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       # taz.de -- Kinostart von „Shape of Water“: Untertauchen als zweite Natur
       
       > Vom Glauben an Monster, die Liebe und das Kino: Der Film „Shape of Water“
       > von Guillermo del Toro verzaubert in vielen Details.
       
   IMG Bild: Reinigungskräfte in geheimer Mission: Sally Hawkins (Elisa) und Octavia Spencer (Zelda)
       
       Wer Monsterfilm hört, denkt nicht als Erstes an Liebe. Umso mehr
       beeindruckte die liebevolle Zärtlichkeit, mit der Guillermo del Toro bei
       seiner Dankesrede für den Regie-Golden-Globe Anfang Januar davon sprach.
       Seit seiner Kindheit pflege er den Glauben an Monster, erzählte da der
       schwergewichtige 53-jährige Mexikaner. Er sei von ihnen, den
       „Schutzheiligen unserer seligen Unvollkommenheit“, manches Mal gerettet und
       erlöst worden. Denn sie würden die Möglichkeit zulassen und verkörpern,
       dass man scheitert.
       
       Eine bessere Einleitung zu „Shape of Water“ kann man kaum formulieren.
       Dabei ist „Shape of Water“ selbst nicht nur ein Monsterfilm, sondern ein
       cineastischer Frankenstein, zusammengenäht aus totgeglaubten
       Kinoversatzstücken und wiederbelebt vom Projektorlicht: ein nostalgischer
       50er Jahre Horrorfilm verschweißt mit einem melancholischen Liebesdrama,
       einem fantastischen Märchen und einem Kalter-Krieg-Spionage-Thriller.
       
       Ort der Handlung ist denn auch weniger die historische US-amerikanische
       Realität nach dem „Sputnikschock“, von dem die Filmfiguren am Rande
       sprechen, als vielmehr „Kinoland“ in seiner ganzen gebastelten
       Unwirklichkeit. Dass zwei Hauptfiguren des Films, die von Sally Hawkins
       verkörperte stumme Putzfrau und ihr von Richard Jenkins gespielter schwuler
       Nachbar, im Dachgeschoss eines Kinos wohnen, unterstreicht das Fabrizierte
       dieses Traumfabrikprodukts erst recht.
       
       ## Eine zweite Natur
       
       Dementsprechend lohnt es sich, von Anfang an ganz genau hinzuschauen: Über
       den Bildern einer gefluteten Wohnung, in der die Möbel friedlich-ergeben im
       Strom des Wassers schweben, spricht eine Erzählstimme (es ist die von
       Richard Jenkins) zögerlich von vergangener Zeit und schwer zu fassender
       Wahrheit, von einer „Prinzessin ohne Stimme“ und einem „Monster, das alles
       zerstören wollte“. In Wasserschichten über ihrem Sofa treibend kommt dabei
       Sally Hawkins ins Bild.
       
       Was anderen ein Albtraum sein mag, das zeigt del Toro hier schon zum
       Auftakt, stellt für seine Figur der Elisa eine Art zweite Natur dar: das
       Untertauchen.
       
       Aber keine Sorge, so fest Guillermo del Toro an Monster glaubt, so wenig
       begnügt er sich mit allegorischen Darstellungen. Die stumme Elisa, deren
       „Morgenroutine“ die ersten Szenen verfolgen, erinnert zwar ein wenig an
       Jean-Pierre Jeunets fabelhafte Amélie und ihre Niedlichkeiten, aber ein so
       diskret wie ohne Scham angedeuteter Akt der Selbstbefriedigung macht aus
       Elisa erstens eine Erwachsene und zweitens ein weniger ätherisches Wesen.
       
       ## Der Wecker klingt nachts
       
       Dazu passt, dass sich die „Routine“ bei genauem Hinsehen und vor allem
       Hinhören als abendlicher Vorgang entpuppt: In das Läuten von Elisas Wecker
       mischen sich die Geräusche einer Filmvorführung im nur spärlich besuchten
       Kino unten, Polizeisirenen auf der Straße künden von Nachtleben, und als
       Elisa aus dem Haus geht und schließlich an ihrer Arbeitsstelle, einem
       Geheimlabor der Regierung, ankommt, ist es kurz vor zwölf – Mitternacht.
       
       Man muss geradezu die Augen verschließen, um dem Charme von del Toros
       sorgfältiger Komposition aus Märchen-, Horror- und Thrillerelementen nicht
       zu erliegen. Aus den Genrekontrasten gewinnt er wunderbare Momente der
       Ironie, etwa wenn Elisa und ihre Kollegin Zelda (Octavia Spencer) sich bei
       ihrer Putzarbeit durch Büros und Labore schrubben und dabei professionellen
       Gleichmut bewahren gegenüber dem mal futuristischen, mal absonderlichen und
       mal blutigen Inventar.
       
