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       # taz.de -- Werkschau von Lawrence und Felt: Pop für die Zeitkapsel
       
       > Lawrence Hayward wird als Musiker verehrt. Nun gibt es die Werkschau
       > seiner Band Felt und ein Album seiner aktuellen Band Go-Kart Mozart.
       
   IMG Bild: Das Enigma des britischen Pop: Lawrence mit Gitarre
       
       Wer von dem nach rechts ruckenden Morrissey die Nase voll hat, kann sich
       jetzt dem Werk einer anderen Koryphäe des britischen Pop zuwenden. Das
       Label Cherry Red veröffentlicht die ersten fünf Alben der Band Felt wieder.
       Ihr Sänger Lawrence Hayward, den alle nur bei seinem Vornamen Lawrence
       nennen, ist eine ähnlich solitäre Erscheinung wie sein Kollege von den
       Smiths.
       
       Nur dass er eben bisher nicht durch politischen Bullshit auffällig wurde.
       Schon der Name seiner 1979 in Birmingham gegründeten Band ist Ausdruck
       einer dandyesken Detailliebe, inspiriert war er von der Art und Weise, wie
       der New Yorker Protopunkkünstler Tom Verlaine in dem [1][Television-Song]
       „Venus“ das Wort „felt“ betonte.
       
       Erstaunlich ist, dass Lawrence, der mit Felt Anfang der Achtziger nach
       London zog, sich die großangelegte Wiederveröffentlichungsaktion gefallen
       lässt. Bisher machte es den Eindruck, als wollte er die Band für immer in
       einer Zeitkapsel bewahren. Die Band sollte ihre Zeit gehabt haben, von
       Anfang an hatte Lawrence den konzeptkunstartigen Plan verfolgt, zehn Alben
       und zehn Singles in zehn Jahren zu veröffentlichen. Nach je fünf Alben bei
       Cherry Red und bei dem Gitarrenpop-Flagship Creation löste er Felt 1989
       auf.
       
       ## Als alle dasselbe wollten
       
       Ein Jahr später schrieb Diedrich Diederichsen, dass Felt einen historischen
       Zustand von Pop markiert hätten, „an dem alle wichtigen Exponenten meiner
       Generation noch etwas Ähnliches bis dasselbe wollten“. Nur der
       einflussreiche BBC-Radiomoderator John Peel strafte Felt mit kategorischer
       Missachtung, was der inzwischen 56-Jährige bis heute nicht verwunden zu
       haben scheint.
       
       Die Band wurde zur semi-geheimen Verschlusssache, eine Reunion wird von
       Lawrence immer wieder kategorisch ausgeschlossen, obwohl es weltweit
       genügend Leute gibt, die sich nichts sehnlicher wünschen. In seinem gerade
       erschienenen Buch „C86 & All That. The Creation of Indie in Difficult
       Times“ schreibt der britische Journalist und Musiker Neil Taylor, keine
       andere Band jener Dekade sei heute so sehr Objekt obsessiver Verehrung wie
       Felt.
       
       Ein von dem in London lebenden deutschen Künstler Christian Flamm vor
       einigen Jahren herausgebrachtes Fanbuch über Felt mit dem Titel „Foxtrot
       Echo Lima Tango“ dokumentiert die unentrinnbare Faszination, die die
       Lawrence-Aura auf Bands wie Stereolab, The Clientele und nicht zuletzt
       Belle and Sebastian ausübte. Deren Sänger Stuart Murdoch verkündete einst,
       seine Band solle wie Felt werden, nur in Erfolgreich. Auch MGMT sind große
       Fans der Band und haben sie auf ihrer „Late Night Tales“-Compilation
       gewürdigt. Und Oasis haben angeblich ganze Gitarrensoli von einem raren
       Felt-Bootleg abgekupfert.
       
       ## Er sabotiert sich selbst
       
       Kein Attribut taucht in Texten über Lawrence so oft auf wie „enigmatisch“.
       Lawrence gilt als Genie mit rätselhafter Vermeidungsstrategie. Anno 1987,
       am Morgen eines wichtigen Auftritts vor Promotern und Musikmanagern – der
       Durchbruch stand mal wieder kurz bevor –, nahm er gemeinsam mit Douglas
       Hart von Jesus and Mary Chain LSD und musste das Konzert dann vorzeitig
       abbrechen. Obwohl Lawrence von der Idee besessen war, berühmt wie Mickymaus
       zu werden, sabotierte er seinen Plan immer wieder selbst. „All My Great
       Plans Get Blurred“, heißt es in [2][„The World Is As Soft As Lace“], das
       auf dem Album „The Splendour of Fear“ zu hören ist. Er wurde wohl selbst
       nicht so recht schlau aus sich.
       
       Nichtsdestotrotz war es nicht weniger als Pop in Vollendung, was Lawrence
       nach eigenem Bekunden anstrebte, Felt sollte „die perfekte Band“ sein.
       Perfektion hieß neben Könnerschaft: formale Strenge und Einfachheit der
       Mittel. Keines der ersten vier Alben geht länger als eine gute halbe
       Stunde, die Songs dauern nur selten länger als drei Minuten.
       
