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       # taz.de -- Schwarzarbeit in Bremerhaven: Ausgebeutete Arbeiter
       
       > In Bremerhaven gibt es nach Ansicht der Linken Tagelöhnerei und einen
       > „grauen Arbeitsmarkt“. Der Magistrat weiß von nichts.
       
   IMG Bild: In Unterkünften wie dieser sollen Zugewanderte untergekommen sein
       
       BREMEN taz | Die Linke fordert eine Ausweitung des Bündnisses gegen
       Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung. Für sie ist das eine Konsequenz
       aus dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum massenhaften
       Sozialbetrugsverdacht in Bremerhaven. Dessen Abschlussbericht stellte der
       Vorsitzende des Ausschusses, Nelson Janßen (Linke), am Mittwoch in der
       Bürgerschaft vor.
       
       Vor allem mit Blick auf den sogenannten „grauen Arbeitsmarkt“ in Bremen und
       Bremerhaven wünscht sich die Linke, dass die Zuständigkeit des Bündnisses
       gegen illegale Beschäftigung auch auf andere Bereiche ausgeweitet wird.
       Eine stärkere Kontrolle der Werften und des Reinigungsgewerbes sei
       erforderlich, wie Zeugenbefragungen im Ausschuss ergeben hätten – ein
       entsprechender Antrag werde demnächst vorgelegt.
       
       Mehrere Zeugen, zugewanderte EU-BürgerInnen mit geringen oder keinen
       Deutschkenntnissen, berichteten von halblegalen Arbeitsverhältnissen unter
       skandalösen Bedingungen.
       
       Der [1][Abschlussbericht] spricht von „Tagelöhnertum“. Die Betroffenen
       hätten zwar Arbeitsverträge mit Subunternehmern besessen, diese seien
       jedoch nur zur Beantragung von aufstockenden Leistungen, oder nur im
       geringen Umfang geschlossen worden. Tatsächlich seien sie jedoch
       „Tagelöhner“ auf Abruf gewesen, die etwa im Reinigungsgewerbe oder in
       Bremerhavener Werften tätig gewesen seien.
       
       Die Bürgerschaft hatte den Untersuchungsausschuss eingerichtet, um den
       mutmaßlichen massenhaften Sozialbetrug in Bremerhaven aufzuklären: Patrick
       Öztürk, inzwischen fraktionsloses ehemaliges SPD-Mitglied der Bürgerschaft,
       soll mit seinem Vater Selim Öztürk mittels zweier Vereine zugewanderte
       EU-BürgerInnen systematisch ausgebeutet haben.
       
       Die Masche: Sie statteten die überwiegend aus Bulgarien stammenden Menschen
       mit Schein-Arbeitsverträgen in geringem Umfang aus und halfen diesen,
       aufstockende Leistungen beim Jobcenter zu beantragen. Durch gefälschte
       Arbeitsverträge entstand so ein Schaden von knapp sieben Millionen Euro,
       die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen die Öztürks und weitere Verdächtige.
       
       EU-BürgerInnen haben in Deutschland dank [2][eines umstrittenen
       Nahles-Gesetzes] zunächst keinen Anspruch auf Sozialleistungen – es sei
       denn, sie arbeiten etwa selbstständig. Die Vereine der Öztürks sollen einen
       Großteil der Gelder für „Übersetzungen“ und andere „Dienstleistungen“
       kassiert haben. Vielen zugewanderten Familien blieb zum Leben nur das
       Kindergeld.
       
       Ein Teil der betroffenen Personen soll aber nicht nur Arbeitsverhältnisse
       vorgetäuscht haben, sondern auch prekär beschäftigt worden sein. Sie sollen
       Verträge mit Subunternehmern geschlossen haben, die wiederum für andere
       Subunternehmern Aufträge ausgeführt haben. Das System ähnelte laut den
       Erkenntnissen des Untersuchungsausschusses Tagelöhnerei.
       
       Mehrere Zeugen haben ausgesagt, Tätigkeiten wie Korrosionsschutz,
       Reinigung und Sandstrahlen in großen Betrieben verrichtet zu haben. Eine
       AWO-Beratungsstelle für EU-Zugewanderte hatte gar davon berichtet, dass
       Arbeitnehmerinnen für vier Euro pro Stunde bis zu 16 Stunden am Stück
       arbeiteten – unter unzureichendem Arbeits-, geschweige denn
       Kündigungsschutz.
       
