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       # taz.de -- Armut trotz Ruhm auf der Berlinale: Ein Silberner Bär macht nicht reich
       
       > Nazif Mujić, bosnischer Berlinale-Preisträger des Jahres 2013, ist
       > gestorben – an der Armut, von der der Film handelt, der ihn berühmt
       > gemacht hat.
       
   IMG Bild: Der größte Moment seines Lebens: Nazif Mujić mit seinem „Teddybären“ auf der Berlinale 2014
       
       Es ist bittere Ironie, dass Nazif Mujić das, was ihn immer wieder ins
       Rampenlicht rückte, am dringendsten loswerden wollte: die Armut und das
       Elend, in denen er lebte und an denen der 46jährige in der Nacht zum
       vergangenen Sonntag gestorben ist.
       
       Bekannt wurde der bosnische Rom Mujić durch den halbdokumentarischen Film
       „Aus dem Leben eines Schrottsammlers“ von Oscar-Regisseur Danis Tanović, in
       dem Mujić und seine Frau Senada sich selbst spielen. Die Handlung beruhte
       auf wahren Begebenheiten.
       
       Obwohl klar war, dass das Kind, das Senada seit sechs Monaten in sich trug,
       tot war, wurden sie im Krankenhaus nicht behandelt: Die Mujićs hatten, sie
       so viele Menschen auf dem Balkan, keine Krankenversicherung und kein Geld
       einen Arzt zu bezahlen. Nur mit Hilfe der Krankenversicherungskarte einer
       Bekannten konnte Senadas Leben gerettet werden.
       
       Davon las der bekannte Regisseur Tanović in der Zeitung. Er nahm Kontakt zu
       den Mujićs auf und drehte den Film, der auf der Berlinale 2013 den großen
       Preis der Jury bekam – und dem Laienschauspieler Nazif Mujić einen
       Silbernen Bären bescherte.
       
       ## Ruhm als Fluch
       
       Die Bilder, auf denen der damals 41-Jährige vor Freude den fast zahnlosen
       Mund aufreißt und dankbar die Hand seines „besten Freundes Danis“ ergreift,
       drangen bis nach Bosnien, wohin Mujić nach der Prämierung voller Hoffnung
       zurückkehrte. Doch zu hause hielt man ihn fortan für einen reichen Mann,
       der es im Ausland zu etwas gebracht hatte und den man nun nicht mehr an den
       Schrottvorkommen beteiligen musste.
       
       Der Berliner Regisseur Zoran Solomun hat Nazif Mujić 2015 mehrmals besucht
       und das Leben sein der Roma-Siedlung einem mehrteiligen
       [1][SWR-Radiofeature] beschrieben. Vom Ruhm blieb dem Preisträger nur der
       Silberne Bär, ein Preisgeld hatte er keines bekommen. Er war wieder ganz
       unten angelangt. Also machte er sich ein Jahr später mit seiner Familie
       erneut auf nach Berlin. Der Berlinale-Sieger von 2013 wurde zum
       Asylbewerber.
       
       ## Flüchtlingsheim statt Hotel
       
       Diesmal wohnten er, Senada und ihre drei Kinder Šemsa, Sandra und der
       kleine, nach dem Regisseur benannte Danis nicht im Hotel, sondern in einem
       Flüchtlingsheim in Berlin-Spandau. [2][Als die taz sie in ihrem kargen
       Zimmer trifft, wo sie auf ihren Asylbescheid warten, stellt Nazif sich so
       vor: „Mein Name ist Mujić Nazif, ich bin der beste Schauspieler der
       Berlinale.“]
       
       Er sei gekommen, um seien „Teddybären“ einzutauschen für eine faire Chance.
       Er sorge sich um die Zukunft seiner Kinder. „Ich will nicht, dass sie
       einmal sagen, das ist unser Papa, er ist der beste Schauspieler, aber uns
       hat er nichts hinterlassen“, sagte er damals.
       
       ## Zurück in die Armut
       
       Nach dem taz-Bericht fielen Massen von Fernsehteams, Radioreporter und
       Zeitungsleute bei ihm in der Unterkunft vorstellig. Mujić ist glücklich, er
       steht erneut im Rampenlicht, wieder macht er sich Hoffnungen: Die Berlinale
       besorgt eine Anwältin, taz-Leser*innen Spenden Geld, mit dem er seiner Frau
       eine Winterjacke und Schuhe kauft, damit sie sie gegen die löchrigen
       Sandalen eintauschen kann.
       
       Doch Mujić’Antrag wird abgelehnt, die Familie muss wieder zurück in die
       Armut. [3][Im Dezember 2016 verkauft er seinen Silbernen Bären für 4000
       Euro.] „Ich musste das tun“, erklärte er seinen Schritt auf der Website
       Klix.ba, „jeden Tag schaue ich auf die silberne Figur, während meine Kinder
       nichts zu essen haben.“
       
       ## Der verkaufte Bär
       
       Am Morgen des vergangenen Sonntags – dem 4. Tag der aktuellen Berlinale –
       wurde Nazif Mujić in seinem unverputzten Haus in der Roma-Siedlung Svatovac
       nahe der nordostbosnischen Stadt Tuzla tot aufgefunden. Es war bekannt,
       dass er seit einigen Jahres Diabetes hatte – und oft das Geld fehlte, um
       Insulin zu kaufen.
       
       Beerdigt wird Mujić nach muslimischen Ritus noch diese Woche auf dem
       Roma-Friedhof von Svatovac, so Mehmed Mujić vom Rat der nationalen
       Minderheiten Bosnien-Herzegowinas. Er hinterlässt seine Frau und seine
       Kinder völlig mittellos.
       
       Zur diesjährigen Berlinale wollte Nazif Mujic offenbar wieder nach
       Deutschland kommen, um seine Geschichte zu erzählen. Das Busticket hatte er
       bereits gekauft. Offenbar hatte er die Hoffnung bis zuletzt nicht verloren.
       
       20 Feb 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.swr.de/swr2/programm/sendungen/tandem/swr2-tandem-nazif-und-der-silberne-baer-1-5/-/id=8986864/did=20739022/nid=8986864/iw4gch/index.html
   DIR [2] /!5050269/
   DIR [3] /!5365789/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sunny Riedel
   DIR Rüdiger Rossig
       
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