       „Was treiben die hier bloß?“, stöhnt Zelda nur, wenn mal wieder besonders
       viel Dreck auf dem Boden gelandet ist. Ansonsten wissen beide über ihren
       unteren Platz in der sozialen Hierarchie Bescheid und tun, wie ihnen
       geheißen. Bis Elisa den in einem Wassertank eingeschlossenen Amphibienmann
       (unkenntlich hinter der Maske: Doug Jones) entdeckt, dem das besondere
       Interesse sowohl des Regierungsagenten Strickland (Michael Shannon) als
       auch des Wissenschaftlers Dr. Hoffstettler (Michael Stuhlbarg) gilt.
       
       ## Giles verheimlichtes Leben
       
       Wo die Männer mit ihren Methoden der Gewalt versagen, gelingt der stummen
       Putzfrau die Annäherung: In unbeobachteten Momenten schleicht sie sich zum
       vermeintlichen Monster und lockt es mit gekochten Eiern und Glenn Millers
       Musik aus der Reserve. Elisa meint zu verstehen und fühlt sich selbst
       verstanden. Aber Regierungsmann Strickland hegt ganz andere Absichten,
       sowohl was den Amphibienmann als auch was Elisa angeht.
       
       Von den verschiedenen Strängen, die del Toro in „Shape of Water“
       zusammenwebt, ist die Liebesgeschichte zwischen Amphibienmann und Putzfrau
       die frischeste, nicht zuletzt, weil er den Figuren handfeste Sexualität
       zugesteht und sie zugleich in Traumtanzszenen verwickelt.
       
       Bei anderen Handlungsteilen verlässt sich del Toro vielleicht ein wenig zu
       sehr auf bereits gut bearbeitete Klischees: Die Russen, die wie die
       Amerikaner am Amphibienmann nur als Trophäe des Kalten Kriegs interessiert
       sind, agieren grobschlächtig; der amerikanische Agent ist ein sadistischer
       Rassist; die schwarze Arbeitskollegin eine redselige Frau mit scharfer
       Zunge.
       
       Ein paar Nuancen mehr bekommt Richard Jenkins’ Figur des schwulen Nachbarn
       zugestanden: Seinem Giles merkt man die aus Jahren des verheimlichten
       Lebens resultierende Einsamkeit und Schwäche an, keine immer sympathischen
       Eigenschaften.
       
       ## 13 Oscarnominierungen
       
       Wenn er einem jüngeren kanadischen Kuchenverkäufer den Hof macht, der sich
       seinerseits aus Markengründen mit amerikanischer Südstaatenvolkstümlichkeit
       maskiert, verwirren sich Täuschung und Selbsttäuschung für Giles – bis eine
       Abfuhr die Dinge wieder ins vertraute, wenn auch schmerzliche Fahrwasser
       rückt.
       
       Tatsächlich gehört „Shape of Water“ zu jener Art Film, dessen Einzelheiten
       mehr für sich wirken als in der Summe. Was auch ein Grund dafür sein
       könnte, dass die rekordnahen 13 Oscarnominierungen ihn nicht zum Favoriten
       im Rennen um den Oscar für den besten Film gemacht haben. Und das, obwohl
       auch die politischen Untertöne, die schließlich in diesem Jahr mit seltener
       Akribie analysiert und wichtiggenommen werden, ganz in „den Moment“ passen,
       lässt doch del Toro im Einsatz um den Amphibienmann mit der stummen Elisa,
       dem schwulen Giles, der schwarzen Zelda und einem Sowjetspion eine Art
       „Regenbogenfraktion“ mit Frauen an der Spitze aufbegehren.
       
       Immerhin werden sowohl Sally Hawkins als beste Darstellerin als auch
       Guillermo del Toro als bester Regisseur durchaus Chancen zugestanden.
       
       ## Gefangen in Normalität
       
       Ausgerechnet die Verkörperung der repressiven Macht und Stärke aber erweist
       sich als Schwachpunkt des Films. Denn Michael Shannons sadistischer,
       frauenfeindlicher und rassistischer Regierungsbeamter ist eine so
       überdeterminiert „böse“ Figur, dass die erzählerische Dynamik fast kippt:
       Strickland erweist sich als das eigentliche Monster – aber ging es nicht
       darum, in Monstern die eigenen Verfehlungen zu entdecken?
       
       Mit seinem perfekt eingerichteten Vorstadthaus, den artigen Kindern, einer
       willigen Frau und Missionarsstellungssex wirkt Strickland wie die groteske
       Verzerrung der „Normalität“, geboren aus Werbeplakaten der
       Konsumgesellschaft. Wenn Shannon ihn etwas weniger eisern und entschlossen
       spielen würde, könnte man fast Mitleid empfinden für sein Gefangensein in
       einer „heilen“ Welt, in der die eignen Kinder teuflisch grinsen. So bewahrt
       sich der Film bis zuletzt seinen Charme der „seligen Unvollkommenheit“.
       
       15 Feb 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Barbara Schweizerhof
       
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