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       # taz.de -- Fälscher aus innerer Not
       
       > Von Gewalt geprägte Kindheit in Heimen der ehemaligen DDR führt zu mildem
       > Urteil für Kunstfälscher
       
       Von Uta Eisenhardt
       
       Hin- und hergerissen ist die Vorsitzende Richterin Kerstin Ritz, wenn sie
       über die Straftaten des Kunstdiebs und Fälschers Matthias W. befinden muss.
       Sie gibt zu: „Es ist nicht leicht, Ihnen gerecht zu werden.“ Sechs Jahre
       Haft wegen gewerbsmäßigen Betrugs und Diebstahls verhängt das Berliner
       Landgericht über den 46-Jährigen. Noch im Saal nimmt er das Urteil an.
       
       Im September 2014 war W. aus der Haft entlassen worden. Er hoffte, nach 18
       Jahren und sechs Monaten im Gefängnis endlich Frieden mit seiner
       Vergangenheit schließen zu können. Ausführlich hatte er während seiner Haft
       mit einer Therapeutin über seine Jugend in der DDR gesprochen, die er im
       Spezialkinderheim und Jugendwerkhof verbringen musste. Nie zuvor hatte er
       sich damit auseinandergesetzt, hatte sich dafür geschämt. W. besorgte sich
       seine Akten darüber und knüpfte Kontakt zur Union der Opferverbände der
       kommunistischen Gewaltherrschaft. Als er freikam, hatte er die Zusage für
       eine Umschulung zum Bürokaufmann. Er träumte von einem Arbeitsplatz, an dem
       er sich für seine ehemaligen Leidensgenossen nützlich machen könnte – und
       von einem Leben ohne Straftaten.
       
       Doch im Oktober 2015 verkaufte er drei von ihm gefälschte Grafiken mit
       erotischen Motiven im Stil von Maximilian Lenz. Der Auslöser für seinen
       Rückfall, so der Angeklagte, sei in seiner Jugend begründet. Der von seinen
       Eltern vernachlässigte Zwölfjährige galt als schwer erziehbar, weil er aus
       Angst vor seinem Stiefvater oft weggelaufen war, die Schule geschwänzt und
       Diebstähle begangen hatte. In Spezialeinrichtungen der DDR-Jugendhilfe
       sollte er mit militärischem Drill und harter Arbeit, Demütigungen und
       Prügel zu einem Sozialisten geformt werden. Matthias W. erinnert sich
       überdies an sexuellen Missbrauch und an einen Hühnerstall, in dem er
       eingesperrt wurde – seitdem reagiere er auf Geflügelprodukte mit
       Neurodermitis. Er berichtet, dass ihm ein Erzieher seinen Arm gebrochen
       hatte, erst zehn Tage später sei ihm medizinische Hilfe gewährt worden. Mit
       14 Jahren musste er erleben, wie sein Banknachbar auf dem Schulhof von
       einem anderen Insassen erschlagen wurde: Der Getötete hatte dem Täter
       mitteilen müssen, dass er kein Essen bekäme – „weil er kein Sozialist war“.
       
       „Es ist für uns nicht vorstellbar, was Herr W. durchgemacht hat“, sagt sein
       Verteidiger Rüdiger Portius. „Wie ein Vulkan kommen diese Verwerfungen
       immer wieder zum Vorschein.“
       
       Ausgebrochen waren sie wieder, als W. erfuhr, dass ihn seine ehemaligen
       Erzieherinnen wegen übler Nachrede angezeigt hatten: Im Netz hatte er sie
       „grausam und tyrannisch“ genannt und von der Zwangsarbeit berichtet, die er
       auf ihren Äckern und beim Bau ihrer Eigenheime geleistet habe. Obwohl jene
       Fakten längst publiziert waren, wurde W. verurteilt.
       
       Statt Anerkennung für sein Schicksal zu bekommen, wurde das Opfer zum Täter
       gemacht, die Täter zu Opfern. Die alte Spirale setzte sich in Gang: W.
       suchte die Anerkennung der Gesellschaft, indem er wieder Straftaten beging.
       Nur dass er diesmal die Kunst, die er verkaufte, zum Teil selbst produziert
       hatte. Das Geld, mehr als 100. 000 Euro, habe er auch benutzt, um durch die
       ehemalige DDR zu reisen und dort jedes Eingangsschild zu den insgesamt 181
       Orten, in denen Jugendliche gelitten hatten, mit Wimpeln zu kennzeichnen –
       weil es außer in Torgau und Bad Freienwalde keinen Hinweis auf das Leid der
       Betroffenen gibt.
       
       Aber W. ist nicht nur ein altruistisches Opfer, betont die Richterin. Durch
       seine Taten brachte er einen Sammler, der für 30.000 Euro gefälschte Fotos
       von August Sander erworben hatte, um seine fürs Alter gedachten
       Ersparnisse. Eine Familie, in deren Villa er in leicht alkoholisiertem
       Zustand eingebrochen war, versetzte er in Angst und Schrecken.
       
       Es ist ein moderates Urteil, denn das Gericht hat das, was W. in der DDR
       angetan wurde, strafmildernd berücksichtigt. Er hofft nun, dass sein neu
       entdecktes Talent als Maler ihm helfen könnte, sein Leid auszudrücken und
       nicht wieder straffällig zu werden.
       
       28 Feb 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Uta Eisenhardt
       
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