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       # taz.de -- Pflegemängel in privaten Heimen: Wer kümmert sich um die Senioren?
       
       > Um die Pflegeheime in Bremen steht es nicht zum Besten – auch, weil deren
       > Betreiber am Personal sparen. Zu ihnen gehört die Altenheim-Kette
       > Alloheim.
       
   IMG Bild: Bewohnerin eines Seniorenheims in ihrem Zimmer: Demenz wird zunehmend zu einem Problem
       
       Bremen taz | „Keine Nacht alleine“: So lautete eine Unterschriftenaktion
       von Ver.di, mit der die Gewerkschaft gegen die geplante Novellierung des
       bremischen Wohn- und Betreuungsgesetzes mobil machte. Denn die sah vor:
       Eine einzige Fachkraft sollte genügen, um im Nachtdienst bis zu 50
       Pflegeheim-BewohnerInnen zu versorgen. Ob es an solchen Aktionen lag oder
       an Interventionen von SozialpolitikerInnen in der Bremischen Bürgerschaft
       ist unklar, fest steht nur: Die Quote wurde in letzter Minute, kurz vor
       Inkrafttreten des Gesetzes im Januar diesen Jahres, verbessert, von eins zu
       50 auf eins zu 40. Bloß: Ist das wirklich gut?
       
       [1][Nein, sagt der Altenpfleger Alexander Wendt, Mitarbeitervertreter beim
       Bremer Pflegeheimbetreiber Friedehorst.] „Man muss sich vorstellen, dass
       man ganz alleine ein Haus mit 40 teils schwerkranken Personen zu versorgen
       hat, die teilweise drei- oder viermal pro Nacht gelagert werden müssen, wo
       es Ernährungspumpen, Beatmungsgeräte und so weiter gibt.“ Wendt plädiert
       für eine Quote von eins zu 30, die schrittweise noch verbessert werden
       müsse.
       
       Alte Menschen bleiben heute länger zu Hause, nutzen Nachbarschaftshilfen,
       Tagespflegeangebote und ambulante Pflege- und Betreuungsdienste. „Ambulant
       vor stationär“ wird nicht erst durch das seit 2017 geltende
       „Pflegestärkungsgesetz II“ gefördert. Erst wenn gar nichts mehr geht, wird
       ein Pflegeheim in Anspruch genommen.
       
       Vermehrt kommen alte Menschen auch direkt aus Krankenhäusern in
       Pflegeeinrichtungen. Denn seit Einführung der Fallpauschalen ist es für
       PatientInnen nicht mehr möglich, so lange im Krankenhaus zu bleiben, bis
       sie wieder eigenständig leben können.
       
       Auf die Folgen für die Heime ist bis heute nur unzureichend reagiert
       worden. Denn die in Heimen Beschäftigten haben es nicht mehr „bloß“ mit
       alten Menschen zu tun, die beim Essen, Waschen, Anziehen und beim
       Toilettengang Hilfe benötigen, sondern mit schwerst Pflegebedürftigen, die
       aufwendige medizinische Hilfe und lückenlose Betreuung brauchen. Die kann
       nur Fachpersonal leisten – aber das ist Mangelware.
       
       ## Viele AltenpflegerInnen satteln vorzeitig um
       
       Dabei ist es keineswegs so, das niemand den Beruf erlernen will. Aber viele
       steigen bereits während der Ausbildung wieder aus oder arbeiten nur kurz
       als AltenpflegerInnen und satteln dann um. Manche wechseln in die ambulante
       Pflege, sehr viele arbeiten nur in Teilzeit.
       
       AltenpflegerInnen verdienen im Schnitt 30 Prozent weniger als
       KrankenpflegerInnen und arbeiten regelhaft in Einrichtungen, die zu wenig
       Personal vorhalten. Überstunden, Stress und Burn-out sind die Folgen –
       manchmal auch psychische Zusammenbrüche, die im schlimmsten Fall in Gewalt
       münden.
       
       Dass Pflegeheime so schlecht ausgestattet sind, liegt daran, dass die
       Refinanzierung des Personals durch Pflege- und Sozialkassen recht wenig
       Spielraum bietet. Schuld ist aber auch die schiere Profitgier von
       Heimbetreibern: Pflegeheime werden zu Spekulationsobjekten, ihre Eigentümer
       sind vergleichbar mit Immobilien-„Heuschrecken“.
       
