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       # taz.de -- Protest gegen Sammelunterkunft: Geflüchtete wollen bleiben
       
       > Flüchtlinge in Göttingen fürchten Zwangsverlegung in andere Unterkunft
       > und machen ihrem Ärger mit einem offenen Brief Luft.
       
   IMG Bild: Wollen nicht schon wieder Koffer packen: Bewohner einer Göttinger Sammelunterkunft
       
       Göttingen taz | Die Flüchtlingszahlen gehen zurück. Viele Kommunen
       schließen Unterkünfte für Geflüchtete oder nutzen sie für andere Zwecke.
       Auch in Göttingen wurden in den vergangenen Monaten mehrere
       Sammelunterkünfte geräumt, weitere sollen in diesem Jahr folgen. Betroffen
       ist auch ein Gebäudekomplex im bürgerlichen Ostviertel, das frühere
       Institut für den wissenschaftlichen Film (IWF).
       
       Derzeit leben dort rund 100 Geflüchtete. Die Stadt hat das Gebäude von
       einem Investor gemietet, der dort Wohnungen errichten will. Der Mietvertrag
       läuft im Sommer aus, die derzeitigen Bewohner sollen bis dahin ausziehen
       und auf andere Unterkünfte verteilt werden.
       
       Einige von ihnen wandten sich am Donnerstag in einem offenen Brief an die
       „sehr geehrte(n) Göttinger Bürger und Bürgerinnen“. Sie seien besorgt über
       die Absicht der Stadtverwaltung, die Unterkunft bis Ende Mai zu schließen,
       heißt es in dem Schreiben. Es sei bereits begonnen worden, „Gruppen von
       Menschen irgendwo anders unterzubringen. Diese Art der Verlegung in andere
       Unterkünfte entspricht nicht unserem Wunsch.“
       
       Die Geflüchteten wollen erfahren haben, dass es bereits am kommenden Montag
       zu einer Zwangsumsiedlung kommen soll: „Gegen unseren Willen und mit Zwang
       sollen wir in die Sammelunterkunft in der Hannah-Vogt-Straße auf den
       Zietenterrassen gebracht werden“, schreiben sie. Eine offizielle
       Bestätigung der Stadt Göttingen für diese Information gab es am Donnerstag
       nicht.
       
       ## Engagierte Nachbarn
       
       Tatsächlich sind die IWF-Gebäude in den Augen vieler Geflüchteter
       vergleichsweise beliebt: Es gibt dort relativ viel Platz und teilweise
       sogar Einzelzimmer. Viele einheimische Nachbarn engagieren sich mit
       Sprachkursen, Sport- und weiteren Angeboten für die Bewohner.
       
       Der im Viertel wohnende Linken-Politiker Konrad Kelm nahm sogar zwei
       jugendliche Flüchtlinge bei sich zu Hause auf. Zudem probt und spielt auf
       dem IWF-Gelände das „boat people projekt“; das Theaterprojekt arbeitet mit
       Flüchtlingen und beschäftigt sich mit dem Thema Flucht.
       
       Die Zietenterrassen, wohin die Flüchtlinge verlegt zu werden fürchten, sind
       ein früheres Kasernengelände, das seit einigen Jahren als neues
       Wohnquartier erschlossen wird, und die dortige Unterkunft in der
       Hannah-Vogt-Straße ist beileibe kein Grusel-Quartier. 2015 für rund 4,5
       Millionen Euro errichtet, bietet sie bis zu 180 Menschen Platz. Nach den
       zuletzt veröffentlichten Zahlen lebten dort rund 130 Flüchtlinge.
       
       Auch auf den Zietenterrassen gibt es ein Unterstützerkreis, der hier
       ansässige Sportverein SC Hainberg hat sich seit Jahren die Integration von
       Flüchtlingen auf die Fahnen geschrieben. Etliche Geflüchtete kicken in den
       Fußballmannschaften mit.
       
       ## Unterkunft in Lagerhalle noch nicht geschlossen
       
       Die Verfasser des offenen Briefes bezeichnen die Bedingungen auf den
       Zietenterrassen jedoch als „unerträglich“. Unter anderem müssten sich dort
       sechs Personen drei Zimmer teilen: „Wenn wir in der Hannah-Vogt-Straße
       einziehen würden, dann nur unter der Bedingung, dass jede und jeder ein
       Zimmer für sich bekommt“, heißt es. Und: „Kommt am Montag vorbei, wir
       brauchen Eure Unterstützung!“ steht am Schluss des Briefes.
       
       Immer noch nicht vollzogen, aber für dieses Jahr in Aussicht gestellt, hat
       die Stadt Göttingen unterdessen die Schließung der nicht nur von
       Geflüchteten, sondern auch von zahlreichen Unterstützern heftig
       kritisierten Unterkunft auf der Siekhöhe.
       
       In einer ehemaligen Lagerhalle, die mehrere Kilometer vom Göttinger
       Stadtzentrum entfernt zwischen einem Gewerbegebiet und der Autobahnabfahrt
       liegt, lebten zu Jahresbeginn immer noch fast 170 Menschen (taz
       berichtete).
       
       Immer wieder haben Bewohner dort bemängelt, dass die Wohnparzellen nach
       oben offen seien und keinen Rückzug vor Geräuschkulisse und
       Dauerbeleuchtung möglich sei.
       
       ## Stadt hält an abgelegener Unterkunft fest
       
       Das Deutsche Rote Kreuz als Betreiber der Einrichtung bemühe sich zwar um
       „abwechslungsreiche Beschäftigungsmöglichkeiten“, diese ersetzten aber
       nicht gemeinsame Aktivitäten mit Göttinger Bürgerinnen und Bürgern. Der
       Besuch von Sportvereinen, Gespräche mit Nachbarn oder die Teilnahme an
       Kindergeburtstagen seien durch die Unterbringung in dem Gewerbegebiet am
       Stadtrand erschwert oder gar unmöglich, so die Kritik.
       
       Dass die Stadt Göttingen ungeachtet der Kritik so lange an der umstrittenen
       Unterkunft Siekhöhe festhält, begründete die Verwaltung unter anderem mit
       dem guten baulichen Zustand und der Ausstattung der großen Halle.
       
       Zudem handele es sich um die einzige Einrichtung der Stadt mit
       Vollverpflegung, medizinischer Versorgung und einer Quarantänestation. Wohl
       in der Einschätzung, dass auch weiterhin viele Flüchtlinge nach Göttingen
       kommen werden, hatte die Kommune die Halle gleich bis zum Jahr 2021
       angemietet.
       
       2 Mar 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Reimar Paul
       
       ## TAGS
       
   DIR Geflüchtete
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