URI: 
       # taz.de -- Angst vor Verkehrskollaps: Achim gegen Amazon
       
       > Der Online-Versandhändler Amazon will in Achim ein neues Logistikzentrum
       > bauen. Anwohnerproteste gibt es vor allem wegen des zusätzlichen
       > Verkehrsaufkommens.
       
   IMG Bild: Fließbandarbeit im digitalen Kapitalismus: Dafür steht Amazon
       
       BREMEN taz | „Diktatur der Globalplayer“, „Kein Verkehrslärm rund um die
       Uhr“ und „Hochstraße in Uesen, Absurdistan lässt grüßen“ steht auf den
       Schildern der Protestierenden in der Aula des Cato Bontjes van
       Beek-Gymnasiums in Achim. Die langen Stuhlreihen sind nahezu voll, über 350
       Menschen sind am Dienstagabend zur Informationsveranstaltung für den
       geplanten Bau eines Amazon-Logistikzentrums gekommen. Hauptsächlicher
       „Juckepunkt“, wie es ein älterer Herr aus dem Publikum formuliert, ist
       dabei das Thema Verkehr.
       
       Das Verkehrsaufkommen wird mit Amazon steigen, sowohl durch die LKWs als
       auch durch die PKWs der bis zu 2.000 geplanten neuen MitarbeiterInnen – das
       bestätigt auch Heinz Masur, ein Verkehrsgutachter für Amazon aus Hannover.
       
       Er sagt aber auch: „Aus verkehrstechnischer Sicht ist das Ding
       erschließbar.“ Die Spitzenzeiten von Amazon seien jeweils eine Stunde vor
       den üblichen Stoßzeiten. Außerdem seien die Stauzeiten auf der Autobahn in
       Wirklichkeit nicht so hoch wie in der Diskussion behauptet würde.
       
       Masur ist es, der bei der anschließenden Fragerunde vor allem ins
       Kreuzfeuer der AnwohnerInnen gerät. Er argumentiert, dass mit der
       Ansiedlung von Amazon ein Handlungsbedarf entstehen würde, der durch
       Umbaumaßnahmen die Situation auf den Straßen deutlich verbessern könnte.
       
       Im Gegensatz zu den AnwohnerInnen steht der Bürgermeister von Achim dem
       geplanten Neubau positiv gegenüber: Rainer Ditzfeld (parteilos), der an
       diesem Abend sowohl mit Applaus als auch mit Buhrufen begrüßt wird,
       verweist auf die zusätzlichen Steuereinnahmen und die schnelle Schaffung
       von Arbeitsplätzen. „Auch geringer qualifizierten Menschen wird so die
       Chance gegeben, am Arbeitsmarkt teilzunehmen“, sagt er.
       
       ## Gute Nachbarschaft mit Spendengeldern
       
       Der Amazon-Mitarbeiter Norbert Brandau, der für den Standort Winsen
       verantwortlich ist, sagt, dass es dort zwar Spitzenzeiten gebe, der Verkehr
       in Winsen jedoch nicht grundsätzlich erhöht sei. Das liegt seiner Analyse
       zufolge jedoch auch daran, dass mehr als die Hälfte der MitarbeiterInnen
       dort mit öffentlichen Verkehrsmitteln kämen. In Achim, prognostiziert er,
       würden nur 30 bis 40 Prozent mit dem Nahverkehr kommen. Trotzdem kommt er
       zu dem Ergebnis: „Mit Amazon wird es keine Verkehrsprobleme geben.“
       
       Außerdem betont Brandau, wie wichtig gute Nachbarschaft für Amazon sei.
       Dazu gehöre auch, sich in der Region zu engagieren: Etwa in Form eines
       Spendenetats, mit dem der Logistikkonzern auch Kindergärten unterstützen
       könne.
       
       Brandau spricht von den vielen neuen Jobs in Achim, sowohl im
       Niedriglohnsektor als auch im höher qualifizierten Bereich. In der
       Weihnachtszeit könnten es zeitweise bis zu 3.600 Beschäftigte werden, sagt
       er. Der Mindestlohn liege bei 10,52 Euro pro Stunde, ein monatliches
       Bruttoeinkommen nach 24 Monaten durchschnittlich bei 2.600 Euro.
       
       Matthias Hoffmann von der Gewerkschaft Ver.di in Lüneburg hält das Gehalt
       bei Amazon für angemessen – immerhin liege es über dem Mindestlohn.
       Besonders für Menschen, die nach langer Arbeitslosigkeit über das Jobcenter
       zu Amazon kommen, sei diese Summe „nicht wenig“.
       
