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       # taz.de -- Kolumne Russisch Brot: Die Mädchen-Schmiede
       
       > Blutjunge Eiskunstläuferinnen dominieren die Wettbewerbe. Sie werden
       > regelrecht verschlissen und treten ab, bevor sie erwachsen sind.
       
   IMG Bild: Getigerter Star: Alina Sagitowa beim olympischen Schaulaufen in Gangneung
       
       Alina Sagitowa wird wohl bei den [1][Weltmeisterschaften im Eiskunstlauf]
       in dieser Woche in Mailand auf dem Podium stehen. Die erst 15 Jahre alte
       Olympiasiegerin aus Russland und WM-Debütantin hat alles, was eine
       Eisprinzessin ausmacht: Wenn sie nach der Musik von „Schwanensee“ läuft,
       könnte man tatsächlich beinahe meinen, da gleite und hüpfe ein Schwan über
       das Eis. Sie beherrscht schwierigste Sprungkombinationen und wunderschöne
       Pirouetten und trägt das in einem atemberaubenden Tempo vor.
       
       Bei den Olympischen Spielen hat Sagitowa Gold geholt nach einem knappen
       Zweikampf mit ihrer 18-jährigen Trainingskameradin Jewgenia Medwedewa.
       Dieser Zweikampf wird bei der WM ausbleiben: Medwedewa, zweifache
       Weltmeisterin und Titelverteidigerin, musste wegen eines Ermüdungsbruchs
       ihre Teilnahme absagen. Es ist ihr zweiter Ermüdungsbruch innerhalb von nur
       fünf Monaten. Fehlt die Konkurrentin aus der gemeinsamen Trainingsgruppe
       von Meistermacherin Eteri Tutberidse, ist Sagitowa wohl nicht zu schlagen.
       Das galt auch für Medwedewa in den letzten beiden Jahren: Trat sie zu einem
       Wettbewerb an, dann gewann sie.
       
       Man musste den Laufstil des Teenagers, der japanische Mangas liebt und gern
       Melodien aus dieser Comicwelt interpretiert, nicht mögen. Aber die
       Sicherheit, mit der sie ihre Sprünge auf das Eis wirbelt, fasziniert. Und
       wie alle Tutberidse-Schülerinnen zeigt sie alle Sprünge erst in der letzten
       Minute ihrer Programme. Da bringen sie mehr Punkte.
       
       Diese Regel hatte der Weltverband ISU vor wenigen Jahren eingeführt, um
       mehr Abwechslung in die Programme zu bringen: Die meisten Eiskunstläufer
       sprangen bis dahin zu Beginn ihrer Programme, wo die Kondition am besten
       ist. Gegen Ende der Kür ließ die Kondition nach und es wurden
       Schrittkombinationen und Pirouetten gezeigt. Tutberidse setzte dagegen voll
       auf die neue Regel: Die Schülerinnen ihrer Mädchen-Schmiede haben so viel
       Kondition, dass die Sprünge auch nach drei Minuten noch sicher gelingen.
       
       ## Rotierende Kinderkörper
       
       Die 43-jährige Tutberidse wurde 2017 in Russland zur Trainerin des Jahres
       gekürt. Ihre Mädchen-Schmiede zieht viele Talente in der in Russland
       populären Sportart an. Die 13 Jahre alte, eben gekürte
       Juniorenweltmeisterin Alexandra Trusowa und die gleichaltrige Anna
       Schtscherbakowa trainieren bei ihr. Sie beherrschen als einzige
       Eisläuferinnen der Welt zwei vierfache Sprünge und könnten damit eine neue
       Ära im Eiskunstlauf einläuten. Dann ist da noch die 14-jährige
       Pirouettenkönigin Alena Kostornaja, die wie eine Feder über das Eis
       schwebt.
       
       Eines hat Tutberidse bisher allerdings nicht geschafft: eine Läuferin über
       die kritische Phase der Pubertät zu hieven. Bei ihr trainieren durchweg
       sehr junge Mädchen, die wahre Wunderdinge vollbringen. Man schaut ihnen
       gern zu, aber man möchte die eine oder andere auch gern sehen, wenn sie als
       Läuferin gereift ist und ihre Kür mit mehr Ausdruck interpretiert.
       
       Doch im Alter von 16 oder 18 Jahren verschwinden Tutberidse-Schülerinnen
       oft. Es ist das Alter, in denen Mädchen weibliche Formen annehmen. Durch
       die neuen Körperformen verändern sich beim Springen die Drehmomente, viele
       Sprünge müssen völlig neu erlernt werden. Das wirft Eiskunstläuferinnen oft
       ein oder zwei Jahre in der Entwicklung zurück. Nicht jede schafft das
       Comeback.
       
       Daran scheiterte etwa die Team-Olympiasiegerin von Sotschi, Julia
       Lipnizkaja. Nach einer langen Leidenszeit trat sie im letzten Jahr wegen
       einer Essstörung offiziell vom Leistungssport zurück. Ob man die
       Noch-Weltmeisterin Jewgenia Medwedewa nach ihrem Ermüdungsbruch wieder auf
       dem Eis sehen wird, ist offen. Die 18-Jährige hat noch recht mädchenhafte
       Formen. Das Wachstum lässt sich durch Leistungssport vielleicht nach hinten
       schieben, ganz aufzuhalten ist es indes nicht. Und dann wartet schon die
       jüngere Konkurrenz aus der eigenen Trainingsgruppe. Und vielleicht ist sie
       nach zwei Ermüdungsbrüchen auch einfach schon verbraucht.
       
       21 Mar 2018
       
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