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       # taz.de -- Deutsche Rodlerinnen bei Olympia: Rasanter Rutsch in die Goldgrube
       
       > Deutsche Rodlerinnen demonstrieren ihre Dominanz und liefern Argumente
       > für die Subventionierung einer teuren Sportart.
       
   IMG Bild: Auf dem Weg zur Goldmedaille: Natalie Geisenberger bei ihrer viel beachteten Fahrt
       
       Pyeongchang taz | Liebe Sportfans, erinnern Sie sich noch an Thomas Köhler,
       Klaus Bonsack und Hans Plenk, die Rodler, die 1964 in Innsbruck für das
       vereinigte deutsche Team auf dem Schlitten saßen? Wissen Sie noch etwas mit
       den Namen Anna-Maria Müller, Ute Rührold und Margit Schumann anzufangen,
       die 1972 in Sapporo für die DDR antraten?
       
       Nein? Aber das sollten sie, denn diese Sportler sind legendär. Die haben
       zum ersten Mal einen, wie die Amerikaner sagen, Medal Sweep im Rodeln
       geschafft, also alle drei olympische Medaillen gewonnen. Die Deutschen
       machen das gern in einem Rutsch. In der olympischen Rodelgeschichte ist
       ihnen das schon neun Mal (!) gelungen. Wie oft das im Weltcup passierte?
       Sehr oft, irgendwann hat man aufgehört zu zählen. Das ist gelebte Dominanz
       auf zwei Kufen, ein Supremat, das alle anderen schlecht aussehen lässt.
       Meistens.
       
       Es soll ja vorkommen, dass ein deutscher Superrodler namens Felix Loch,
       seines Zeichens mehrmaliger Olympiasieger, heuer im entscheidenden Lauf von
       Pyeongchang ins Schlingern kommt und ein Ösi plötzlich oben steht auf dem
       Stockerl. Aber das war nur ein kleiner Betriebsunfall in der
       Rodelgeschichte.
       
       Die deutschen Frauen haben gestern wieder für einigermaßen normale
       Verhältnisse auf der Olympiabahn gesorgt, die praktischerweise von einem
       Stuttgarter Architekturbüro entworfen wurde. Natalie Geisenberger hat
       gewonnen, und dahinter platzierten sich Dajana Eitberger und –
       Überraschung! – eine Kanadierin, Alex Gough. Tatjana Hüfner wurde nur
       Vierte. Und so wurde es nichts mit dem zehnten Medal Sweep. Geisenberger,
       in München geboren, hat ihren Olympiatitel von Sotschi verteidigt. So etwas
       ist bisher nur DDR-Rodlerin Steffi Martin Walter (1984 und 1988) und Sylke
       Otto (2002 und 2006) geglückt.
       
       ## Die entscheidende Kurve 9
       
       Norbert Loch, der Bundestrainer, weiß, was seine Athletinnen können. Er
       sagt aber auch: „Sie sind keine Maschinen auf dem Schlitten, da kann auch
       mal was daneben gehen auf dieser schwierigen Bahn.“ Diesmal traf es Tatjana
       Hüfner, die Altmeisterin, in Lauf vier. Richtig arg erwischte es die
       US-Amerikanerin Emily Sweeney, die schwer stürzte und mit dem Krankenwagen
       abtransportiert werden musste. Der Scharfrichter: Kurve neun, die die Guten
       von den Besten trennt. „Es muss auf den Punkt passen, und das ist nicht so
       einfach“, weiß Loch.
       
       Zwei Medaillen der Rodlerinnen sind ja auch nicht schlecht und zudem von
       großer Bedeutung, liefern sie doch dem Bob- und Schlittensportverband
       genügend Argumente, am Status quo festzuhalten, an vier Rodelbahnen in
       Deutschland, an vier Stützpunkten und vierfacher Finanzierung der teuren
       Bahnen.
       
       „Das gibt es in keinem anderen Land auf der Welt, wir haben vier
       Rekrutierungsmöglichkeiten in Oberhof, Altenberg, in Winterberg und
       Königssee“, freut sich Loch. An jedem Ort sind drei bis sieben Trainer und
       Sportwissenschaftler beschäftigt. Aber weil sich mit den Bahnen allein noch
       kein Staat machen lässt, nennt er weitere Gründe für die deutsche
       Vorherrschaft in der Rodelszene: gute Trainer, viel Know-how im technischen
       Bereich, die Zusammenarbeit mit dem Institut für Forschung und Entwicklung
       im Sport, kurz FES, und viel Erfahrung von Einzelnen wie Georg Hackl, dem
       Schlittenschrauberkönig.
       
       ## Aderlass beim Nachwuchs
       
       Die Weltspitze ist freilich mittlerweile enger zusammengerückt. „Viel
       Know-how ist nach außen gegangen.“ In Kanada, Österreich, Südkorea und
       Russland arbeiten deutsche Trainer. „An der Spitze wird es immer enger“,
       sagt Loch. Schlecht schlafen muss er deswegen nicht. Denn so schnell holen
       die anderen nicht auf. „Rodeln ist schwierig, da muss man schon in frühen
       Jahren anfangen, koordinative Fähigkeiten zu schulen. Es gibt quasi eine
       sensible Phase wie beim Sprachenlernen.“ Mit 15 sei man definitiv zu spät
       dran. „Das mag im Skeleton- oder Bobsport noch gehen, aber nicht im Rodeln.
       Da sollte man mit 5 oder 6 Jahren auf einen Schlitten steigen und die
       Risikoscheu überwinden.“
       
       In Oberhof oder Altenberg haben aber immer weniger Fünfjährige Lust, sich
       in der Eisrinne hinabzustürzen, weswegen Loch ein wenig kulturpessimistisch
       wird: „Auch bei uns gibt es einen starken Aderlass beim Nachwuchs, das hat
       gesellschaftliche Gründe. Wir müssen uns fragen: Welche Anreize können wir
       jungen Athleten noch bieten? Wie können wir die Kinder aus dem Wohnzimmer
       rausholen?“ Er sieht einen „Abwärtstrend an allen Stützpunkten“.
       Paradoxerweise ist genau das ein Argument für den Erhalt aller Bahnen.
       „Wenn wir eine Bahn nicht mehr nutzen würden, dann wüsste ich nicht, wo die
       Entwicklung hingeht.“
       
       Dieses Privileg ist teuer, etwa zwei Millionen Euro schießt der deutsche
       Steuerzahler Jahr für Jahr zu. Gut 800.000 Euro kostet allein der
       Altenberger Eiskanal jährlich. „Aber ist das wirklich ein Privileg?“, fragt
       Loch. „Ich finde nicht, denn wir untermauern es ja mit Leistungen.“ Andere
       Sportarten hätten auch sehr teure Sportstätten. Norbert Loch muss so etwas
       sagen. Als Bundestrainer ist er ein Lobbyist seiner Rodler. Und solange er
       auch eine olympische Goldgrube beaufsichtigt, wird man ihm weiterhin Gehör
       schenken.
       
       13 Feb 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Markus Völker
       
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