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       # taz.de -- „Bild“-Chef zum SPD-Mitgliederentscheid: Ausländer raus aus meiner Wahl
       
       > Über die Große Koalition werden alle SPD-Mitglieder abstimmen – auch die
       > ohne deutschen Pass. Julian Reichelt hat damit ein Problem.
       
   IMG Bild: Findet, dass man ohne deutsche Staatsbürgerschaft nicht in der Politik mitzureden hat: Julian Reichelt
       
       Während die meisten Redaktionen ungeduldig auf den Vertrag der Großen
       Koalition warten, [1][beschäftigt] den Bild-Chefredakteur Julian Reichelt
       ein anderer Aspekt rund um die Regierungsbildung: Wenn die SPD über den
       endgültigen Vertrag abstimmt, entscheiden auch Menschen, die keinen
       deutschen Pass haben, über eine mögliche Neuwahl.
       
       Die Erklärung dafür ist eigentlich simpel: In die SPD eintreten können alle
       Menschen ab 14 Jahren. Und alle Parteimitglieder haben eine Stimme. Das ist
       weder besonders neu, noch ein Alleinstellungsmerkmal der SPD.
       
       Reichelt findet es jedoch „unanständig“ und demokratieschädigend, dass
       Leute, die aufgrund ihres Passes von der Bundestagswahl ausgeschlossen
       sind, nun etwas mitentscheiden können, nämlich, ob die SPD sich auf die
       Große Koalition einlässt oder nicht. Um wie viele Menschen es sich handelt,
       weiß niemand so genau, schätzungsweise sind es bloß zwei Prozent, also etwa
       7.000 Personen.
       
       ## Völkische Logik
       
       Eigentlich ist es auch egal, wie viele Leute es sind, denn das Prinzip
       funktioniert nun einmal so: Bei einem Mitgliederentscheid entscheiden alle
       Mitglieder. Soll die SPD jetzt anfangen, Informationen über die
       Staatsangehörigkeit ihrer Mitglieder zu erfassen und diese in zwei Klassen
       einteilen, oder wie genau stellt Julian Reichelt sich den Prozess vor?
       Abgesehen davon sind EU-Ausländer_innen ohnehin berechtigt, an Kommunal-
       und Europawahlen teilzunehmen – zum Teil auch als Kandidat_innen.
       
       Der SPD-Sprecher Serkan Agci [2][reagierte] auf Twitter umgehend auf
       Reichelts völkisch anmutenden Kommentar: „In Deutschland geboren, hier Abi
       und Studium abgeschlossen, darf leider nicht wählen, weil türkischer
       Staatsbürger. Beim Mitgliedervotum der @spdde allerdings habe ich
       Stimmrecht. @jreichelt meint: das ist böse. Ich meine: Umgekehrt wird ein
       Schuh draus.“ Doch auch für diesen Fall fällt Reichelt eine Lösung ein:
       Agci sollte doch einfach Staatsbürger werden.
       
       Reichelts Gipfel der Empörung über diese, wie er es nennt, „Unterwanderung“
       ist damit noch nicht erreicht, denn der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert
       erdreistet sich, alle SPD-Mitglieder dazu aufzurufen, gegen die GroKo zu
       stimmen. Ganz „ohne Rücksicht“ auf den „Wählerwillen“. Gewählt ist gewählt,
       ob das jetzt irgendwelchen Ausländern und Zecken passt oder nicht! Finger
       weg von seiner Demokratie!
       
       Gut, 12,6 Prozent der Wähler_innen wollen eine rechte Partei voller
       Fundamentalist_innen, Holocaust-Leuger_innen und antidemokratischen
       Hetzer_innen, aber darin scheint Reichelt kein Problem zu sehen. Ist es
       vielleicht doch nicht die Demokratie, die er bedroht sieht, sondern die
       Barrieren gegen die Teilhabe von Menschen mit Migrationsgeschichte?
       
       ## Urbane Legenden als Nachrichten verkauft
       
       Eine aufgeheizte Stimmung gegen Migrant_innen, Geflüchtete und Menschen of
       Color ist im Klatschblatt Bild nichts Neues. Erst vor einigen Tagen
       [3][verbreitete es auf perfide Weise die Fake News], eine geflüchtete
       Familie „kassiere“ 7.300 Euro im Monat. Perfide deshalb, weil es sich um
       einen Bild-Plus-Text handelt, der vollständig nur Abonnent_innen zugänglich
       ist. Für alle anderen jedoch kostet der Text unterhalb der Überschrift
       „Flüchtlingsfamilie bekam monatlich 7.300 Euro“ Geld und hört deshalb an
       dieser Stelle auf.
       
       Im reißerischen Titel wird nicht aufgelöst, dass es sich um eine
       zehnköpfige Familie handelt und dieser die Summe nicht bar ausgezahlt wird.
       Die 7.300 Euro beinhalten nämlich die Kosten ihrer Unterkunft und die der
       sozialen Grundbetreuung. Die Höhe der Summe, die sie letztlich erhalten,
       beträgt den Sozialhilfesatz. Kindergeld gibt es keins.
       
       Der Artikel ging viral – denn genau das lesen die Bild-Leser_innen gerne,
       die sich in der herbeifantasierten Position der deutschen Opfer von Merkels
       Politik wohl fühlen. Und jetzt können sie dank Reichelt das Märchen über
       die bösen Ausländer, die den demokratischen Deutschen die Wahl verpfuschen
       – und sich sozusagen in ihre Politik „einmischen“ – weitererzählen.
       
       7 Feb 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://twitter.com/jreichelt/status/960966976884666369
   DIR [2] https://twitter.com/Serkan_Agci/status/960973523941580803
   DIR [3] http://www.bildblog.de/96290/bild-am-sonntag-treibt-keil-zwischen-arm-und-ganz-arm/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Hengameh Yaghoobifarah
       
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