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       # taz.de -- Lars Klingbeil über Große Koalition: „Führung muss Orientierung geben“
       
       > Der Generalsekretär der SPD schätzt Juso-Chef Kevin Kühnert – und will
       > für die Ergebnisse der Verhandlungen mit der Union werben.
       
   IMG Bild: Der Generalsekretär vor dem großen Vorsitzenden
       
       taz: Herr Klingbeil, die SPD will vor dem Mitgliedervotum über den
       Koalitionsvertrag „die diskursive Bandbreite der Debatte abbilden“, so der
       Beschluss beim Parteitag in Bonn. Was heißt das konkret? 
       
       Lars Klingbeil: Wenn ein Koalitionsvertrag zu Stande kommt, wird es vor dem
       Mitgliedervotum eine Reihe von Veranstaltungen für die SPD-Mitglieder
       geben. Da wird die Parteispitze natürlich die Ergebnisse der Verhandlungen
       darstellen – aber wir werden auch Raum für ein sachliche, kontroverse
       Diskussionen schaffen.
       
       2013 hat der Parteivorstand ein paar Hunderttausend Euro für eine Pro-Groko
       Anzeige in der Bild-Zeitung ausgegeben. Nicht gerade Waffengleichheit. Wird
       es wieder solche Anzeigen geben? 
       
       Nein, solche Anzeigen passen nicht zu dem neuen Diskussionsstil, den wir in
       der SPD gerade leben.
       
       2013 war dem Abstimmungszettel Werbung der Parteiführung für den
       Koalitionsvertrag beigelegt. Wird das 2018 auch so? 
       
       Es ist Aufgabe des Parteivorstands, den Koalitionsvertrag zu bewerten.
       
       Ist es fair, die Argumente für die Koalition in dem Brief mit dem
       Abstimmungszettel zu verschicken? 
       
       Die SPD-Führung muss Orientierung geben. Dafür ist sie gewählt.
       
       Haben die Jusos auch die Möglichkeit, ihre Gegenargumente dort zur Geltung
       zu bringen? 
       
       Nicht in der Bewertung des SPD-Parteivorstands, nein. Die DL21 (die
       Demokratische Linke 21, in der ein Teil des linken Parteiflügels
       organisiert ist A.d.R) verschickt schon vor Abschluss der Verhandlungen
       Argumente gegen die Große Koalition. Da hat mich auch niemand gefragt, ob
       ich meine Argumente für einen möglichen Koalitionsvertrag beilegen möchte.
       Es wird genügend Gelegenheiten für gemeinsame Diskussionen geben.
       
       Die Jusos fürchten, dass der Parteivorstand den Apparat in Bewegung setzt,
       um die 440.000 GenossInnen von der Groko zu überzeugen – sie aber noch
       nicht mal Mails an die Mitglieder schreiben können. Verstehen Sie diese
       Sorge? 
       
       Ich kümmere mich jetzt erstmal darum, dass wir einen guten
       Koalitionsvertrag bekommen und möglichst viele sozialdemokratische
       Forderungen durchsetzen. Die Debatte über das Ergebnis kommt dann danach.
       
       Verstehen Sie die Sorge der Jusos? 
       
       Ehrlich gesagt nein. Mein Eindruck ist, dass die Jusos und ihre Position in
       der innerparteilichen Debatte und auch in den Medien sehr präsent sind.
       
       Die Groko-Gegner haben, anders als 2013, ein Gesicht. Fürchten Sie Kühnert? 
       
       Nein. Kevin und ich schätzen uns gegenseitig und arbeiten in vielen
       Bereichen gut zusammen. Es ist toll, dass wir so eine lebendige
       Jugendorganisation haben.
       
       Sie waren vor zehn Jahren mal Vize-Jusochef. Hätten Sie auch so agiert, wie
       Kühnert jetzt? 
       
       Ich hätte mich wahrscheinlich, jedenfalls in dieser Situation, darauf
       konzentriert, sozialdemokratische Forderungen im Koalitionsvertrag
       durchzusetzen.
       
       Manche finden die „Tritt ein, sag nein“ Kampagne der Jusos gefährlich. Karl
       Lauterbach glaubt, dass „SPD-Hasser kurz eintreten, um der Partei zu
       schaden“… 
       
       Natürlich will ich nicht, dass Leute eintreten, abstimmen und wieder
       austreten. Aber wir sollten nicht ängstlich sein. Aus den Ortsvereinen und
       Kreisverbänden höre ich, dass die allermeisten, die derzeit zur SPD kommen,
       ein echtes Interesse haben bei uns mitzuarbeiten. Weil wir lebendig und
       spannend über Gesellschaftspolitik diskutieren.
       
       Die SPD beteuert, sich zu erneuern. Was heißt das? 
       
       Wir müssen unsere Strukturen öffnen. Berufstätige, junge Väter und Mütter,
       die wenig Zeit für Parteiarbeit haben, müssen sich digital viel besser
       beteiligen können. Und wir müssen für Frauen und Jüngere attraktiver
       werden.
       
