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       # taz.de -- Diskriminierung bei der Polizei: Keine Chance für den Transmann
       
       > Wer als Mann zur Bundespolizei will, braucht funktionsfähige Hoden. Warum
       > genau? Joschua Thuir will es wissen.
       
   IMG Bild: Hormonschwankungen? Ernsthaft? Joschua Thuir in seiner Wohnung
       
       Frankfurt/Main taz | Joschua Thuir, Polizeiobermeister aus Frankfurt am
       Main, hatte mehrere Outings. Lesbisch, das war das erste, mit 18. Trans das
       zweite, mit 25. Schon das lesbische Outing war nicht ganz einfach, nicht
       alle Reaktionen waren positiv. Schwieriger noch wurde das zweite Outing.
       Denn da war klar, dass Joschua Thuir zur Bundespolizei will – und die
       stellt keine Transmänner ein.
       
       Thuir wirkt, trifft man ihn in zivil, lockerer, als man es von einem
       Polizisten erwarten würde: Schwarze Tunnel-Ohrringe, braune Carhartt-Jacke,
       die dunkelbraunen Haare oben lang, an den Seiten rasiert. Wenn er Uniform
       trägt, ist er für Sicherheit und Grenzkontrollen am Frankfurter Flughafen
       zuständig, läuft Streife, stempelt Pässe.
       
       Er schießt gern, Luftgewehr, Tontauben, schon als Jugendliche auf dem
       Schießstand, damals versteht er sich noch als burschikose Lesbe. Weil die
       Polizei Leistungssport fördert und er mit Menschen arbeiten will,
       entschließt sich Thuir nach dem Realschulabschluss für die Ausbildung.
       „Trans war da noch kein Thema“, sagt er. 2010 stolpert er im Netz über den
       Begriff, stutzt, schaut nach, was das ist. „Da hab ich mich das erste Mal
       selbst hinterfragt“, sagt er.
       
       Rund 44.000 Menschen arbeiten bei der Bundespolizei, knapp 80 Prozent davon
       sind Männer. Es gebe, schreibt die Bundespolizei auf Nachfrage, „Diversity
       Management als Teil des Personalwesens“. Und es gibt eine
       polizeidienstliche Verordnung, die sogenannte PDV 300, die „Hinweise zur
       Polizeidiensttauglichkeit“ auflistet. Neben Herzklappenfehlern oder
       Epilepsie, die eine Zulassung als Bundespolizist ausschließen, ist dort
       auch vermerkt, dass, wer zu diesem Arbeitgeber will, mindestens einen
       funktionsfähigen Hoden haben muss.
       
       Vor rund zehn Jahren ging der Fall eines Transmannes, der in Hessen
       Polizist werden wollte, durch die Presse. Längst hatte er sein Geschlecht
       angleichen lassen, gesundheitliche Probleme hat er nie. Er beherrscht
       mehrere Kampfsportarten, bei den Prüfungen für den Polizeidienst gehört er
       zu den Besten. [1][Doch weil er keine Hoden hat, die selbst Hormone
       produzieren, wird er abgelehnt].
       
       ## Klage abgewiesen
       
       Der Mann verklagt das Land Hessen wegen Diskriminierung, die Klage wird
       abgewiesen. Er zieht vors Bundesverfassungsgericht, die
       Verfassungsbeschwerde wird abgewiesen, eine Begründung gibt es nicht.
       
       Die der hessischen Richter allerdings klingt abenteuerlich: Die künstliche
       Hormonversorgung könnte zu Stimmungsschwankungen führen, weshalb
       Transmänner Gefahr liefen, den „besonderen Anforderungen des
       Polizeidienstes“ nicht gerecht zu werden. Transpolizist*innen, sagt Leo
       Wild vom Verein TransInterQueer, seien „im Polizeidienst offensichtlich
       schlicht nicht gewollt – wegen einer rein biologistischen Argumentation,
       die nicht den Einzelfall überprüft, sondern sie generell ausschließt“.
       
       In der Praxis widerlegen Menschen wie Joschua Thuir längst, was das
       hessische Urteil behauptet. Denn dass die Bundespolizei keine Transmänner
       einstellt, heißt nicht, dass es dort keine gibt: Wer sein Geschlecht erst
       angleichen lässt, wenn er bereits Polizist*in ist, bleibt in der Regel im
       Dienst. Das dürfte vor allem einen Grund haben: Eine Verrentung wäre teuer.
       
       Joschua Thuir weiß lange nichts von der PDV 300. Seine Ausbildung hat er
       2011 hinter sich, noch immer lebt er als Frau. Verbeamtet ist er da noch
       nicht, drei Jahre dauert die Übergangszeit. Währenddessen beginnt er, sich
       im Privaten auszuprobieren: geht als Mann auf die Straße, wählt die
       Herrentoilette, korrigiert niemanden, wenn „er“ als Pronomen verwendet
       wird. Schließlich vertraut er sich einem Kollegen an. Der warnt ihn: Er
       solle sich auf keinen Fall outen. „Wenn der nicht gewesen wäre“, sagt Thuir
       heute, „hätte ich die Transition viel früher begonnen und nach der
       Probezeit wohl erfahren, dass sie mich rausschmeißen.“
       
       ## „Wie heißt du denn dann?“
       
       Für Thuir ist die Information ein Schock. „Ich hab richtig Schiss
       bekommen“, sagt er, er überlegt auszusteigen, aber die Alternativen fehlen.
       Auch schießen will er weiter. „Der Schießstand ist mein Rückzugsort“, sagt
       er, „zur Ruhe kommen, flachen Puls kriegen, konzentrieren.“ Das hilft ihm,
       durch die nächsten Jahre zu kommen.
       
