URI: 
       # taz.de -- NSU-Berichterstattung und Vereinfachung: Zschäpe im Sommerlook
       
       > Zwei Uni-Projekte beleuchten die Berichterstattung zum NSU. Bis heute
       > bleiben einige Medien am Thema dran. Andere neigen zu Vereinfachungen.
       
   IMG Bild: Dominiert das Medieninteresse: Beate Zschäpe
       
       Berlin taz | Seit 411 Prozesstagen wird die NSU-Terrorserie vor dem
       Münchner Oberlandesgericht verhandelt, seit fast fünf Jahren. Im März nun
       soll das Plädoyer der Hauptangeklagten, Beate Zschäpe, anstehen. Danach
       wird tatsächlich ein Urteil absehbar. Es wird eine Zäsur, nach diesem
       Mammutverfahren, nach den zehn Morden der Rechtsterroristen: juristisch,
       politisch – aber auch medial.
       
       Vom Prozessauftakt am 6. Mai 2013 bis heute berichten einige Medien
       fortlaufend über dieses Verfahren, auch die taz. Einzelne – etwa die SZ,
       dpa, der Bayerische Rundfunk oder [1][das Blog „NSU watch“] – haben fast
       keinen Prozesstag verpasst. Das dürfte einmalig sein für einen Strafprozess
       und für eine Branche, deren Nachrichtenwerte sich sonst nach Neuigkeit oder
       Überraschung richten.
       
       Ein Forschungsprojekt von Master-Studierenden der
       Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München widmete sich nun dieser
       Berichterstattung – mit durchwachsenem Fazit. Anhand von
       Schlüsselereignissen des Prozesses untersuchten sie die Berichte von 18
       Medien. Ergebnis: Es seien nur wenige Autoren, die bis heute noch über den
       NSU-Komplex berichteten – und die das Bild ihrer Zeitungen prägten. Und
       dieses Bild ist divers.
       
       Vier „Öffentlichkeiten“ machen die Studierenden in ihrer Untersuchung aus.
       Die größte sei eine „staatsnahe“, von Bild, ZDF bis zu Regionalblättern:
       Hier werde vor allem das Prozessgeschehen abgebildet und der NSU als Trio
       von Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt dargestellt, weniger als
       Teil eines rechtsextremen Netzwerk. Zu Wort kämen vielfach staatliche
       Vertreter wie die Bundesanwaltschaft. Studienmitleiter Kerem Schamberger
       spricht gar von einer „Deutschland- PR“, welche diese Medien vermittelten.
       „Der NSU wird als außerhalb der Gesellschaft geschildert, gleich einer
       Schuldabwehr.“ So titelte die Ostthüringer Zeitung einst: „Diese braune
       Soße ist nicht Thüringen.“
       
       ## Aus Vermutungen Tatsachen gemacht
       
       Daneben, so die Studie, existiere eine „systemkritische“ Öffentlichkeit,
       vertreten etwa durch „NSU watch“, welche die Rechtsterroristen als Teil
       eines Netzwerkes darstellten, genauso wie einen gesellschaftlichen
       Rassismus als Mitursache für deren Taten. Dazu komme eine „pluralistische“
       Mediengruppe, darin auch die taz, welche beide Öffentlichkeiten verknüpfe.
       Als Letztes schließlich habe sich eine rechte Erzählung etabliert, um die
       Junge Freiheit oder das Compact-Magazin: Hier werde der NSU komplett
       infrage gestellt, gar als Erfindung präsentiert.
       
       „Medien sollten informieren, Gesellschaftskritik üben, die Meinungsbildung
       fördern“, sagt Schamberger. „Das gelingt im Fall NSU am ehesten der
       pluralistischen Öffentlichkeit.“ Sein Projekt bemerkte über die Zeit aber
       auch eine diametrale Entwicklung: Während einige Medien inzwischen über
       einen Fundus aus Hintergrundwissen schöpften, würden andere den Fall wieder
       vereinfachen. So berichtete auch die Bild anfangs über das Helfernetzwerk
       des NSU. Später fiel das Blatt auf mit Schlagzeilen über Zschäpe wie „Der
       Teufel hat sich schick gemacht“ oder „Zschäpe im Sommerlook“.
       
