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       # taz.de -- Kolumne Press-Schlag: Am Rande des Brechreizes
       
       > Ohne Fußball leben? Undenkbar. Irgendwo flimmert es immer grün.
       > Maßlosigkeit und Mittelmaß des Fußballs drohen uns zu ersticken.
       
   IMG Bild: Wer spielt, fast egal. Irgendwer muss sich immer mit Ballgeschiebe betäuben
       
       Fußball geht ja immer. Er hat sich wie von selbst in jede Ritze der
       Populärkultur gedrängt. Der Konsum eines Kicks ist so alltäglich wie der
       Gang zum Bäcker. Irgendwo flimmert es immer grün. Irgendwer muss sich immer
       mit Ballgeschiebe betäuben. Ohne Fußball leben? Undenkbar. Wäre ungefähr
       so, als würde man ohne Smartphone auskommen müssen. Aber es gibt nicht nur
       in der Welt der Handynutzer eine ständig wachsende Detox-Bewegung,
       Menschen, die das Gefühl nicht loswerden, übertrieben zu haben, abhängig zu
       sein von etwas, was in ihrem Alltag zu groß geworden ist. Sie wollen sich,
       mit allerlei Tricks und Apps, von der Allgegenwart und Dringlichkeit des
       Netzes verabschieden, wenigstens zeitweise.
       
       Im Fußball formiert sich, ganz zart noch, auch so etwas wie eine
       Detox-Bewegung. Sie bekommt ihre Impulse von oben und unten. Oben, in den
       Ligen, den Funktionärsetagen und Fernsehanstalten, haben sie versucht, den
       Goldesel Fußball totzureiten, auch noch den letzten Dukaten aus ihm
       herauszupressen. Unten wird man gewahr, dass die Sucht und das nahezu
       unstillbare Verlangen, alles an Fußball wegzukonsumieren, was da ist, zur
       Übersättigung führt. Ein Happs noch, und man muss kotzen. In der letzten
       Zeit hat es viele von diesen Happen gegeben. Die Fans mucken auf, weil sie
       eine Endloszerfaserung des Spieltages nicht mehr wollen. Weil sie einen
       Ausverkauf der Liga – Stichwort: drohende Abschaffung der 50+1-Regel –
       nicht wollen. Weil die Dominanz der Bayern und die Chancenlosigkeit des
       eigenen Vereins sie anöden. Weil nicht nur Football Leaks enthüllt hat, wie
       durchtrieben die Branche ist.
       
       Es sind freilich nicht nur die eingefleischten Fans, denen hierzulande
       etwas fehlt: Man könnte es die Erzählung vom guten Fußball nennen. Die
       Bundesliga erstickt ja förmlich in Mittelmaß und Kleinkrämertum. Wo ist die
       Spannung, die Inspiration? Wo das Zukunftsweisende? Gut, Rasenballsport
       Leipzig hat sich nun ins Viertelfinale der Europa League gegurkt, und die
       Münchner sind noch, wie sich das gehört, in der Champions League dabei.
       Aber wie steht es zum Beispiel um die Leistungsfähigkeit der deutschen
       Klubs in der europäischen Youth League?
       
       Da konnte heuer nur ein einziges deutsches Team halbwegs mithalten. Sie
       ahnen es schon: die Bayern. Wenn es demnächst um die Wurst geht, dann
       machen Barcelona, Manchester City, Chelsea und der FC Porto den Titel unter
       sich aus. Die Bundesliga braucht, so viel ist sicher, bald schon eine
       Frischzellenkur, will sie nicht ins Biedermeier des Ballgeschiebes
       zurückfallen. Auf einem globalen Fußballmarkt, auf dem Spieler wie
       Blutdiamanten für Unsummen hin und her geschoben werden, könnte das Ende
       des deutschen Protektionismus (50+1) viel schneller kommen als erwartet.
       
       Lionel Messi kann nicht alle Probleme lösen, auch wenn er immer wieder in
       der Lage ist, die Skeptiker mit dem Fußball der Gegenwart zu versöhnen. Wer
       sich aber nicht nur Spiele in der Champions League anschaut, sondern andere
       Nahaufnahmen des Gewerbes, der blickt nicht selten in Abgründe. Besondere
       Polaroids hat Ex-Nationalspieler Per Mertesacker dieser Tage in die Kameras
       gehalten. Der Profi des FC Arsenal London sprach ebenso wie der beim FC
       Barcelona beschäftigte Portugiese André Gomes über psychische
       Ausnahmesituationen. Über den immensen Druck, der einem selbst die ganz
       großen Momente wie ein WM-Halbfinale verleidet. Spieler werden zu Zombies,
       weil das System ihnen selbst die kleinste Schwäche untersagt.
       
       [1][Per Mertesacker] war vor den Spielen zum Kotzen übel. Vielleicht ein
       Symptom, das viel mehr über den Fußball aussagt, als ihm lieb sein kann.
       
       17 Mar 2018
       
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