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       # taz.de -- Ausstellungen über Rechtsextremismus: Der lange Atem der Neonazis
       
       > Eine Ausstellung in München belichtet die Geschichte des Antisemitismus,
       > rechter Anschläge und Vereine in der BRD von 1945 bis Pegida.
       
   IMG Bild: Protest für die Verurteilung von SS-Verbrechern, organisiert vom VVN in Düsseldorf 1979
       
       Die ersten politisch motivierten Sprengstoffanschläge nach dem Zweiten
       Weltkrieg wurden in Deutschland nicht unter dem Banner einer linken
       Weltrevolution oder im Namen Allahs verübt – sondern von Leuten, deren Ziel
       es war, die Entnazifizierung zu stoppen. Einer der Anschläge traf im Januar
       1947 die Nürnberger Spruchkammer. Im Februar folgte ein Anschlag auf das
       Büro des Spruchkammervorsitzenden Camille Sachs. Wie viele Akteure der
       westdeutschen Wiederaufbauzeit nach 1945 ist Sachs heute fast vergessen. Er
       stammte aus einem jüdischen Elternhaus; wie viele, die in den Kammern tätig
       waren, war er nach 1933 selbst diskriminiert und verfolgt worden.
       
       Dass Entnazifizierer wie Sachs wenige Monate nach der vermeintlich
       „bedingungslosen“ Kapitulation erneut in Angst leben mussten, war keine
       Seltenheit. Überall in Bayern wurden Spruchkammern angegriffen. Im Visier
       der militanten Rechten standen aber auch SPD- und KPD-Büros, alliierte
       Militärbehörden und Betreuungsstellen für NS-Verfolgte. Viele der Täter
       hatten zuvor NS-Organisationen angehört. Es waren zumeist junge „Altnazis“,
       die nun als „Neonazis“ agierten, weil sie die eigene Niederlage und die
       neuen, durchaus noch instabilen Machtverhältnisse nicht akzeptieren
       wollten.
       
       Seit 2015 gibt es am Münchner Königsplatz ein NS-Dokumentationszentrum,
       dessen Dauerausstellung über die Stadt zur Zeit des Nationalsozialismus
       informiert. Bis 3. April 2018 läuft zusätzlich dazu eine Sonderausstellung,
       die sich mit „Rechtsextremismus in Deutschland (gemeint ist bis 1990
       Westdeutschland) nach 1945“ beschäftigt unter dem Obertitel: „Nie wieder.
       Schon wieder. Immer noch.“
       
       Im Kern handelt es sich bei der Ausstellung um eine Chronologie, eine
       Zeitleiste, die von der „Verordnung der alliierten Militärregierung in
       Deutschland zur Auflösung der NSDAP und zum Verbot nationalsozialistischer
       Betätigung“ von 1945 bis zu Pegida-Demos vor ein paar Monaten reicht. Die
       Zeitleiste, an der man entlangläuft, ist zweigeteilt: Der untere Rand ist
       für die eigentlichen rechten Aktivitäten reserviert.
       
       Antisemitismus immer noch an der Tagesordnung 
       
       Er beginnt mit einer satirischen Collage zur Wirtschaftlichen
       Aufbau-Vereinigung (WAV), die 1945 in München gegründet wurde. In einer
       Zeit, da offen rechtsextreme Parteien von den Besatzern verboten waren,
       fungierte die vermeintlich nur an Wirtschaftsfragen orientierte WAV als
       Sammelbecken. Siebzig Jahre später und ein paar Meter weiter heißen die
       Parteien „Der Dritte Weg“, „Die Rechte“ und „Alternative für Deutschland“.
       
       Antisemitische Schmierereien, Friedhofsschändungen und Drohbriefe („Wir
       kommen wieder“, „6 Millionen Schmarotzer wurden vertilgt“) scheinen seit
       1945 durchweg an der Tagesordnung gewesen zu sein. Man fragt sich
       unweigerlich, wie hoch die Dunkelziffer der von Rechten zwischen 1945 und
       1990 ermordeten Menschen liegt, wenn die Amadeu Antonio Stiftung, deren
       Zahlen in die Ausstellung übernommen wurden, allein seit der
       Wiedervereinigung 192 Tote gezählt hat. Das Bundeskriminalamt kam von 1990
       bis 2015 auf immerhin 75 Todesfälle. Wie viele Tote, Verletzte und
       Eingeschüchterte gab es, als niemand zählte?
       
