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       # taz.de -- Debatte Finanzkasino: Genial und manchmal falsch
       
       > Mit seinen Prophezeiungen lag das Kommunistische Manifest von Karl Marx
       > daneben. Trotzdem hat es uns heute noch was zu sagen.
       
   IMG Bild: Gibt es trotz Marx noch immer: harte Arbeit
       
       Die kurze Schrift hat nichts von ihrer Frische verloren: Das Kommunistische
       Manifest wird jetzt 170 Jahre alt und ist noch immer einer der
       meistgelesenen Texte aller Zeiten. Viele Sätze sind zu Aphorismen geworden,
       die fast jeder kennt. Weltberühmt ist der Einstieg: „Ein Gespenst geht um
       in Europa – das Gespenst des Kommunismus.“ Genauso bekannt ist das Ende:
       „Die Proletarier haben nichts zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine
       Welt zu gewinnen.“
       
       Beide Prophezeiungen waren falsch. Der Kommunismus hat sich nicht
       durchgesetzt, und Proletarier haben heute weit mehr zu verlieren als nur
       ihre Ketten. Auch Arbeiter besitzen Autos, Fernseher und Handys. Warum übt
       der Text trotzdem einen solchen Sog aus?
       
       Karl Marx konnte ein genialer Stilist sein. Sein Manifest ist prägnant,
       elegant, sarkastisch und witzig. Die kurzen, apodiktischen Sätze sind von
       biblischer Sprachgewalt, und noch heute wirkt der Text prophetisch, weil er
       düster-dramatisch eine kapitalistische Zukunft skizziert, die im 21.
       Jahrhundert nicht fremd wirkt.
       
       Marx war kein Moralist – er verstand sich als Analytiker. Er wollte die
       Kapitalisten nicht verdammen, sondern ihre Funktion beschreiben. Daher
       erkannte er klar, dass die Bourgeoisie „eine höchst revolutionäre Rolle
       gespielt“ habe.
       
       Zynisch und doch bewundernd fasste Marx zusammen, wie die Unternehmer die
       Gesellschaft umgestaltet hatten: „Die Bourgeoisie … hat alle feudalen,
       patriarchalen, idyllischen Verhältnisse zerstört. Sie hat … kein anderes
       Band zwischen Mensch und Mensch übrig gelassen als das nackte Interesse,
       als die gefühllose ‚bare Zahlung‘. Sie hat die heiligen Schauer der frommen
       Schwärmerei, der ritterlichen Begeisterung, der spießbürgerlichen Wehmut in
       dem eiskalten Wasser egoistischer Berechnung ertränkt. … Sie hat, mit einem
       Wort, an die Stelle der mit religiösen und politischen Illusionen
       verhüllten Ausbeutung die offene, unverschämte, direkte, dürre Ausbeutung
       gesetzt.“
       
       ## Kapitalismus ist dynamisch
       
       Genauso wortgewaltig konnte sich Marx für die technischen Errungenschaften
       seiner Zeit begeistern. Erst die Bourgeoisie habe „bewiesen, was die
       Tätigkeit des Menschen zustande bringen kann“. Und er zählt auf:
       „Unterjochung der Naturkräfte, Maschinerie, Anwendung der Chemie auf
       Industrie und Ackerbau, Dampfschifffahrt, Eisenbahnen, elektrische
       Telegraphen, Urbarmachung ganzer Weltteile …“
       
       Marx verstand früher als alle anderen Ökonomen, dass der Kapitalismus
       dynamisch ist und sich mit statischen Kategorien nicht fassen lässt: „Die
       fortwährende Umwälzung der Produktion, die ununterbrochene Erschütterung
       aller gesellschaftlicher Zustände, die ewige Unsicherheit und Bewegung
       zeichnet die Bourgeoisieepoche vor allen anderen aus. … Alles Ständische
       und Stehende verdampft, alles Heilige wird entweiht.“
       
       Zudem sah er, dass der Kapitalismus global ist und nicht an den deutschen
       Grenzen endet: „Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Absatz für
       ihre Produkte jagt die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel. Überall muss
       sie sich einnisten, überall anbauen, überall Verbindungen herstellen.“
       
       Marx war ein Schüler Hegels und dachte daher in dynamischen Widersprüchen,
       auch Dialektik genannt: These und Antithese sollten zur Synthese führen.
       Der grandiose Aufstieg der Bourgeoisie war die These, die zum Abschluss
       noch einmal zusammengefasst wurde: „Mit einem Wort, sie (die Bourgeoisie)
       schafft sich eine Welt nach ihrem eigenen Bilde. … Sie hat die Bevölkerung
       agglomeriert, die Produktionsmittel zentralisiert und das Eigentum in
       wenigen Händen konzentriert.“
       
       ## Paradox: Überfluss als Problem
       
       Doch dann folgte die Antithese, wurde der Untergang der Bourgeoisie
       prognostiziert. Denn im Kapitalismus zeigte sich ein irritierendes Paradox:
       Ausgerechnet der Überfluss wurde zum Problem. Es kam zu Handelskrisen,
       „welche in ihrer periodischen Wiederkehr immer drohender die Existenz der
       ganzen bürgerlichen Gesellschaft in Frage stellen. … die Industrie, der
       Handel scheinen vernichtet, und warum? Weil sie zu viel Zivilisation, zu
       viel Lebensmittel, zu viel Industrie, zu viel Handel besitzt.“
       
       Da Reichtum auch Armut schuf, würde die Bourgeoisie nicht überleben, so
       lautete zumindest die Prognose von Marx: „Die Bourgeoisie hat nicht nur die
       Waffen geschmiedet, die ihr den Tod bringen; sie hat auch die Männer
       gezeugt, die diese Waffen führen werden – die modernen Arbeiter, die
       Proletarier. … Sie produziert vor allem ihre eigenen Totengräber.“ Es
       folgt, als dialektische Synthese, die kommunistische Gesellschaft.
       
       Kaum war das Manifest niedergeschrieben, wurde es von den Ereignissen
       überholt. Der Text war noch in Druck, als im Februar 1848 eine Revolution
       in Paris ausbrach, die auch die deutschen Länder erfasste. Im März kam es
       zu Straßenschlachten in Berlin; im Mai konstituierte sich die
       Nationalversammlung in Frankfurt, die eine demokratische Verfassung für ein
       geeintes Deutschland ausarbeiten wollte.
       
       Doch diese bürgerliche Revolution scheiterte in ganz Europa und auch in
       Deutschland. Spätestens ab Juli 1849 saßen die Monarchen überall wieder
       fest auf ihrem Thron. Nach diesem Fiasko wusste Marx, dass mit weiteren
       Revolutionen oder gar einem Klassenkampf nicht mehr zu rechnen war.
       
       ## Marx – ein Ökonom, kein Revolutionär
       
       Da Marx jedoch vom dialektischen Materialismus nicht lassen wollte, musste
       es einen Akteur geben, der den Sozialismus selbst dann hervorbrachte, wenn
       das Proletariat als revolutionäres Subjekt ausfiel. Dieser subversive Agent
       konnte nur der Kapitalismus selbst sein. Es galt also, die Widersprüche in
       diesem komplexen System zu entdecken. Marx wandelte sich vom Revolutionär
       zum Ökonomen.
       
       1867 erschien dann sein Hauptwerk „Das Kapital“, wo vieles wieder
       auftaucht, was im Manifest schon angelegt ist. Beide Texte verbindet, dass
       Marx den Kapitalismus nicht nur überwinden wollte – sondern auch verstehen.
       Diese empirische Neugier macht ihn so aktuell.
       
       19 Feb 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ulrike Herrmann
       
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