       Bereits 2015 hatte die Otto-Brenner-Stiftung mehr als 300 Artikel über die
       Ceska-Mordserie vor der NSU-Enttarnung untersucht. Ergebnis: Die Deutungen
       der Ermittler, dass Täter und Opfer aus dem kriminellen Milieu kämen, seien
       von den Medien „unkritisch“ übernommen und aus Vermutungen Tatsachen
       gemacht worden. Eigene Recherchen habe es fast nicht gegeben, Empathie mit
       den Opfern genauso wenig. Stattdessen seien Stereotype über die türkische
       Community noch verstärkt worden – auch weil die Autoren mit dieser fast
       nicht kommunizierten.
       
       ## Die größte Zäsur
       
       Ähnlich sieht das auch eine weitere, aktuelle Forschungsarbeit der LMU,
       eine Dissertation von Felix Marcinowski. Der Sozialforscher verglich die
       NSU-Berichterstattung mit der zum Oktoberfestattentat in München 1980 und
       dem Pogrom von Rostock-Lichtenhagen 1992, anhand der Zeit, FAZ und Bild.
       
       Und auch Marcinowski stellt fest, dass die Ceska-Mordserie bis zur
       Enttarnung des NSU „weder als problematisch für die Gesellschaft noch als
       politisches Problem verhandelt wurde“. Erst danach seien die Opfer nicht
       mehr als „einige Türken“ dargestellt worden, sondern als Individuen. Am
       persönlichsten seien dennoch die 12 Getöteten des Oktoberfestattentats
       geschildert worden, allesamt Deutsche. Es liege nahe, so Marcinowski, „dass
       ‚deutsche Opfer‘ als eher zu betrauernd angesehen wurden“.
       
       Und auch diese Arbeit notiert eine Tendenz, das NSU-Trio von der
       Gesellschaft abzukoppeln – analog zu den beiden anderen Komplexen. So sei
       der Oktoberfestattentäter Gundolf Köhler als gestörter Unsympath
       dargestellt worden, die Rostock-Täter uniform als „Meute“. Das NSU-Trio
       wurde dagegen zwar sehr ausgiebig ausgeleuchtet, so Marcinowski – sein
       Kontext aber, etwa Traditionslinien des Rechtsterrorismus, dagegen kaum.
       Vielmehr sei der NSU „als etwas genuin Neues“ präsentiert worden. Was er so
       ja nicht war.
       
       Die größte Zäsur steht der NSU-Berichterstattung indes noch bevor: Dann,
       wenn in München das Urteil gesprochen ist. Viel spricht dafür, dass das
       Interesse einer breiten Öffentlichkeit für das Thema danach verschwindet –
       trotz weiter offener Fragen über V-Leute oder mögliche Helfer. Es wird sich
       dann auch zeigen, ob, wie es Marcinowski nennt, der NSU-Schock tatsächlich
       eine Zäsur in der Berichterstattung war – oder doch „eine nur kurze
       Entsetzenswelle“.
       
       11 Mar 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.nsu-watch.info/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Konrad Litschko
       
       ## TAGS
       
   DIR NSU-Prozess
   DIR Schwerpunkt Rechter Terror
   DIR Medien
   DIR Politische Morde
   DIR NSU-Prozess
   DIR Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Porträts von NSU-Ermittlern: Ermittlungen in Aquarell
       
       Die Hamburger Künstlerin Katharina Kohl hat in sechs Jahren 40
       NSU-Ermittler porträtiert. Jetzt sind sie erstmals öffentlich zu sehen.
       
   DIR Anwältin schreibt Buch über NSU-Prozess: Rassismus? Nur ein Witz
       
       Im NSU-Prosess hat die Anwältin Angela Wierig ihr Mandat verloren, weil sie
       ihrer Mandantin in den Rücken gefallen ist. Nun verbreitet sie AfD- und
       Pegida-Botschaften.
       
   DIR Kolumne Der rechte Rand: Hatte der NSU Helfer in Hamburg?
       
       Ungeklärt ist, warum der NSU in Hamburg ausgerechnet Süleyman Taşköprü
       ermordet hat. Die Rechtsanwälte der Familie fordern einen
       Untersuchungsausschuss.