       Ist die SPD eine Machopartei? 
       
       Das ist eine verbreitete Kultur in der SPD, die wir ändern müssen. Wir
       brauchen offenere Debatten, die nicht breitbeinig und bevormundend geführt
       werden.
       
       Sie sind nur mit 70 Prozent zum Generalsekretär gewählt worden. Weil viele
       unzufrieden waren, dass die SPD zwar verkündet weiblicher und jünger zu
       werden – dann aber wie immer ein Niedersachse, der zum rechten Seeheimer
       Kreis gehört, den Job bekommt. 
       
       Moment. Wir haben gesagt: Die SPD soll jünger, weiblicher und digitaler
       werden. Ich erfülle, mit 39 Jahren noch gerade so, zwei dieser Kriterien.
       Und ich werde hart daran arbeiten, dass die Partei weiblicher wird.
       
       Wie? 
       
       Das fängt zum Beispiel damit an, dass es kein vom Willy-Brandt-Haus
       organisiertes Podium mehr geben wird, auf dem nur Männer sitzen. Wir werden
       eine Stabsstelle für Gleichstellung einrichten, in allen Bereichen der
       Parteiarbeit auf diese Themen achten wird.
       
       Damit ist die SPD aber ganz schön spät dran. 
       
       Die SPD muss sich an vielen Stellen modernisieren, und wir arbeiten hart
       daran, dass das gelingt. Das SPD Präsidium besteht nun zur Hälfte aus
       Frauen. Das Team, das den Koalitionsvertrag verhandelt, ist zu fünfzig
       Prozent weiblich. Und die SPD wird, sollten wir in die Bundesregierung
       gehen, auch die Ministerposten zur Hälfte mit Frauen besetzen. All das
       gehört zum Erneuerungsprozess.
       
       Die SPD verordnet sich seit 30 Jahren nach Wahlniederlagen immer
       Strukturreformen und verspricht Erneuerungen – an die sich nach einem Jahr
       niemand mehr so richtig erinnern kann. Warum soll das diesmal anders sein? 
       
       Die SPD hat bei der Bundestagswahl 20,5 Prozent bekommen. Alle in der
       Partei müssen begreifen, dass sich etwas ändern muss. 2013 wurden
       Änderungen versprochen und wenig gehalten. Ich bin Generalsekretär
       geworden, damit wir diesmal ernst machen.
       
       Gehört zur Erneuerung, dass die SPD ernst macht mit Umverteilungspolitik?
       Die Schere geht bei den Vermögen immer weiter auseinander… 
       
       Das stimmt. Deshalb muss die SPD wieder ein Ort der Debatte über
       Verteilungsgerechtigkeit werden. Und vor allem über die Digitalisierung,
       die die Arbeitswelt radikal verändert. Wir haben darüber in den letzten
       Jahren viel zu wenig diskutiert, auch nicht über sozialdemokratische
       Alternativen zum bedingungslosen Grundeinkommen. Wir haben nach der
       Bundestagswahl 2013 keinen programmatischen Vorrat aufgebaut. Das war auch
       ein Problem unseres Wahlkampfes.
       
       Wie verstehen Sie ihren Job als Generalsekretärs – wie einst Franz
       Müntefering als Angreifer, oder diskursiv wie Katarina Barley? 
       
       Ich bin eher diskursiv. Ich will überzeugen, nicht erzwingen.
       
       Und wer tritt dann der Union mal vor das Schienbein? 
       
       Ich werde schon darauf hinweisen, wo die Unterschiede zur Union sind. Aber
       die Zeit der Macho-Generalsekretäre ist vorbei. Mich nerven Politiker, die
       in Talkshows immer nur draufhauen, nur den Konflikt suchen. Das ist ein
       überholter politischer Stil.
       
       Wirklich? Wir dachten, dass die SPD, anders als in der letzten Großen
       Koalition, auf Abgrenzung zur Union gehen wird? 
       
       In der letzten Bundesregierung ist ab und zu der Eindruck entstanden, dass
       SPD und Union die besten Freunde sind. Das werden wir ändern. Aber nicht
       über Krawall. Sondern indem wir uns als eigenständige fortschrittliche
       Partei präsentieren.
       
       Ein Problem der SPD ist noch immer, dass sie sich ihre Niederlagen
       schönredet. Beim Familiennachzug für Flüchtlinge hat sich eindeutig die
       Union durchgesetzt. Trotzdem feiert Martin Schulz das als Erfolg… 
       
       Es werden 12.000 Angehörige von Flüchtlingen im Jahr kommen können, plus
       Härtefälle. Das ist ein Fortschritt, verglichen mit der jetzigen Situation.
       Mehr war mit der Union nicht drin. Schauen Sie sich die Mehrverhältnisse im
       Bundestag an. Die Alternative lautete: 12.000 plus Härtefälle oder null.
       
       2 Feb 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Reinecke
   DIR Ulrich Schulte
       
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