URI: 
       # taz.de -- Debatte um Rennfahrer und SS-Mitglied: Widerstand gegen Museumsgründung
       
       > Ein Unternehmer plant im Emsland ein Museum für den Rennfahrer Bernd
       > Rosemeyer. Der war Aushängeschild der NS-Propaganda und SS-Mitglied.
       
   IMG Bild: In Lingen oft geehrt: Rennfahrer und SS-Mitglied Bernd Rosemeyer, hier in den 1930er Jahren
       
       BREMEN taz | Im emsländischen Lingen regt sich Widerstand. Dort plant der
       Bauunternehmer Heinrich Liesen ein Museum, das sich dem gebürtigen Lingener
       Bernd Rosemeyer widmen soll. Der war in der NS-Zeit nicht nur ein berühmter
       Rennfahrer, sondern auch Mitglied der SS – und das bereits seit 1932. Rat
       und Verwaltung haben deutlich jegliche Unterstützung für das Museum
       abgelehnt, anschließend an eine ebenso deutliche öffentliche Stellungnahme
       des Lingener Vereins Forum Juden-Christen – das private Museum soll dennoch
       kommen, spätestens Anfang 2019 soll es eröffnen.
       
       Bernd Rosemeyer starb jung, im Alter von 28 Jahren, im Januar 1938 bei
       einem Weltrekord-Versuch auf der Reichsautobahn Frankfurt–Darmstadt bei
       Mörfelden-Walldorf. Der Tacho seines Wagens zeigte eine Geschwindigkeit von
       fast 430 Stundenkilometern an.
       
       Ein Heldentod, der von den Nazis gebührend ausgeschlachtet wurde: Tausende
       erwiesen dem Rennfahrer die letzte Ehre, eine Abordnung der „Leibstandarte
       SS Adolf Hitler“ hielt die Mahnwache.
       
       Hitler und Himmler schickten persönliche Beleidsbekundungen an die Witwe
       des SS-Hauptsturmführers Rosemeyer. Victor Klemperer schrieb 1946: „Das
       einprägsamste und häufigste Bild des Heldentums liefert in der Mitte der
       dreißiger Jahre der Autorennfahrer: Nach seinem Todessturz steht Bernd
       Rosemeyer eine Zeitlang fast gleichwertig mit Horst Wessel vor den Augen
       der Volksphantasie.“
       
       Ein Held ist er für viele bis heute, denn es ist beileibe nicht so, als
       würde dem Grand-Prix-Europameister und Rekord-Geschwindigkeitsfahrer in
       seiner Geburtsstadt keine Ehre erwiesen: Eine Bernd-Rosemeyer-Straße gibt
       es in Lingen bis heute – seit 1938. Es gibt den MSC Bernd Rosemeyer, der
       regelmäßig Oldtimer-Fahrten organisiert.
       
       [1][Ein aus dem Mittelalter stammender Lingener Junggesellenverein namens
       Kivelinge hat ebenso eine Sektion nach Rosemeyer benannt wie der örtliche
       Schützenverein]. 2013 gründete der Bauunternehmer Heinrich Liesen die
       Bernd-Rosemeyer-Stiftung – und schlug vor, Rosemeyer die Ehrenbürgerschaft
       der Stadt Lingen zu verleihen.
       
       Das wird nicht geschehen. Aber ein Museum für Rosemeyer und seine Frau, die
       Fliegerin Elly Beinhorn, wird kommen: Liesen plant und finanziert es –
       gegen alle Widerstände. Er sieht in Rosemeyer nur den großen Rennfahrer aus
       Lingen. Anlässlich seiner Ehrenbürger-Idee sagte Liesen der [2][Lingener
       Tagespost, dass eine Sportkarriere während der Zeit des Nationalsozialismus
       eben nur durch eine Mitgliedschaft in der NSDAP möglich gewesen sei.]
       
       Als Oldtimer-, Rennsport- und Rosemeyer-Fan hätte Liesen aber eigentlich
       wissen müssen, dass für aufstrebende Rennfahrer die Mitgliedschaft im
       nationalsozialistischen Kraftfahrkorps genügte – eine SS-Mitgliedschaft war
       keineswegs notwendig. Abgesehen von Rosemeyer weiß man auch von keinem
       deutschen Grand-Prix-Fahrer, der Mitglied der SS war.
       
       Dem Appell des Lingener Stadtrats, „auf die Realisierung seines Vorhabens
       zu verzichten“, ist Liesen, der für die taz nicht erreichbar war, nicht
       gefolgt, immerhin aber folgte er jenem Punkt des Ratsbeschlusses: „Für den
       Fall, dass dieses private Museum dennoch umgesetzt wird, fordern Rat und
       Verwaltung der Stadt Lingen (Ems) den genannten Betreiber auf, einen
       renommierten und erfahrenen NS-Historiker als Kurator einzusetzen, der alle
       persönlichen und politischen Facetten Bernd Rosemeyers, insbesondere seine
       SS-Mitgliedschaft, kritisch beleuchtet und wissenschaftlich fundiert
       darstellt.“
       
       Heinrich Liesen engagierte den Historiker Bernd Walter, der bis zu seiner
       Pensionierung 2016 Leiter des LWL-Instituts für westfälische
       Regionalgeschichte in Münster war.
       
