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       # taz.de -- Nach Giftgas-Anschlag von Salisbury: Theresa May schließt die Reihen
       
       > Die Premierministerin verhängt harte Maßnahmen gegen Russland. Dafür
       > erhält sie im ganzen politischen Spektrum breite Zustimmung.
       
   IMG Bild: Mit harten Maßnahmen gegen Russland: Theresa May
       
       Russland und Großbritannien steuern in die schwerste Krise ihrer
       Beziehungen seit dem Kalten Krieg. Die britische Premierministerin Theresa
       May kündigte am Mittwoch vor dem Parlament in London die Ausweisung von 23
       russischen Diplomaten und das Einfrieren aller geplanten hochrangigen
       bilateralen Kontakte an, dazu neue Möglichkeiten zum Einfrieren russischer
       Gelder in London. Die Beziehungen „können nicht mehr dieselben sein“, so
       May. Man werde „die Bedrohung nicht hinnehmen“.
       
       Großbritanniens Regierungschefin hatte am Montag der russischen Regierung
       eine Frist bis Mitternacht in der Nacht zum Mittwoch gesetzt, um eine
       „glaubwürdige Erklärung“ dafür zu liefern, wie ein Nervenkampfstoff des
       russischen Typs Nowitschok am 4. März in Salisbury gegen den exilierten
       Ex-Agenten Sergei Skripal und seine Tochter Julia zum Einsatz kommen
       konnte.
       
       Den Kampfstoff hatten Chemiewaffenexperten aus der am Stadtrand von
       Salisbury gelegenen Militärforschungseinrichtung Porton Down zweifelsfrei
       identifiziert. Für seine Verwendung auf britischem Boden gebe es nur zwei
       mögliche Erklärungen, hatte May gesagt – entweder einen Einsatz durch den
       russischen Staat oder den Kontrollverlust des Staats über seine
       Kampfstoffe.
       
       Da Moskau darauf mit „Sarkasmus, Verachtung und Trotz“ reagiert habe, so
       May jetzt, gebe es „keine andere Schlussfolgerung als die, dass der
       russische Staat an versuchtem Mord Schuld trägt“. Es handle sich um den
       ersten Angriff mit chemischen Waffen auf dem Gebiet eines Nato-Staates seit
       Gründung des Bündnisses. Er belege außerdem die Existenz eines nicht
       deklarierten russischen Chemiewaffenprogramms.
       
       Russische Stellen reagierten scharf. „Die britische Regierung hat sich für
       die Konfrontation mit Russland entschieden“, erklärte das Außenministerium
       in Moskau am Mittwochnachmittag. „Unsere Antwort wird nicht auf sich warten
       lassen.“ In den Tagen zuvor war Mays Vorwurf in Moskau als „Zirkusnummer“
       bezeichnet worden. Russland werde nicht auf Ultimaten eingehen, sondern nur
       auf eine offizielle Anfrage auf Grundlage der internationalen
       Chemiewaffenkonvention, die für die Beantwortung von Fragen eines
       Vertragspartners an einen anderen eine Frist von 10 Tagen gewährt, hatte
       Außenminister Sergei Lawrow gesagt. Es habe aber gar keine offizielle
       Anfrage gegeben. Das stellt die britische Regierung anders dar.
       
       ## Finanzsanktionen gegen russische Wirtschaftsinteressen
       
       Den 23 ausgewiesenen Diplomaten gab May eine Woche, um das Land zu
       verlassen. Es handle sich um „versteckte Geheimdienstmitarbeiter“, sagte
       sie. Die Ausweisung sei die umfangreichste seit 30 Jahren. Ziel sei es,
       „die russischen Aufklärungskapazitäten fundamental zu schwächen“ und
       zugleich die Großbritanniens auszubauen, durch schärfere Kontrollen und
       Überwachung von Einreisenden sowie Prüfung neuer Spionagerechte.
       „Denjenigen, die uns schaden wollen, sagen wir: Ihr seid hier nicht
       willkommen.“
       
       Zum Einfrieren bilateraler Kontakte gehöre, dass keine Vertreter des
       britischen Staates zur Fußball-WM nach Russland reisen würden und dass eine
       bestehende Einladung an Russlands Außenminister Lawrow wieder rückgängig
       gemacht werde.
       
       Im potenziell folgenreichsten Teil ihres Maßnahmenpakets kündigte May
       Finanzsanktionen gegen russische Wirtschaftsinteressen an, die allerdings
       erst noch ausgearbeitet werden müssen. Sie sagte: „Wir werden russische
       Staatsguthaben einfrieren, soweit wir Beweise dafür haben, dass sie genutzt
       werden könnten, um das Leben oder den Besitz von Bürgern oder Bewohnern
       Großbritanniens zu gefährden […]. Für Schwerverbrecher und korrupte Eliten
       oder ihr Geld gibt es in diesem Land keinen Platz.“
       
       Die Maßnahmen fanden breite Zustimmung, von den linksradikalen Grünen bis
       zur rechtspopulistischen Ukip. Auch Labour-Oppositionsführer Jeremy Corbyn
       äußerte im Parlament Zustimmung, ließ dann aber über seinen Sprecher
       Zweifel an der russischen Täterschaft verlauten. Dies sorgte am Abend für
       erheblichen Unmut in der Labour-Parlamentsfraktion. Mehrere
       Labour-Abgeordnete arbeiteten an einem eigenen Antrag zu der Affäre, der
       sich hinter May und gegen Corbyn stellt und „unzweideutig“ Russland als
       Schuldigen nennt.
       
       Auf Fragen von Zweiflern, welches Interesse Russland an diesem Anschlag
       haben könnte, gaben die Kommentatoren Luke Harding und Andrew Roth im
       britischen Guardianeinige Antworten. Russlands Präsident Wladimir Putin
       wolle kurz vor den Wahlen sein Land als Opfer einer westlichen Verschwörung
       darstellen – und jeden Russen vor Zusammenarbeit mit dem Ausland warnen.
       Dies sei relevant im Zusammenhang mit den laufenden Ermittlungen in den
       USA über mutmaßliche Wahlkampfhilfe des Kreml für Donald Trump.
       
       14 Mar 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dominic Johnson
       
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