Online, Hörfunk, Fernsehen – ist über
       viele Jahre hinweg dem Missverständnis erlegen gewesen, dass er ein Partner
       des Sports sei. Das ist er aber nicht.
       
       Harm: Viele Sportjournalisten sind oder waren Fans. Es gibt ja das berühmte
       Bild von dem, der es über die Absperrung auf die andere Seite geschafft
       hat. Aber wir sind gerade in einer Entwicklung. Ich habe zum Beispiel
       Politik studiert und bin ganz anders an den Sportjournalismus
       herangekommen.
       
       Und spüren Sie beide da eine Entwicklung? Haben Sie das Gefühl, heute
       weniger Außenseiter zu sein als früher? 
       
       Harm: Ja. Als Hajo Seppelt vor 20 Jahren mit der Dopingberichterstattung
       angefangen hat, war er ein Einzelkämpfer. Auch ich war am Anfang mit den
       Fifa-Berichten ein Einzelkämpfer. Aber wir werden mehr und das ist gut für
       unseren Berufsstand. Denn so kommt einfach mehr ans Licht, es kommen mehr
       Fakten auf den Tisch.
       
       Seppelt: Die Situation im Sport hat sich nicht verschlechtert. Sie ist
       sogar besser geworden. Vieles ist heute transparenter. Die Empörung über
       das etablierte System Spitzensport ist so groß wie noch nie. Und dass
       Athleten jetzt gegen das System aufbegehren und eigene Organisationen
       gründen wollen, zeigt ja, dass auch dort ein Paradigmenwechsel
       voranschreitet. Wenn wir Journalisten das begleiten oder zumindest Anlass
       zum Nachdenken geben, wie Sport in einem demokratischen Gemeinwesen
       aufgestellt sein sollte, finde ich das gut.
       
       Fühlen Sie sich nicht manchmal wie Feigenblätter, quasi die harten Hunde
       zwischen den vielen Gute-Laune-PräsentatorInnen? 
       
       Seppelt: Vor zehn oder zwölf Jahren hatte ich diesen Eindruck. Heutzutage
       hat sich die Situation verändert. Der Rückenwind und die Unterstützung sind
       in der ARD so groß wie nie. Ich glaube, alle haben erkannt, dass das, was
       wir machen, genauso wichtig ist wie die Live-Berichterstattung. Viele
       Kolleginnen und Kollegen haben mittlerweile auch verstanden, dass sie
       genauer hinschauen müssen. Dass sie an der Nase herumgeführt werden, dass
       die Strippenzieher auch den Journalismus zu beeinflussen versuchen. Im
       Dezember, nach dem IOC-Urteil zum Staatsdoping in Russland, hatten wir 18
       Minuten Sendezeit in einer „Sportschau“ am Sonntag nur zu Russland. 18
       Minuten. Das wäre vor zehn Jahren unvorstellbar gewesen. Und das
       Interessante ist: Das wollen die Zuschauer genauso sehen. Die Quote ist
       nicht schlechter.
       
       Harm: Das mit dem Feigenblatt stimmt nicht mehr. Denn das, was wir nach
       außen machen, die Beiträge, das strahlt ja auch nach innen: Kolleginnen und
       Kollegen orientieren sich daran. Die kommen ja jetzt auch zu uns und
       fragen, ob man nicht über dieses oder jenes Thema noch mal mehr berichten
       müsste.
       
       Sind die jungen Kolleginnen und Kollegen kritischer? 
       
       Harm: Aufgeklärter.
       
       Seppelt: Aufgeklärter, das trifft es ganz gut. Und manche sind auch
       kritischer. Es gibt zumindest immer mehr junge Kolleginnen und Kollegen,
       die nicht mehr zum Fernsehen kommen, um möglichst schnell Moderator oder
       Fußballkommentator zu werden. So war das früher. Ich kann dazu mal eine
       kleine Geschichte erzählen: Vor knapp 20 Jahren gab es noch eine
       Fernsehjournalistin, die auf mich zukam und fragte, ob sie denn den
       IOC-Präsidenten um ein Autogramm bitten dürfte. „Das sollten Sie vielleicht
       nicht machen“, sagte ich, und dachte: „Das kann ja wohl nicht wahr sein.
       Hat die ihren Job nicht verstanden?“ So was halte ich heute für komplett
       unvorstellbar.
       
       9 Feb 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jürn Kruse
       
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