       In ihm hat er offenbar den passenden Kurator gefunden: Jenen, die das
       geplante Museum kritisieren, [3][warf Walter in einem Interview
       „Enthistorisierung“ vor] – also einen Mangel an Einbettung in den
       historischen Kontext. Gemeint war das Forum Juden-Christen, das sich seit
       40 Jahren in Form von Veranstaltungen, Publikationen, Führungen oder
       Bildungsreisen der Erinnerungs- und Gedenkkultur in der Region widmet.
       
       ## Eine Galionsfigur des NS-Systems
       
       „Eine Frechheit“ nennt Michael Fuest, stellvertretender Vorsitzender des
       Forums und Ratsmitglied der Grünen, den Vorwurf von Bernd Walter. Denn das
       Forum hatte in einer öffentlichen Stellungnahme unter anderem über
       Rosemeyer geschrieben: „Sein Leben endete dann aber, ohne dass ihm die
       Gelegenheit geblieben wäre, es zu bedenken, Unziemliches zu widerrufen und
       sich neu zu orientieren. Wo könnte deshalb die Befugnis herkommen, über
       Bernd Rosemeyer den Stab zu brechen? Gleichwohl kann Bernd Rosemeyer, der
       zu einer Gallionsfigur des NS-Systems avancierte, und damit auf der
       Täterseite im Apparat von NS und SS stand, kein Vorbild sein – für
       niemanden von uns, allemal nicht für junge Menschen, und darum eben auch
       darf er nicht zum Mittelpunkt einer Heldengedenkstätte werden.“
       
       Auch Robert Koop, Fraktionsvorsitzender der unabhängigen Wählergemeinschaft
       „Die Bürgernahen“ im Stadtrat, ist empört: „Es ist absurd, ausgerechnet dem
       Forum Juden-Christen vorzuwerfen, irgendetwas aus dem historischen Kontext
       zu reißen. Eher relativiert Walter, was vor 80 Jahren geschah, indem er
       Menschen wie Rosemeyer eine Art Sondermoral zugesteht, die sich aus seiner
       Zeit begründet.“
       
       ## Lingen hat immer noch eine „Bernd-Rosemeyer-Straße“
       
       Die aber gebe es nicht: „Rosemeyer war 1933 bereits SS-Mitglied – zur
       gleichen Zeit, als hier im Emsland, also quasi vor seiner Haustür, die
       ersten Konzentrationslager entstanden. Dort hat die SS derart wild gewütet,
       dass ihr das Kommando wieder entzogen wurde.“ Man müsse sich fragen, ob
       Rosemeyer wirklich nichts davon mitbekommen habe. Die Frage, sagt Koop,
       laute darüber hinaus nicht, ob Rosemeyer ein überzeugter Nazi gewesen sei,
       „sondern: Für wen sollte man eigentlich ein Museum eröffnen?“
       
       Für Fuest ist das Museum „eine fixe Idee und einfach nur peinlich“: Aber
       unternehmen könne man dagegen nichts. Dass die Stadt immer noch eine
       „Bernd-Rosemeyer-Straße“ hat, schmeckt ihm nicht, „aber eine
       Straßenumbenennung ist ein ziemlich dickes Brett“ – das allerdings, so
       räumt er ein, „auch mal angegangen werden müsste“.
       
       12 Feb 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.lbsv.de/2-zug/bernd-rosemeyer/
   DIR [2] https://www.noz.de/lokales/lingen/artikel/29070/liesen-rosemeyer-als-lingener-ehrenburger#gallery&0&0&29070
   DIR [3] https://www.noz.de/lokales/lingen/artikel/1015087/interview-mit-historiker-viele-interessen-fuehrten-zum-mythos-rosemeyer-2
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Simone Schnase
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Nationalsozialismus
   DIR Nazi-Propaganda
   DIR SS
   DIR Kulturpolitik
   DIR Lesestück Recherche und Reportage
   DIR Schwerpunkt Nationalsozialismus
   DIR Bremen
   DIR FC St. Pauli
   DIR NS-Justiz
   DIR Bremen
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Nazi-Rennfahrer bleibt präsent: Rasen für das Reich
       
       Seit der NS-Zeit ehrt in Lingen im Emsland eine Straße den Namen eines
       SS-Hauptsturmführers. Nun hat der Stadtrat beschlossen: So soll's auch
       bleiben.
       
   DIR Das Leid der Zwangsarbeiter: „Menschen wie Fleischwaren gehandelt“
       
       Briefe sowjetischer Kriegsgefangenen in Nazi-Deutschland sind erschütternde
       Zeugnisse. In einer Lesung werden sie in Bremen vorgestellt
       
   DIR Rebellenclub von früher bis heute: Eine Geschichte ohne Helden
       
       Mit einer Ausstellung setzt sich der FC St. Pauli mit der eigenen
       Vergangenheit auseinander – und räumt auf mit dem Klischee vom Antifa- und
       Arbeiterverein
       
   DIR Sebastian Weitkamp über Emslandlager: „Strafe und Sühne“
       
       Die Ausstellung in der Osnabrücker Gedenkstätte Gestapokeller zeigt
       Schicksale von zwölf Opfern der NS-Justiz, die in den Emslandlagern
       starben.
       
   DIR Warnhinweis für Nazi-Kunst: Linkes Ringen um rechte Kunst
       
       Die Bremer Linke will Bernhard Hoetgers 1936er Goldengel über der
       Böttcherstraße mit einer Gedenktafel ergänzen und erklärt das Werk zum
       letzten Hitler-Denkmal.