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       # taz.de -- Wahlrechtsreform im Südwesten: In aufrichtiger Abneigung vereint
       
       > In Baden-Württemberg streitet die CDU über eine Wahlrechtsreform. Damit
       > stürzt sie die grün-schwarze Koalition in ihre erste Krise.
       
   IMG Bild: CDU-Landeschef Thomas Strobl und der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann
       
       Stuttgart taz | Das Wahlrecht ist eigentlich kein Thema, mit dem man eine
       Parteiversammlung rockt oder Wahlen gewinnt. Aber in Baden-Württemberg
       reicht es immerhin dafür, die CDU als gespaltene Partei zu präsentieren und
       eine kleine Koalitionskrise auszulösen.
       
       Die Reform des bisherigen Einstimmenwahlrechts gilt im Südwesten als
       progressives Projekt, das die Grünen schon in der letzten Regierungszeit
       mit der SPD durchsetzen wollten. Nun soll es eigentlich – ganz dem
       schwarz-grünen Koalitionsvertrag entsprechend – einen neuen Anlauf geben.
       Mit Hilfe einer Zweitstimme und zusätzlicher Listenkandidaten soll die
       Nominierung der Kandidaten künftig nicht mehr allein in den Händen der
       Wahlkreisversammlungen liegen.
       
       Nach vielen Gesprächen mit den Grünen hat die CDU-Fraktion vergangene Woche
       nun aber überraschend den einstimmigen Beschluss gefasst, doch lieber das
       alte Wahlrecht zu behalten. Die Entscheidung ist eine klare Breitseite
       gegen den CDU-Parteivorsitzenden und Landesinnenminister Thomas Strobl, der
       die Wahlrechtsreform nicht zuletzt als Gelegenheit zur Modernisierung
       seiner Partei sieht.
       
       Innerhalb der CDU gibt es nun scharfe Kritik an der eigenen
       Landtagsfraktion. Zwei mächtige CDU-Bezirksverbände, die Frauen-Union und
       sogar die konservativ geprägten Landfrauen kritisieren, man vergebe die
       Chance, künftig ein breiteres Spektrum an Volksvertretern ins Parlament zu
       schicken. Nicht nur mehr Frauen, sondern auch Einwanderer könnten mit der
       neuen Parteiliste gefördert werden.
       
       Allerdings gibt es nicht nur bei Konservativen Zweifel, ob es wirklich nur
       am Wahlrecht liegt, wenn für CDU, AfD, SPD und FDP zu wenige Frauen und
       Migranten in der Fraktion sitzen. Oder ob dafür nicht doch eher die
       jeweilige Parteikultur verantwortlich ist. Dass man auch mit dem
       bestehenden Wähl- und Zählmodus zumindest fast 50 Prozent Frauenanteil
       erreichen kann, beweisen jedenfalls die Grünen.
       
       ## Strobl hat wenig Freunde in der Landtagsfraktion
       
       Aber darum geht es beim Streit der CDU mit sich selbst gar nicht. Das Thema
       kam der Fraktion gerade recht, um den ungeliebten Parteichef Strobl, der
       selbst kein Landtagsmandat hat, zu demütigen. Strobl hat wenige Freunde in
       der Landtagsfraktion, in der sich konservative Abgeordnete aus eher
       ländlichen Regionen eingebunkert haben.
       
       Die einen sehen sich noch immer in der Tradition von
       Kurzzeit-Ministerpräsident Stefan Mappus, der mit den Polizeiexzessen von
       Stuttgart 21 und dem fragwürdigen EnBW-Deal in Erinnerung geblieben ist.
       Andere verübeln es Strobl, dass er ihnen in der ungeliebten grün-schwarzen
       Regierung nicht wenigstens ein Ministeramt verschafft, sondern stattdessen
       neue Frauen ins Kabinett geholt hat. Seinen Modernisierungskurs sehen sie
       kritisch.
       
       Vorsitzender dieser CDU-intern auch „Landeier-Fraktion“ genannten
       Parlamentarier ist Wolfgang Reinhart, der früher Staatssekretär in Berlin
       war und dem wie Strobl Ambitionen auf die Spitzenkandidatur nachgesagt
       werden. Strobl und Reinhard seien sich in „aufrichtiger Abneigung
       verbunden“, schreibt die Stuttgarter Zeitung treffend.
       
       Die Abneigung konnte am Dienstagabend vor laufenden Kameras besichtigt
       werden, als sich Strobl und Reinhart nach einer vierstündigen
       Fraktionssitzung mit eingefrorenem Lächeln zu einem gemeinsamen
       Pressestatement aufrafften, jedoch keine Fragen zuließen. Das Ergebnis: Die
       Fraktion beharrt auf ihrer Ablehnung der Wahlrechtsreform.
       
       Der grüne Ministerpräsident Kretschmann hat nun einen Arbeitskreis
       eingesetzt, um eine Lösung in dem Streit zu erarbeiten. Er hat allen Grund
       zur Gelassenheit: Laut einer dieser Tage veröffentlichten Umfrage ist
       Kretschmann der beliebteste Ministerpräsident der Republik. Inzwischen
       kokettiert er damit, bei der Wahl 2021 noch einmal anzutreten. Der
       innerparteiliche Zoff in der CDU dürfte seine Chancen nicht schmälern.
       
       31 Jan 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Benno Stieber
       
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