       Ver.di kritisiert aber, dass der Internetgigant sich weigert, über
       Tarifverträge zu verhandeln. Stephan Eichenseher, Sprecher von Amazon,
       argumentiert dagegen, dass ein Tarifvertrag den MitarbeiterInnen keine
       Vorteile verschaffe. „Wir beweisen jeden Tag, dass man auch ohne
       Tarifvertrag ein guter Arbeitgeber sein kann“, sagt er.
       
       ## Kontrolle aus Gründen der Sorgfaltspflicht
       
       Ein Problem ist aus Sicht der Gewerkschaft auch der hohe Leistungsdruck,
       der auf die MitarbeiterInnen ausgeübt werde. Außerdem habe es Fälle von
       Kündigungen nach nur sehr kurzer Zeit oder nach Krankheit gegeben.
       
       Über Scanner sind die Beschäftigten Teil des digitalen Systems, es gebe
       Fälle, in denen ArbeiterInnen abgemahnt würden, wenn sie sich zu lange auf
       der Toilette aufhielten oder länger als drei Minuten inaktiv seien. Der
       Mensch sei bei Amazon ständig im Wettbewerb. „Solidarität unter
       Beschäftigten wird nicht gewünscht“, sagt Hoffmann.
       
       Amazon-Sprecher Eichenseher zufolge entspricht dieser Vorwurf nicht der
       Wahrheit. Da kein örtliches Tracking durchgeführt werde, entspreche die
       Kontrolle eines/r Beschäftigten nach etwa einer halben Stunde lediglich der
       Sorgfaltspflicht, dass der Person nichts passiert sei.
       
       ## Logistikflächen sind schwer zu finden
       
       Die Gründe, warum Amazon sich seit etwa einem Jahr für Achim interessiert,
       sind vor allem die in Deutschland immer schwieriger zu findenden
       Logistikflächen und die gute Anbindung an Bremen, Hamburg und Hannover.
       
       Der für das Jahr 2014 geplante Standort in Bremen, für den die Stadt
       bereits grünes Licht gegeben hatte, wurde von Amazon wieder zurückgezogen.
       Das Unternehmen hatte entschieden, keine neuen Standorte in Deutschland zu
       bauen, sondern in Polen und Tschechien.
       
       Warum der Logistikkonzern jetzt nach Achim will statt nach Bremen, darauf
       weiß Eichenseher keine Antwort. In Achim wird der Bebauungsplan am 17. Mai
       in den Stadtrat gegeben. Wie zur Beruhigung sagt Bürgermeister Ditzfeld zu
       den BürgerInnen: „Es ist noch nichts in trockenen Tüchern, noch kein
       Vertrag unterschrieben.“
       
       1 Mar 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Teresa Wolny
       
       ## TAGS
       
   DIR Amazon
   DIR Logistik
   DIR Verkehr
   DIR Arbeitnehmerrechte
   DIR Mindestlohn
   DIR Verdi
   DIR Uber
   DIR Amazon
   DIR Lebensmittelhandel
   DIR Logistik
   DIR Schwerpunkt Flucht
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Gesamtbetrieb der Post geplant: Zusteller erster und zweiter Klasse
       
       Bisher hat die Deutsche Post Austräger und Paketzusteller strikt
       voneinander getrennt. Das könnte sich jetzt ändern. Gewerkschaften sind
       alarmiert.
       
   DIR Debatte Amazon Flex: Anhängsel des Algorithmus
       
       Der Versandhändler will die Paketzustellung einem Heer von rechtlosen,
       digitalen Tagelöhnern überantworten. Das sollte ein Signal auslösen.
       
   DIR Streik bei Amazon: Verdis aussichtsloser Arbeitskampf
       
       Die Gewerkschaft will bei Amazon einen Tarifvertrag durchsetzen. Doch der
       Konzern lehnt Verhandlungen ab. Was bleibt, sind Durchhalteparolen.
       
   DIR Kommentar Lebensmittel von Amazon: Markt mit Potenzial
       
       Man darf sich nichts vormachen: Amazons bequeme Lieferungen direkt an die
       Haustür sind ein gutes Verkaufsargument.
       
   DIR Bremer Logistik-Zentrum am Ende: Es hat sich ausgepackt
       
       DHL hat dem einzigen Kunden des Bremer Logistik-Zentrums, dem
       Internethändler Amazon, gekündigt. 350 MitarbeiterInnen verlieren ihren
       Arbeitsplatz
       
   DIR Schnelle Arbeit für Flüchtlinge: Mit McMenü in die Arbeitswelt
       
       Großunternehmen bieten Flüchtlingen keine Perspektive. Fastfood-Ketten und
       Versandhändler haben dagegen großen Bedarf.