       ## Keine Verbesserung seit 2013
       
       Tatsächlich hat sich die Lage von EU-Zuwanderern seit Bekanntwerden der
       Missstände nicht wirklich verbessert. Die Leiterin der AWO-Beratungsstelle,
       Margaret Brugman, [3][sagte im Untersuchungsausschuss], dass sie das
       Sozialdezernat schon 2013 über illegale Beschäftigungsverhältnisse und
       katastrophale humanitäre Zustände informiert hatte. Damals sei sie auf
       taube Ohren gestoßen.
       
       Heute bemängelt sie mit Blick auf die Lebensverhältnisse der Betroffenen:
       „Es hat sich nichts geändert.“ Zwar sei die Verwaltung heute
       sensibilisiert, aber die Ausbeutung armer Leute gebe es nach wie vor.
       „Öztürks Schema geht weiter“, sagt Brugmann, „allerdings organisieren das
       jetzt andere Leute.“
       
       Bremerhaven sieht das anders. Volker Heigenmooser, Sprecher des Magistrats,
       schließt zwar nicht aus, dass es dort einen „grauen Arbeitsmarkt“ gibt,
       sagt aber auch: „Es gibt keine sicheren Erkenntnisse darüber.“
       
       ## Erhöhte Sensibilität
       
       Allerdings habe sich die Sensibilität für diese Bereiche des Arbeitsmarkts
       im Zuge des Skandals erhöht: Seit Februar 2017 gebe es ein Gremium, in dem
       sich Zoll, Steuerfahndung, Kripo, Jobcenter, Bürger-, Ordnung- und
       Bauordnungsamt einmal im Monat treffen und Auffälligkeiten diskutieren. Bei
       Verstößen werde sofort reagiert. Bremerhaven sei aber „kein Hotspot für den
       grauen Arbeitsmarkt“, sagt Heigenmooser.
       
       „Natürlich gibt es dieses Problem auch in Bremerhaven“, sagt Heiko
       Messerschmidt von IG Metall Küste über den grauen Arbeitsmarkt. Es sei
       keine Seltenheit, dass schlechte Werkverträge eingesetzt würden, um die
       Löhne zu drücken und Arbeitsverhältnisse zu verschlechtern. Phänomene wie
       Grauarbeit gebe es in vielen Bereichen.
       
       ## Öffentlichkeit uninteressiert
       
       Ein Problem sei, dass die schlechten Arbeitsbedingungen nicht im Fokus der
       Öffentlichkeit stünden. Oft sei es aufgrund von Sprachbarrieren schwer,
       Betroffene über ihre Rechte aufzuklären. Der Gesetzgeber müsse die
       Voraussetzungen für ein solches System, wie etwa Kettenverträge, verbieten,
       fordert Messerschmidt.
       
       „Es gibt keinen sichtbaren Arbeiterstrich, aber es gibt Kontakte, die einem
       tageweise Arbeit vermitteln“, sagt Volker Tegeler, Geschäftsführer der AWO
       Bremerhaven, „einige zahlen Mindestlohn, andere nicht.“ Einige bekämen
       ihren Lohn pünktlich, andere würden erst Monate später bezahlt. Das größte
       Problem sind aus Tegelers Sicht die Subunternehmer, die auch weiterhin
       Arbeitszeugnisse fälschten und schlecht bezahlte Tätigkeiten vermittelten.
       
       Betroffene kämen hauptsächlich aus Polen, Bulgarien und Rumänien,
       arbeiteten sowohl in großen Unternehmen als auch in kleinen
       Reinigungsfirmen. Die EU-Beratungsstelle der AWO sei mehr als ausgelastet.
       Denn die Zugewanderten eint eins, wie Tegeler berichtet: „Wenn sie sich
       beschissen fühlen, kommen sie hierher.“
       
       26 Feb 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.bremische-buergerschaft.de/drs_abo/2018-02-01_Drs-19-1509_f4bee.pdf
   DIR [2] /!5369195/
   DIR [3] /!5385494/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gareth Joswig
       
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