       Der obere Rand der Zeitleiste bildet den gesellschaftlichen Umgang mit der
       radikalen Rechten und unterschiedlichen Formen des Rassismus ab. Sie
       beginnt mit den Protesten jüdischer Überlebender gegen den Abdruck eines
       antisemitischen Leserbriefes durch die Süddeutsche Zeitung 1949 und einer
       Demonstration der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) 1950. Am
       Ende der Liste steht ein Hinweis auf einen Verein zur Unterstützung bei
       Diskriminierung, Rassismus und rechter Gewalt sowie auf den Dresdner
       Prozess gegen eine „Bürgerwehr“, die im sächsischen Freital Anschläge auf
       Asylunterkünfte und Übergriffe auf UnterstützerInnen von Geflüchteten
       verübte.
       
       Die Ausstellung kommt ohne Effekthascherei aus. Sie ist didaktisch, ohne
       belehrend zu sein. Vielleicht ist sie für Leute ohne ein professionelles
       Interesse am Thema weniger leicht zugänglich. Sie führt schnörkellos, mit
       gut ausgewählten Schrift-, Bild- und Ton-Dokumenten in eine Vorgeschichte
       der Gegenwart ein, die zeigt, wie grundfalsch es ist, mit Blick auf die
       radikale Rechte nur auf den Osten zu zeigen.
       
       „Nie wieder!“ galt auch dem Militarismus 
       
       Eine Schwäche der Ausstellung ist, dass nicht genug gezeigt wird, wie
       schwer es Bürgerinnen und Bürger lange Zeit hatten, die gegen
       Rechtsradikalismus auf die Straße gingen. Die bereits erwähnte VVN etwa
       wird im Dokumentationszentrum mehrfach als ganz normale
       zivilgesellschaftliche Gruppe dargestellt. Das ist einerseits sehr
       sympathisch, unterschlägt aber andererseits, dass die VVN als
       „extremistisch“ galt und in vielen Bundesländern lange verboten war. Die
       Begründung für die Repression waren die DDR-Kontakte der VVN, aber im
       Grunde störte ihre Propaganda.
       
       Ein weiteres Manko ist, dass die Ausstellung ein wenig der Eindruck
       vermittelt, als habe sich das antifaschistische „Nie wieder!“ 1945 nur auf
       den Rechtsradikalismus bezogen. Genau genommen ging es um einiges mehr, so
       um Militarismus. Auch protestierte die VVN in den 1950er und 1960er Jahren
       nicht nur gegen „neonazistische Tendenzen“, wie es in einer
       Bildunterschrift heißt, sondern auch gegen die Wiederbewaffnung, das Verbot
       der Kommunistischen Partei und vor allem auch dagegen, dass NS-belastete
       Richter und Polizisten den Kampf gegen den Neonazismus erschwerten.
       
       Die Dauerausstellung, die freilich mehr als dreimal so groß ist, verfolgt
       hier einen differenzierteren Ansatz. Im 4. Stock, wo der Aufstieg der
       NSDAP im München der Weimarer Republik erklärt wird, ist nicht nur von der
       Hitler-Partei und den Kräften die Rede, die sich ihr entgegenstellten. Ganz
       selbstverständlich in den Blick genommen werden auch die vielen
       Verbindungen zwischen der NSDAP und dem Staatsapparat, dem Militär, der
       Wirtschaft und der Publizistik. Ohne diese Verbindungen wären die Nazis
       niemals in der Lage gewesen, zu einer Bedrohung für den Weltfrieden zu
       werden.
       
       Und in der Bundesrepublik? Einerseits ist es natürlich offensichtlich, dass
       es hier der radikalen Rechten weit weniger gelang, Staat und Gesellschaft
       in ihrem Sinne zu mobilisieren. Andererseits wäre es einen Versuch wert,
       sich auch nach 1945 genauer anzuschauen, wie Staat und Gesellschaft mit der
       radikalen Rechten interagierten. Vielleicht findet sich dann eine Erklärung
       für deren relative Erfolglosigkeit. Der Gemeinplatz jedenfalls, wonach wir
       diese vor allem dem „Wirtschaftswunder“ verdanken, verfängt nicht wirklich:
       Wirtschaftlich ging es der BRD so gut wie nie, als die NPD 1964 ihren
       Aufstieg begann. Ähnliches lässt sich über die AfD-Erfolge sagen.
       
       7 Feb 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dominik Rigoll
       
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