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       # taz.de -- Kunst über Rechtspopulismus: Ready Made Nationalismus
       
       > Im Haus am Lützowplatz in Berlin bringt Raimar Stange Künstler zusammen,
       > die sich an dem Thema auf unterschiedliche Weise reiben.
       
   IMG Bild: Politische Schmuddeligkeit: Burschenschaftsfahne und Holzskulptur
       
       Vorhang oder Stofflappen? Ein Meter mal ein Meter groß, hängt es von der
       Decke. Die Ränder schwarz, innen grün und weiß, durchzogen von fleckigen
       braunen Schlieren, erinnert es an [1][abstrakte Farbfeldmalerei]. Links
       davon leuchtet ein Schriftzug: „DIE DEUTSCHE BEVÖLKERUNG“. Durch
       verschieden-farbige Lettern kommt es zu einer Visualisierung nationaler
       Demografie: Jeder fünfte Deutsche sei demnach ausländerfeindlich, jeder 19.
       gar rechtsextrem, nur ein Achtel sozial eingestellt.
       
       Das ist mal eine Aussage und in seiner – Achtung, Achtung – populistischen
       Deutlichkeit einigermaßen besorgniserregend. Blick zurück nach rechts: Der
       Lappen ist in Wirklichkeit die Fahne einer Burschenschaft aus Hannover.
       Steht der Dreck für die politische Schmuddeligkeit national-gesinnter
       Verbindungen oder soll ich etwa meine dreckigen Finger daran reinigen, mich
       moralisch reinwaschen? Mehr als zwei Jahre nachdem eine sogenannte
       Flüchtlingskrise die deutsche Parteienlandschaft verformte und
       fremdenfeindliche Hass-Kommentare zur digitalen Normalität gehören, tut
       sich Deutschland weiterhin schwer damit, einen angemessenen Umgang mit
       rechter Propaganda zu finden.
       
       Ideen gibt es dabei zuhauf. Sie reichen vom juristisch schwer
       durchsetzbaren Verbot, über die oft lauwarmen Vorschläge, endlich mit
       Rechten „zu reden“, bis zur möglicherweise die Kunstfreiheit gefährdenden
       [2][Neutralitätsbekundung, wie sie gerade mit Blick auf rechte Rockbands
       von Bremer Grünen, SPD und CDU gefordert wurde.] Und wie war das noch, sind
       jetzt etwa die Rechten Avantgarde? Das sind Fragen über Fragen.
       
       Mit der Ausstellung „Rechts“ widmet sich das Haus am Lützowplatz dem
       Schreckgespenst Rechtspopulismus und sucht nach künstlerischen Antworten.
       Zu sehen sind Arbeiten zehn deutscher Künstlerinnen und Künstler, die sich
       dem Thema zumindest formal auf sehr unterschiedliche Weise nähern. Neben
       dem oben erwähnten Readymade von Daniel Knorr und Silke Wagners
       Leuchtschrift gibt es Collagen, Gemälde und Konzeptkunst.
       
       ## Zuspitzung und Humorverlust
       
       Einige der Werke, die der Kurator Raimar Stange hier in drei Kellerräumen
       versammelt hat, erschließen sich sofort, andere, wie Manfred Pernices
       Draht-und-Holz-Skulptur „für Inge Deutschkron“, in der angeblich ein Buch
       der deutsch-israelischen Publizistin versteckt ist, tun dies nicht. Diese
       Bandbreite ist erst mal erfreulich, scheint sie doch die unterschiedlichen
       politischen und zivilgesellschaftlichen Positionen im Hinblick auf den
       Rechtspopulismus zu spiegeln.
       
       Das Problem ist aber: Eine ausgeglichene Abbildung öffentlicher Positionen
       zu diesem Thema führt fast zwangsläufig zu dramatischer Zuspitzung und
       Humorverlust, schließlich bleibt eine „deutsche“ Auseinandersetzung mit
       sogenannten „Rechtspopulisten“ oft der traumatischen Geschichte des
       Nationalsozialismus verhaftet. An dieser schicksalshaften Beschränkung
       leidet auch die Ausstellung, wie sich nicht nur an der Frakturschrift des
       Ausstellungstitels erkennen lässt. Auch fast alle Kunstwerke beziehen sich
       in der einen oder anderen Weise auf die NS-Zeit.
       
       Begrüßenswert sind in diesem Zusammenhang zwei Arbeiten, die sich diesem
       Gegenstand spielerisch nähern. Hier ist das unauffällig gestaltete Heft zu
       nennen, das im Gewand einer Publikation von Unterrichtsmaterial vom
       „Bayrischen Staatsministeriums für Bildung, Kultur und Demokratie“ zum
       Jubiläumsjahr „Scholl 2017“ daherkommt. Darin finden sich Informationen zur
       Weißen Rose, Aufgaben zur Auflösung des „Staatsgast Dilemmas“ (Wenn ein
       ausländischer Diktator kommt, sollen wir ihn foltern oder nicht?) sowie
       Flugblätter zum Ausschneiden und Verteilen an den russisch-türkischen
       Bekanntenkreis.
       
       ## Wunschprojekt Linkspopulismus?
       
       In Wahrheit stammt das Heft vom Zentrum für politische Schönheit. Es ist
       gerade deshalb wertvoll, weil hier mit einem historisch begründeten
       Moralismus – von dem das Zentrum oft genug Gebrauch machte – gebrochen
       wird. Stattdessen wird die vermeintlich eindeutige „historische Lektion“
       als selbst kontingent und abhängig von Eigeninteresse erkennbar. Nicht
       umsonst überbieten sich Unionsleute regelmäßig darin, Putin oder Erdoğan zu
       kritisieren, während über Victor Orbáns Raubbau am Rechtsstaat
       eigentümliche Stille herrscht. Seltsam witzig ist in diesem Zusammenhang
       der Beitrag von Michaela Meise, die ein Mikro-Narrativ auf ein Banner
       geschrieben hat, in welchem sie den Akzent einer Deutschen als so „schwer
       wie einen ledernen Gestapo Mantel“ beschreibt.
       
       Klare Kante gegen Rechts ist – das kann man fast überall vernehmen – „gut“
       und „wichtig“. Aber was heißt das in einer Zeit, in der Rechte bei gutem
       Wetter neoliberaler sprechen als ein heißgelaufener Christian Lindner, aber
       bei Regen gemeinsam mit linken Kulturpessimisten versuchen das Erbe einer
       „klassischen“ Moderne zu retten? Soll es eine Strategie sein, die Gaulands,
       Straches und Dobrindts dieses Welt als Nazis zu markieren? Raimar Stange
       erwähnt in einem Begleittext die Möglichkeit eines linken Populismus, der
       „eine adäquate Antwort auf den grassierenden Rechtspopulismus“ sein könnte.
       Aber wie das konkret aussehen soll, davon erfährt man relativ wenig.
       
       13 Feb 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://de.wikipedia.org/wiki/Barnett_Newman
   DIR [2] https://www.rollingstone.de/angriff-auf-frei-wild-und-co-gruene-wollen-live-auftritte-zensieren-1443157/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Frederic Jage-Bowler
       
       ## TAGS
       
   DIR Rechtspopulismus
   DIR Politische Kunst
   DIR Schwerpunkt Nationalsozialismus
   DIR NS-Forschung
   DIR Ausstellung
   DIR Kunst
       
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