       Eine kahle Grundstruktur – Felt verzichteten konsequent auf den Einsatz von
       Becken – lässt viel Raum für die horizontal ausgreifenden
       Widescreen-Gitarren des klassisch ausgebildeten Gitarristen Maurice
       Deebank, der die Band 1985 verlassen sollte. Mit den elaborierten Akkorden
       und Soli überschritten Felt das Mitte der achtziger Jahre gängige
       Jangle-Pop-Format – auch wenn sie wie viele ihrer Zeitgenossen Fans von
       Velvet Underground und den Byrds waren. Über allem thront Lawrence’ von
       einem entrückten Ennui durchdrungener Gesang, der sich unverkennbar an Lou
       Reed orientiert.
       
       ## Schnippisch und porös
       
       Mit manierierter Coolness, manchmal schnippisch, dabei immer porös und
       verletzlich erzählt er von Selbstzweifeln, seelischen Schmerzen und der
       Sehnsucht nach Anerkennung durch die Welt da draußen. Lawrence war Bote
       einer transzendentalen Obdachlosigkeit, und man konnte sich damals auf eine
       ganz ähnliche Weise gemeint fühlen wie von den Songs der Smiths. Nur dass
       die psychischen Zonen, in die Lawrence’ von weit her nahende Stimme
       vordrang, noch viel schmerzempfindlicher waren.
       
       Wem Felt bisher entgangen ist, der sollte mit „The Splendour of Fear“
       beginnen. Lawrence selbst würdigte das 1984 erschienene Album als das
       atmosphärisch gelungenste. Das Arpeggio in Deebanks filigranem
       Gitarrenspiel, bei dem er die Akkorde auflöst und die einzelnen Töne mit
       lässiger Eleganz pointiert, erzeugt in Stücken wie „[3][A Preacher in New
       England“] einen sublimen Zeitlupeneffekt.
       
       Weniger repräsentativ ist das Album „Ignite the Seven Cannons“ von 1985.
       Zwar findet sich hier mit dem mit Elisabeth Fraser von den Cocteau Twins
       eingesungenen [4][„Primitive Painters“] das wohl bekannteste Felt-Stück,
       ansonsten wird hier der zerbrechliche signature sound von einer allzu
       übermächtigen Produktion verschlungen. Verantwortlich dafür zeichnete Robin
       Guthrie von den Cocteau Twins, dessen Vorliebe für Gothic Pop leider die
       Oberhand gewann.
       
       ## Vorliebe für Glam
       
       Zeitgleich mit den mit allerlei Beiwerk – Badges, Singles, Posters –
       garnierten Reissues erscheint mit „Mozart’s Mini Mart“ das neue Album der
       aktuellen Lawrence-Band Go-Kart Mozart. Sie entstand nach dem Ende der Band
       Denim, mit der Lawrence seine Vorliebe für Pub- und Glamrock auslebte und
       sich musikalisch radikal von Felt abwandte.
       
       Ein Denim-Titel lautete programmatisch „I’m Against the Eighties“. In
       [5][„Lawrence of Belgravia“], dem anrührenden Porträtfilm des britischen
       Filmemachers Paul Kelly, bezeichnet Lawrence Go-Kart Mozart als „erste
       B-Seiten-Band der Welt“ und „eine Band zum Mieten, die überall auftritt“.
       Wenngleich das etwas viel des Understatements ist: Die Songs klingen mit
       ihren überdrehten Music-Hall-Anleihen in der Tat oft offensiv billig, die
       antiquierten Elektronik-Sounds unterbieten willentlich den state of the
       art.
       
       Einige Stücke erinnern an schrille Novelty-Pop-Acts der siebziger Jahre
       oder an Kirmes-Techno. Aber es gibt dazwischen auch wunderschöne Refrains
       wie in [6][„A New World“]. Die Musik mag enthusiastisch klingen, aus den
       Texten ist die Trauer über das ungelebte Popstarleben immer herauszuhören.
       
       Sie handeln von Armut und unerfüllten Hoffnungen oder – wie in „When you’re
       depressed“ – vom tautologischen Wissen des seelisch Leidenden: „When you’re
       depressed/ You’re depressed“, singt Lawrence darin in kontrafaktischer
       Überschwänglichkeit. Von der metaphysischen Trägheit, die den Felt-Sound
       auszeichnete, ist die Musik so weit wie möglich entfernt. Wie bei allem,
       was Lawrence nach Felt gemacht hat, hat man das Gefühl, als wolle er sein
       früheres Ich unkenntlich machen und von einem imaginären Nullpunkt aus noch
       mal ganz neu beginnen.
       
       Auf seiner Flucht in die reine Gegenwart wird er gleichwohl immer wieder
       von Selbstzweifeln ausgebremst. „Warum habe ich es nicht geschafft? Was
       stimmt nicht mit mir?“, fragt er in der Schlusssequenz von „Lawrence of
       Belgravia“. Man möchte diesen von Verfehlung und Vergeblichkeit
       Gezeichneten mit der Floskel vom „heroischen Scheitern“ trösten, aber es
       kommen einem – wie bei den schönsten Felt-Liedern – einfach nur die Tränen.
       
       25 Feb 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.youtube.com/watch?v=4f3d5ZdE4vY
   DIR [2] https://www.youtube.com/watch?v=NWql_-85A8c
   DIR [3] https://www.youtube.com/watch?v=qqUFHLZW9_o
   DIR [4] https://www.youtube.com/watch?v=4H23WYe_pxc
   DIR [5] https://www.youtube.com/watch?v=18C2rjFiDPU
   DIR [6] https://www.youtube.com/watch?v=uXnjIZqEL-c
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Aram Lintzel
       
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