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       # taz.de -- Doping bei den Paralympics: Auf die Probe gestellt
       
       > Der paralympische Sport verspielt seine Glaubwürdigkeit. Das zeigt der
       > Fall der dopingverdächtigen russischen Biathletin Michalina Lisowa.
       
   IMG Bild: Nach einem Dopingverdacht wurde Michalina Lisowa kurzfristig für Pyeongchang zugelassen. Bei ihrem ersten Start gewann sie Gold
       
       Pyeongchang taz | Jeden Tag verschickt das Internationale Paralympische
       Komitee Mitteilungen, die das Wachstum seiner Weltspiele belegen sollen.
       Mehr Sportler, mehr Nationen, mehr Fernsehzuschauer. Routinemäßig wird auch
       eine Notiz über die Erhöhung der Dopingkontrollen unter die Leute gebracht,
       bei den aktuellen Winterspielen in Pyeongchang werden es 600 sein, im
       Schnitt etwa eine pro Athlet. Jenseits dieser Rekordmeldung offenbart das
       IPC allerdings wenig Substanz zum Thema.
       
       Deutlich wird das an der Russin Michalina Lisowa. Die sehbehinderte
       Biathletin hatte 2014 in Sotschi sechs Medaillen gewonnen, davon drei in
       Gold, bei der Schlussfeier trug sie die Fahne ihres Heimatlandes. Später
       tauchte ihr Name im McLaren-Report auf, der das staatlich gestützte
       Dopingsystem in Russland analysiert. Demnach sollen vier Urinproben bei
       Lisowa den Verdacht der Manipulation nahelegen. Trotzdem wurde sie am
       vergangenen Mittwoch kurzfristig für Pyeongchang zugelassen, bei ihrem
       ersten Start über sechs Kilometer gewann sie Gold. IPC-Präsident Andrew
       Parsons entgegnete der wachsenden Kritik, es gebe unterschiedliche Listen
       und nicht jede würde Lisowa belasten: „Wir glauben, dass sie sauber ist.“
       
       „Der paralympische Sport hat seine Unschuld verloren, die Auswirkungen sind
       gravierend“, sagte Ole Schröder, parlamentarischer Staatssekretär im
       Bundesinnenministerium, in Pyeongchang. „Der paralympische Sport hat lange
       nicht nur über Nulltoleranzpolitik gesprochen, sondern sie auch gelebt.“
       Nach Bekanntwerden des Dopingsystems war das IPC zunächst auf Distanz zum
       Internationalen Olympischen Komitee gegangen und schloss Russland für die
       Sommerspiele 2016 komplett aus. Ole Schröder beschreibt eine Wahrnehmung,
       die damals viele teilten: „Die Paralympics haben die olympische Bewegung
       quasi mit gerettet.“
       
       Doch dieser Eindruck hat sich hinter den Kulissen schon früh als einseitig
       erwiesen. Zwischen 2012 und 2015 waren 643 positive Proben verschwunden, um
       russische Athleten zu schützen, darunter 35 Proben aus dem paralympischen
       Sport. Später stellte sich heraus, dass 18 Proben von Medaillensiegern
       manipuliert waren. Während etliche olympische Sportler gesperrt und deren
       Medaillen aberkannt wurden, gab es im IPC keine „ernsthafte Debatte“, sagt
       Karl Quade, seit 1996 Chef de Mission der deutschen Paralympier. „Wir
       wünschen uns Transparenz darüber, ob das russische Antidopingsystem
       inzwischen einen gewissen Standard erfüllt. Doch Informationen gibt es
       kaum.“
       
       Bei der Generalversammlung des Internationalen Paralympischen Komitees im
       vergangenen September in Abu Dhabi war Karl Quade der einzige Bühnenredner,
       der die Themen Doping und Integrität vor den Delegierten ausführlich und
       kritisch ansprach. Quade gilt als sachlicher und gut vernetzter Fachmann in
       der Branche, trotzdem scheiterte er bei der Wahl ins Governing Board, das
       mit 15 Mitgliedern höchstrangige Gremium des IPC.
       
       ## Das Gefälle im Antidopingsystem
       
       Auf derselben Versammlung wurde der Brasilianer Andrew Parsons zum neuen
       Präsidenten des IPC gewählt. Dem studierten Marketingexperten wird ein
       beachtliches Karrierebewusstsein nachgesagt. Parsons änderte den kritischen
       Kurs seines Vorgängers Philip Craven und folgte der Richtung des IOC. Unter
       seiner Führung erlaubte das IPC den Russen den Start in Pyeongchang unter
       neutraler Flagge, unter dem Namen „Neutrale Paralympische Athleten“.
       
       Auch unter deutschen Funktionären wachsen die Spekulationen, ob das kleine
       IPC sich dem wirtschaftlich mächtigen IOC wieder andienen möchte. Am
       Samstag verkündeten Andrew Parsons und IOC-Präsident Thomas Bach die
       Verlängerung ihrer Kooperation, mindestens bis 2032 sollen Olympische und
       Paralympische Spiele am selben Ort stattfinden. Auch bei der
       Eröffnungsfeier am Tag zuvor wirkte Bach auf der Ehrentribüne gut gelaunt.
       2016 in Rio war er der paralympischen Eröffnungsfeier ferngeblieben.
       
       Die Russen, die nun nicht so heißen dürfen, stellen in Korea mit dreißig
       Sportlern die sechstgrößte der 49 Delegationen. Es sei aber auch wichtig,
       nach der Aufregung das große Gefälle im Antidopingsystem abzubauen, findet
       Friedhelm Julius Beucher, Präsident des Deutschen
       Behindertensportverbandes: „Ob China, Ukraine oder Kasachstan, immer wieder
       tauchen überraschend starke Sportler auf, von denen man noch nie etwas
       gehört habe.“ Regelmäßige Kontrollen gibt es dort nicht.
       
       ## Unwissen und Fehler bei Kontrollen
       
       Und auch in anderen Regionen scheint der Behindertensport noch nicht den
       Mindeststandard erreicht zu haben. Die Monoskifahrerin Anne-Lena Forster
       etwa berichtet über Unwissen und Fehler bei manchen internationalen
       Kontrolleuren. „Ich dachte, dass ich in einer paralympischen Saison
       mindestens dreimal unangekündigt kontrolliert werde“, sagt sie. Tatsächlich
       wurde sie im Herbst nur einmal getestet.
       
       Nun in Südkorea mussten deutsche Sportler schon vor den Spielen neunmal
       eine Probe abgeben. Experten aber betonen immer wieder die Wichtigkeit von
       Trainingskontrollen. Bei Paralympics werden Dopingproben seit 1984
       durchgeführt. Oft wurden positive Proben wieder aufgehoben, weil den
       Sportlern Medikamente gestattet sind, die auf der Verbotsliste stehen. Karl
       Quade sagt, dass die Diskussion um Russland die deutschen Sportler belaste:
       „Ich sage, sie sollen sich eine Meinung bilden, aber nicht jede Nacht mit
       diesem Thema schlafen gehen. Es schmälert nicht ihre Leistung, wenn Russen
       vor ihnen stehen sollten.“ Bei den vergangenen drei Winter-Paralympics
       gewannen Russen die meisten Medaillen. Auch dieses Mal könnte das klappen,
       allerdings unter einer anderen Fassade.
       
       11 Mar 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ronny Blaschke
       
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