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       # taz.de -- Hannoversche Schau verpasst ihr Thema: Wenig echte Kommunikation
       
       > Die Schau „Beziehungskiste“ in Hannover schafft es nicht, Substanzielles
       > zu heutigen Kommunikationsgewohnheiten zu kommunizieren.
       
   IMG Bild: Telefon „Ericofon“, Polymethylmethacrylat, Schweden, hergestellt von 1954 bis 1982
       
       Hannover taz | Wer kennt sie nicht, die alltäglichen Tücken der
       Kommunikation? Es fängt schon an bei Anrede und Abschiedsformel in der
       E-Mail, dem heutigen Standardkommunikationsmittel, das in weiten Teilen das
       Telefonieren und erst recht den formvollendeten Brief verdrängt hat.
       „Hallöchen“ und „Tschüssi“ werden wohl ohnehin meist als unpassend
       empfunden.
       
       Das unpersönliche „Guten Tag“ ist ziemlich steif, und das weltläufig
       anglophile „Best“ oder „Warmly“ zum Schluss klingt aufgesetzt, und für
       ernstgemeinte „Liebe Grüße“ ist die Mitteilungssituation eher selten
       geeignet. Wenn sich hier schon Gräben des Missverständnisses und offenbar
       lang nachhallender Etikette auftun: Welche Risiken birgt dann erst der
       direkte Kontakt im Zuge der Kommunikation?
       
       Den vielfältigen Formen, Techniken und Irritationen in der menschlichen
       Kommunikation will derzeit eine Ausstellung des Museums August Kestner in
       Hannover nachgehen. Gleich zu Beginn wird der Titel „Beziehungskiste“
       wörtlich genommen: mehrere – zunächst scheinbar identische – Holzkisten
       wollen geöffnet werden. Nur ist der Mechanismus jedes Mal ein anderer: das
       Scharnier für den Klappdeckel ist seitlich oder hinten angebracht, ein
       diffiziler Schraubmechanismus ist eingelassen oder es wartet ein leicht
       abzuhebendes Oberteil auf die richtige Aktion des Besuchers.
       
       Mit dieser Installation werden nicht nur metaphorisch die wechselseitigen
       Erwartungen in sozialen Beziehungen angerissen, sondern auch der erste Teil
       der Ausstellung: Hier geht es um vielfältige Behältnisse im Dienste der
       zwischenmenschlichen Verständigung. Dass Urnen, Reliquiare oder
       Schraubmedaillen eher Formen des Erinnerns, also der rückwärtsgerichteten
       Kommunikation sind, liegt auf der Hand.
       
       Dagegen sind bzw. waren Parfümflakons und Tabatieren oder auch Truhen
       durchaus Mittel der aktiven, vitalen Kontaktaufnahme – dann nämlich, wenn
       sie als Geschenke, als Freundschaftsgaben für ein gedeihliches Miteinander
       sorgen, gar eine Liebesbeziehung anbahnen sollten.
       
       Aber auch das Gegenteil war einst möglich: Wer als Mann einen Korb mit
       einschlägigen Ackerunkräutern erhielt, brauchte sich über die Chancen bei
       seiner Angebeteten keine Illusionen zu machen. Stets war und ist aber auf
       ein sorgfältiges Ausbalancieren zu achten: Geben, Annehmen und Erwidern
       sollen niemanden bloßstellen oder überrumpeln.
       
       Ein Kuriosum unter den Behältnissen waren so genannte Schaugerichte, etwa
       eine Porzellanterrine in Form eines Gemüsekopfes oder die Deckelschale wie
       ein Bündel Spargel. Dumm nur, wenn sie am Tisch dann nicht das Suggerierte
       enthielten. Aber die (höflich unterdrückte) Enttäuschung wäre ja auch eine
       Facette der Kommunikation, die sich dann vielleicht in spontanen, nur
       bedingt steuerbaren Gesten verrät.
       
       Die weiteren Themenblöcke Sprache, Schrift, Bilder, Götterbotschaften und
       Schweigen werden im Wesentlichen mit Artefakten aus der eigenen
       kunsthistorischen Sammlung des Museums belegt. Darunter sind eindrucksvolle
       Stücke wie eine ägyptische Hieroglyphen-Stele aus dem Mittleren Reich,
       datiert auf knapp 2000 v. Chr., in reicher Bildsprache. Aber auch ihre
       Zeichen waren nicht selbsterklärend, setzten Kenntnisse über ihre Bedeutung
       voraus.
       
       ## Schwer zu entziffern
       
       Erst recht aber gilt dies für Werke der älteren bildenden oder angewandten
       Kunst, wie die barocke Tapisserie „Urteil des Paris“ und ihr thematischer
       Vorläufer „Eris sät Zwietracht“ zeigen. Diese Schlüsselszenen der
       Mythologie dienten der Verständigung über moralisches Verhalten, war doch
       der Sieg Aphrodites in der Schönheitskonkurrenz dreier Göttinnen durch
       uneinlösbare Versprechen manipulativ herbeigeführt worden.
       
       Zur Dechiffrierung der Szenerien war jedoch fundiertes historisches,
       literarisches wie ikonografisches Wissen nötig. Als Kommunikationsmittel
       taugten derartige Bildwerke also allenfalls für eine Elite aus Gebildeten
       bzw. der adligen Auftraggeber.
       
       Leichter macht es einem da schon die moderne Kunst. Die große, bäuerlich
       realistische Darstellung eines trauernden Witwers am Sterbebett seiner Frau
       lässt sofort seinen Gemütszustand erkennen, seine Körpersprache ist als
       nonverbale Kommunikation jeglichem Wort überlegen.
       
       Über derartige Phänomene, etwa die Kraft von Blicken, Redegesten und
       anderen physischen Ausdrucksformen würde man gern mehr erfahren. Sind sie
       dem Menschen angeboren oder werden sie durch Imitation erworben? Wurden sie
       erst durch die lange Kulturalisierung zu einem – vielleicht nur für eine
       spezielle Gemeinschaft – verständlichen System?
       
       ## Privates im öffentlichen Raum
       
       Manches erklärt ein Film des Bayerischen Rundfunks, der sich auch
       Feinheiten unserer modernen Kommunikation widmet. Etwa der Freiheit des
       Telefonierens, die einen mitunter Dinge deutlicher sagen lässt als im
       direkten „Face to Face“. Denn auch die menschliche Stimme allein kann eine
       Vertrauenssituation schaffen; Telefonseelsorge oder auch Erotikhotlines
       wissen um diese spezielle Gesprächsqualität.
       
       Dauerplauderei per Handy und eine Entäußerung selbst intimster Privatsphäre
       im öffentlichen Raum ist dagegen eher als Selbstvergewisserung des heutigen
       Menschen zu verstehen, der sich im Schweigen nicht mehr selbst auszuhalten
       scheint.
       
       Aber um diesen Fernsehbeitrag zu schauen, muss man ja nicht ins Museum. Und
       so schafft es die eigentliche Ausstellung durch das Gros ihrer Exponate aus
       Archäologie und alter Kunst nicht so recht, etwas zu unseren heutigen
       Kommunikationsgepflogenheiten zu kommunizieren. Das macht sie wenig aktuell
       anschaulich, thematisch recht entrückt und anspruchsvoll.
       
       17 May 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bettina Maria Brosowsky
       
       ## TAGS
       
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