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       # taz.de -- In der Heimat von Andrea Nahles: Ode an die Eifelperle
       
       > Die Weiblichkeitsperformance von Andrea Nahles fügt sich in die Umgebung
       > ein – jedenfalls in der Vulkaneifel, wo die SPD-Frau herkommt und wohnt.
       
   IMG Bild: Nicht weit von hier kommt „Ett Andrea“ her: Eifellandschaft bei Monreal in der Nähe von Weiler
       
       Eine Frau aus der Eifel ist keine, mit der man Pferde stehlen kann.
       Vielmehr hat sie welche auf der Weide hinter dem Haus stehen, auf einem
       Stück Wiese, das schon ihren Großeltern und Urgroßeltern gehört hat.
       
       Aber das Bild, das sich die Öffentlichkeit von der SPD-Spitzenfrau Andrea
       Nahles macht, ist eben meist nicht präzise; oft wirkt es wie mit spitzen
       Fingern entworfen, die elegant über Tastaturen von Mac-Rechnern gleiten,
       die in mehr oder weniger mondänen Metropolen aufgestellt sind. Und hier und
       da hinterlassen die Fingerchen ein bisschen Angstschweiß: Als burschikos
       und kumpelhaft wird Andrea Nahles dargestellt und, mal mehr oder weniger
       unverhohlen, als Trampel aus der Provinz. Und dann auch noch die Stimme:
       Also, nein.
       
       Sollte eine Frau wirklich so sein? Gehört sich das? Bätschi? Wide-wide-wid?
       Ein Lachen, das „eine Kneipe schmücken würde“ (Die Welt)?
       
       In der Vulkaneinfel, also dort, wo Andrea Nahles herkommt und noch immer
       wohnt, und zwar in einem Haus, das schon ihren Urgroßeltern gehört hat,
       schon. Man muss nicht in Weiler bei Mayen gewohnt haben, es reicht auch, im
       rund fünfzig Kilometer entfernten Wengerohr bei Wittlich groß geworden zu
       sein, um die Lebenswelt von Andrea Nahles zu begreifen.
       
       „Ett Andrea“ nämlich, im moselfränkischen Dialekt sind Frauen sächlich, ist
       dort keineswegs eine ungewöhnliche, gar deviante Frau. Vielmehr fügt sich
       ihre Weiblichkeitsperformance nahtlos in die Umgebung ein – und wird dort,
       im Gegensatz zu womöglich etwas verfeinerteren, urbanen Milieus auch
       geschätzt.
       
       ## Paris ist mehr als 500 Kilometer entfernt
       
       Paris ist, von Weiler aus gesehen, mehr als 500 Kilometer entfernt, Berlin
       sogar 650. In Weiler steht man nicht morgens zwei Stunden früher auf, weil
       man sich ohne aufwendige Morgentoilette gar nicht erst in die Metro traut –
       und man sitzt auch nicht, wie in Berlin, lässig in selbiger mit einem
       Feierabendbier.
       
       In Weiler gibt es ja nicht mal einen Bahnhof; wer hier überleben will,
       braucht ein Auto. Andrea Nahles, Jahrgang 1970, weiß daher wahrscheinlich
       sogar, wo genau man beim Golf I mit dem Hammerstiel auf den Anlasser hauen
       muss, wenn der Magnetschalter klemmt. In der Vulkaneifel muss man so etwas
       auch als Frau wissen – zum Beispiel, wenn man nachts auf dem Parkplatz der
       (nunmehr geschlossenen) Alternativbauerndisco „Musicalbox“ in Kaisersesch
       steht und bei Nacht und Nebel die Karre nicht anspringt. Man muss
       Bierkästen mit Bitburger Pils zur „Schutzhütte“ tragen können (im Wald
       gelegene Grillunterstände, in denen die Dorfjugend feiert) und wissen, wie
       man ein Notstromaggregat bedient (sonst gibt es auf der Schutzhütte kein
       Licht, wenn die Männer zu besoffen sind).
       
       Zu der Robustheit, die für die Existenz in Wald, Wiesen und auf Feldern
       gefordert ist, gesellen sich die häuslichen Fertigkeiten: Die Herstellung
       eines Schichtsalates oder einer Käsesahnetorte muss die Eifelfrau auch im
       Schlaf und ohne zu klagen, beherrschen, denn solche Dinge sind stets in
       Tupperbehältnissen mitzubringen bei Geselligkeiten (Feuerwehrfest, runder
       Geburtstag, Vereinstreffen, SPD-Ortsvereinstreffen). Das war es aber dann
       auch schon mit dem Süßlichen: Wenn die Eifelfrau nicht gerade Backwerk
       herstellt, gibt sie sich eher herb und robust, es sei denn, sie heiratet.
       Dann, für diesen einen Tag, wirft sie sich wirklich in (weiße!) Schale,
       trägt hohe Schuhe, Schmuck, Parfüm und gibt alles, was sich im Bereich des
       Gendernormcore herausholen lässt.
       
       Im übrigen Teil des Jahres (und des Lebens) würden lange Fingernägel jedoch
       nur stören. Man trägt praktische Kurzhaarfrisuren, Hosen, festes Schuhwerk
       und Funktionskleidung, die längst die Kittelschürze abgelöst hat. Denn die
       Eifelfrau packt mit an. Die grünen Eternit-Platten auf den Fassaden müssen
       geschrubbt und der Waschbeton unter dem Carport gekärchert werden. Die
       Renekloden müssen eingemacht werden und der Schinken auf Buchenholz
       geräuchert. Mögen auch die Milchkannen nach dem Krieg leichter geworden
       sein, nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil mussten die Eifelfrauen sogar
       als Messdienerinnen ran.
       
       ## Die Bibel – wichtigste Gerätschaft der Eifelfreu
       
       Neben Werkzeugkasten und Rührgerät ist denn auch die Bibel die wichtigste
       Gerätschaft der Eifelfrau. In der Region ist man katholischer als in
       Süditalien, woran weder die preußische noch die französische
       Besatzungsmacht je etwas ändern konnte – und die Sozialdemokratie schon mal
       gar nicht. Wenn also nicht gerade Pferde gestriegelt oder Kartoffeln
       gerieben werden müssen für den „Schoales“ (Kartoffelkuchen), wird gebetet.
       
       Die Männer („Die Kerlen“) haben ansonsten nicht viel zu melden in der
       Eifel. Sie hacken Holz und machen (ebenfalls in Funktionskleidung) Sport
       oder gehen unauffällig irgendeiner Betätigung nach. Frauen, die das große
       Wort führen und überhaupt sagen, wo es langgeht („die ihre Meinung sagen“,
       „durchsetzungsfähig“ sind wie „ett Andrea“), fallen in der Eifel daher
       überhaupt nicht auf. Nicht gut gelitten sind allenfalls solche Eifelfrauen
       (und -männer), die „glauben, etwas Besseres zu sein“ oder sonst wie „die
       Nase zu hoch tragen“, was meist nur als Umschreibung für ein in der Regel
       nicht gut gelittenes Anderssein verwendet wird.
       
       Eine rote Maurermeistertocher aus der Eifel jedenfalls kann den Laden hier
       mindestens so robust in Betrieb halten wie eine schwarze Pfarrerstochter
       aus dem Pommerschen. Von ihrem Wesen her ist sie jedenfalls mindestens so
       schwarz wie Angela Merkels Handeln rot. Und, klar: Heimatministerin könnte
       Andrea Nahles auf jeden Fall.
       
       23 Feb 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Martin Reichert
       
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