       ## Kommerzielle Pflegeketten sparen gern am Personal
       
       So ist „Alloheim“, die zweitgrößte kommerzielle Pflege-Kette Deutschlands,
       Anfang des Jahres an den schwedischen Private-Equity-Fonds Nordic Capital
       verkauft worden – der seinen Hauptsitz im Steuerparadies Jersey hat.
       
       In solchen Fällen geht es nicht um gute Pflege, sondern um gutes Geld. Und
       dafür wird gespart, wo es möglich ist, also auch am Personal. Und an der
       Außendarstellung: Obwohl Alloheim bereits im Januar 2016 den
       Pflegeheimbetreiber „Senator-Gruppe“ aufgekauft hat, heißt eines dieser
       ehemaligen Heime in der Bremer Marcusallee bis heute „Senator
       Pflegezentrum Marcusallee“ – selbst die Kleidung des Personals ziert noch
       immer das alte „Senator“-Logo.
       
       Vielleicht ist das aber auch Absicht, um Vertrauen vorzutäuschen, denn der
       Alloheim-Konzern ist nicht nur in Bremen bereits negativ aufgefallen. In
       Ludwigsburg wurde einem Heim der Kette im Herbst die Betriebserlaubnis
       entzogen: Die Hygiene war mangelhaft, in den Gängen stank es nach Urin,
       SeniorInnen wurden ans Bett gefesselt.
       
       Im nordrhein-westfälischen Simmerath gab es ähnliche Vorwürfe, bis die
       Heimaufsicht im Oktober 2016 den Betrieb untersagte. Im Juni 2017 fühlte
       sich ein Alloheim-Pfleger in Hannover aus Verzweiflung über die
       Personalsituation so überfordert, dass er über den Notruf Polizei und
       Feuerwehr alarmierte. Und Missstände in zwei Alloheim-Häusern in Bredstedt
       und Niebüll sollen nach dem Willen der SPD jetzt Thema im Sozialausschuss
       des Landtags von Schleswig-Holstein werden.
       
       ## Immer wieder Skandale im Bremer Einrichtungen
       
       Auch in anderen Bremer Pflegeeinrichtungen gibt es immer wieder Skandale.
       Kontrolliert werden sie von der Heimaufsicht. Bloß scheint in Bremen deren
       personelle Ausstattung ähnlich schlecht zu sein wie in den Heimen, die sie
       beaufsichtigen soll: Neun MitarbeiterInnen plus eine (seit 2017 unbesetzte)
       Heimaufsichtsleitung müssen sich um die Kontrolle von 100 Heimen und rund
       300 ambulanten und teilambulanten Betreuungseinrichtungen kümmern – und
       diesen zusätzlich beratend zur Seite stehen, sollten sie in Schieflage
       geraten sein.
       
       Darüber hinaus ist die Heimaufsicht Anlaufstelle, um Missstände in
       Pflegeeinrichtungen melden zu können: „Aber so gut wie nie ist dort jemand
       erreichbar“, sagt Reinhard Leopold, der in Bremen die
       Angehörigen-Initiative „Heim-Mitwirkung“ gegründet hat.
       
       Das neue Pflegegesetz hilft da nicht weiter, im Gegenteil: „Im alten Gesetz
       stand, dass die Prüfberichte der Heimaufsicht für jeden Interessierten im
       Internet veröffentlicht werden sollten – was aber nie geschah“, sagt
       Leopold. Nun ist der Passus im Gesetz komplett rausgeflogen.
       
       ## Versorgung im Bremen besonders schlecht
       
       An dem novellierten Gesetz ist nicht alles schlecht: So müssen
       Pflegeeinrichtungen künftig Konzepte zum Schutz vor Gewalt erstellen,
       Hospizdienste erhalten Zugang zu Pflegeheimen, und die Heimaufsicht hat nun
       das Recht, auch ambulante Pflegedienste zu überprüfen. Das durfte sie
       vorher nicht.
       
       Ob sich die Lage in den Bremer Heimen jetzt verbessert? Nötig wäre es:
       Einem Vergleich der Pflegekassen vom Mai 2017 zufolg ist die medizinische
       Versorgung in Bremer Heimen so schlecht wie in keinem anderen Bundesland.
       
       Mehr zum Schwerpunkt „Pflegeheime“ lesen Sie in der taz.am Wochenende am
       Kiosk oder im ePaper [2][hier.]
       
       2 Mar 2018
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Simone Schnase
       
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