# taz.de -- Regierung erwägt kostenlosen ÖPNV: Freier Verkehr, befreite Luft?
> Die Bundesregierung überlegt, ob sie mit kostenlosem Nahverkehr die
> Luftqualität verbessern könnte. Wer das bezahlen soll, ist offen.
IMG Bild: Was, wenn man einfach einsteigen und mitfahren könnte?
Berlin taz | Es klingt wie eine Utopie: gebührenfreier öffentlicher
Nahverkehr. Doch jetzt hat die amtierende Bundesregierung „kostenlosen
öffentlichen Nahverkehr“ gegenüber der EU-Kommission offiziell als eine
Maßnahme bezeichnet, um die Luftqualität in bundesdeutschen Städten zu
verbessern. Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD), Verkehrsminister
Christian Schmidt (CSU) und Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU, alle
geschäftsführend) schreiben das in ihrem Brief vom 11. Februar an
EU-Umweltkommissar Karmenu Vella.
Mit dem Brief wollen die MinisterInnen die EU-Kommission milde stimmen.
Diese erwägt eine Klage am Europäischen Gerichtshof unter anderem gegen
Deutschland. Denn in Dutzenden Städten übersteigen die vor allem durch
Dieselfahrzeuge verursachten Stickoxidemissionen die Grenzwerte. Am
Donnerstag kommender Woche verhandelt zudem das Bundesverwaltungsgericht
über mögliche Fahrverbote in Städten wegen zu schlechter Luft.
Acht teilweise „neue“ Maßnahmen werden in dem Schreiben erwähnt. Neben
Nulltarifen sind das „bindende Abgasgrenzwerte“ für Busse, Taxis,
Carsharing-Autos und Lkw. Zudem Fahrbeschränkungen für bestimmte Straßen
und Stadtviertel, zusätzliche Anreize für Elektromobilität und „technische
Umrüstung“ von Fahrzeugen, soweit „wirksam und ökonomisch sinnvoll“.
Der Deutsche Städtetag zeigte sich überrascht über die Ankündigung der
Bundesregierung. „Die Idee, Tickets im Nahverkehr günstiger zu machen, gibt
es in der Tat in einigen Städten. Wer das will, muss das aber auch
finanzieren können. Wenn der Bund jetzt den Vorschlag macht, über solche
Wege nachzudenken, erwarten wir eine klare Aussage“ zur Finanzierung.
Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter erklärte: „Der Vorstoß klingt nach
verkehrspolitischer Gaukelei. Eine Woche nach Bekanntgabe des
Koalitionsvertrages mit dieser vagen Idee zu kommen, ist absolut
unglaubwürdig.“
## Es würden 12 Milliarden Euro fehlen
Durch den Nulltarif würden den Anbietern rund 12 Milliarden Euro jährlich
bundesweit fehlen, sagt Rahine Algan, Vizesprecherin des Verbandes
Deutscher Verkehrsunternehmen. Wenn also durch den Verkauf der Fahrscheine
kein Geld hereinkommt, muss irgendwer den Verlust tragen – die jeweilige
Stadt, das Land oder der Bund. Zudem, sagt Algan, sei bei Nulltarif „mit
viel mehr Fahrgästen“ zu rechnen.
Die Kommunen müssen zusätzliche Fahrzeuge einsetzen oder kaufen. Sie
brauchen auch mehr Personal. Teilweise werden die Linien und Schienen nicht
reichen. Dieser Ausbau muss stattfinden, bevor man den Nulltarif einführt,
sonst schafft das System den zu erwartenden Ansturm nicht. Das kostet
ebenfalls Geld, von dem nicht klar ist, woher es kommen soll.
Die geschäftsführende Regierung und die entstehende Große Koalition haben
zwar Milliarden Euro für die Abgasvermeidung in Städten ausgelobt, von
zusätzlichen Ausgaben für einen Nulltarif war aber bisher nicht die Rede.
13 Feb 2018
## AUTOREN
DIR Hannes Koch
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