       Denn die sind paradox. Privat lebt er als Mann, zur Arbeit geht er als
       Frau. Es ist eine Befreiung, als er die Verbeamtungsurkunde endlich in der
       Hand hält. „Als die Hormontherapie begann, war ich glücklich“, sagt Thuir
       und lacht. Mit der Psychologin, zu der er geht, um das nötige Gutachten für
       die Transition zu bekommen, bespricht er, wie sein Outing bei der Arbeit
       ablaufen könnte.
       
       Sein Vorgesetzter hält zu ihm und schlägt vor, eine Teamfortbildung zu
       nutzen, mitten in der bayerischen Winterlandschaft. Bevor 20 Polizist*innen
       in Skimontur und Schneeschuhen den Watzmann hochlaufen, stellt sich Thuir
       vor die versammelte Runde und holt tief Luft. „Demnächst hab ich einen
       neuen Pass, einen neuen Namen und werde in die Herrenumkleide wechseln“,
       sagt er. „Wie heißt du denn dann?“, ruft einer. „Joschua“, antwortet Thuir.
       Das Team applaudiert, ein paar umarmen ihn.
       
       ## Er könnte „stealth gehen“, ungeoutet
       
       Doch so leicht bleibt es nicht. Einzelne schneiden ihn, auch mit
       Vorgesetzten ist es nicht immer einfach. Offiziell gibt es bei der
       Bundespolizei keine Homo- und Transfeindlichkeit. „Im Zusammenhang mit der
       Akzeptanz von genderspezifischen Belangen sind in der Bundespolizei keine
       Problematiken bekannt“, schreibt die Pressestelle. „Aber spricht keiner
       darüber, weil es kein Problem ist, oder ist es ein Tabu?“, fragt Thuir.
       
       Er könnte den Weg wählen, den viele Transmänner gehen – auch bei der
       Bundespolizei, wie er weiß. Er könnte „stealth gehen“, wie es heißt,
       „heimlich“, also vielleicht in eine andere Stadt ziehen, seine
       Vorgeschichte verschweigen. Aber er will nicht: „Ich will etwas verändern“,
       sagt er, „von innen heraus.“ Um die Behörde offener, diverser zu machen.
       Und um gesellschaftliche Veränderungen zu begleiten, um die die
       Bundespolizei nicht herumkommt.
       
       Bisher sind zum Beispiel Durchsuchungen von Personen nur von Menschen des
       gleichen Geschlechts erlaubt. Dass davon abgewichen werden kann, wenn
       trans- oder intersexuelle Menschen durchsucht werden sollen, geht aus den
       Vorschriften nicht hervor. Spätestens, wenn die kürzlich vom
       Bundesverfassungsgericht vorgeschriebene dritte Option für den
       Geschlechtseintrag umgesetzt ist, wird sich die Behörde damit
       auseinandersetzen müssen.
       
       Thuir engagiert sich. Ehrenamtlich ist er Beirat im Verband lesbischer und
       schwuler Polizeibediensteter (VelsPol), obwohl er gar nicht lesbisch ist.
       Mit einem Kollegen aus Berlin hat er eine Schulung ausgearbeitet, die
       erklärt, wie Kolleg*innen trans- und intersexuellen Menschen bei Kontrollen
       begegnen können. Er ist Vertrauensperson bei der Gewerkschaft der Polizei,
       er sucht das Gespräch, will Verständnis schaffen und geben. Er ist auf
       Vermittlung aus, nicht auf Konfrontation.
       
       ## Unterstützung? Fehlanzeige.
       
       Und er würde gern eine Arbeitsgruppe für LSBTI auf Bundesebene gründen.
       Dabei gibt es für manche dieser Zielgruppen noch nicht einmal
       Ansprechpartner*innen. Was es gibt, sind sechs „Ansprechpartner für
       gleichgeschlechtliche Lebensweisen“, sogenannte AgL, nebenamtlich, bei
       44.000 Polizist*innen. Schon die Bezeichnung schreckt davor zurück, schwul
       oder lesbisch auch nur beim Namen zu nennen, von trans ganz zu schweigen.
       Wer einfach nur googelt, hat Probleme, diese Ansprechpartner*innen
       überhaupt zu finden.
       
       Doch die Resonanz auf Thuirs Projekte ist mau. Die Schulung zum Umgang mit
       trans- und intersexuellen Menschen darf er bisher nicht anbieten. Will er
       Workshops geben, zum Beispiel zum Thema „Zielgruppen spezifischer
       Gewaltprävention“, wird er selten freigestellt. Bevor er sich auf das
       Gespräch für diesen Text einließ, hat er lange gezögert und auch dann nur
       zugesagt, weil er als Interessenvertreter von VelsPol mehr Freiheiten hat
       als andere, seine Perspektive zu schildern. Und trotzdem ist er nervös:
       Thuir will etwas verändern, aber das richtige Maß an Öffentlichkeit und
       Kritik zu finden, ist schwer.
       
       Wenn Thuir könnte, wie er wollte, gäbe es ein großes Ziel: Transidentität
       und Intersexualität sollten kein Grund sein, als untauglich für den
       Polizeidienst eingestuft zu werden. Der Weg dorthin ist weit: „Bestrebungen
       zur Änderung der PDV 300“, teilt die Bundespolizei mit, „sind nicht
       bekannt.“
       
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       ## LINKS
       
   DIR [1] /Transsexueller-kaempft-um-Polizisten-Job/!5190643
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Patricia Hecht
       
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