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       # taz.de -- Proteste in Tschechien: „Babis hau ab!“
       
       > In Prag demonstrieren Zehntausende gegen die Klüngelei der Regierung mit
       > den Kommunisten. Diese könnten wieder mächtig werden, fürchten viele.
       
   IMG Bild: Demonstration gegen Tschechiens Regierung am Montag in Prag
       
       Prag taz | „Was wollen die ganzen Leute hier?“, wundert sich der Wirt im „U
       Jelínků“, einer der letzten echten Bierkneipen, die noch in der Prager
       Innenstadt erhalten sind. Das kleine Lokal zwischen Wenzelsplatz und
       Nationalstraße ist an diesem frühen Montagabend gut gefüllt. „Bier gibt es
       nicht, ich habe keine Gläser mehr“, erklärt der Wirt mit seinem gepflegten
       Zwirbelbart und altböhmischen Charme. Hilfesuchend blickt er zur Kellnerin,
       die eifrig im Hinterzimmer Gläser einsammelt. „So voll ist es hier sonst
       nie“, stöhnt sie.
       
       In einer Ecke neben dem Tresen stehen Ivana und ihre Freunde und trinken
       erst mal einen kräftigen Schluck von dem Bier, das endlich gekommen ist.
       „Es ist das erste Mal seit 20 Jahren, dass ich auf eine Demo gehe“ lacht
       Ivana. „Aber heute, da musste ich kommen, es reicht einfach“, sagt sie. Ihr
       Blick schweift durch die volle Kneipe. „Ich glaube, das wird groß.“
       
       Eine Bierlänge später kann der Wirt des U Jelinků aufatmen. So plötzlich
       sich sein Lokal gefüllt hat, leert es sich wieder. Etwas erschrocken schaut
       er dann schon, als auch die Stammgäste von ihren Tischen aufstehen. „Wir
       kommen gleich wieder“, ruft ihm einer noch beruhigend zu, bevor auch er
       verschwindet.
       
       Draußen auf den Straßen herrscht reges Treiben. Hier, in dieser Ecke Prags
       mit all ihren Cafés, Bars und Bierhallen, ist eigentlich immer viel los.
       Aber Menschen die heute durch die Gassen zwischen Alt- und Neustadt
       strömen, sind nicht hier, um sich treiben zu lassen. Getrieben von dem
       brennenden Verlangen, die Arroganz der Macht in ihre Schranken zu weisen,
       haben sie jetzt alle das gleiche Ziel: den Wenzelsplatz.
       
       ## Kein Durchkommen
       
       Dort ist kein Durchkommen mehr. Innerhalb eines einzigen Wochenendes haben
       sich Zehntausende gefunden, die an einem kühlen Montagabend die untere
       Hälfte des Wenzelsplatzes füllen, um gegen die Klüngelei der Regierung mit
       den Kommunisten zu demonstrieren.
       
       Auslöser der Demonstration war die Wahl des kommunistischen Abgeordneten
       Zdeněk Ondráček zum Vorsitzenden der Kontrollkommission der Polizei.
       Ondráček, der sich auf seiner Facebook-Seite gerne mit nackter, behaarter
       und Goldkettchen verzierter Brust präsentiert, ist bis heute stolz auf
       seine Vergangenheit: 1989 war er Mitglied der Einsatztruppen des „Korps der
       nationalen Sicherheit“, die bei Proteste auf Oppositionelle einprügelten.
       
       „Ondraček, verpiss Dich“, skandiert die Menge und wedelt mit weißen,
       zusammengerollten Pappbögen. Sie sollen den Schlagstock des
       Regime-Polizisten Ondráček symbolisieren. „Mein Freund steht oben auf dem
       Platz und meint, er sei bis zu drei Viertel voll mit Demonstranten“, meint
       Ivana. „Man sagt auf den Wenzelsplatz passen 100.000 Leute“, wirft eine
       ältere Frau ein, die neben Ivana auf einem Mauervorsprung steht.
       
       Eine kleine Diskussion entsteht. „Also 20.000 könnten es schon sein“, meint
       Ivana. Die Frau neben ihr pocht auf dreißig. „In Brünn sollen es
       zwölftausend sein“, wirft ein junger Mann ein und zeigt eine SMS auf seinem
       Handy.
       
       ## Klingeln mit Schlüsseln
       
       Die Masse beginnt wieder zu skandieren. „Babiš hau ab“. Sie haben die
       Papprollen eingesteckt und die Schlüssel herausgeholt, mit denen sie jetzt
       zu Tausenden klingeln. Die Symbolik ist klar: mit Schlüsseln hatten die
       Demonstranten während der Samtrevolution den Kommunisten das Glöckchen
       geläutet. Jetzt demonstrieren sie wieder, weil sie befürchten, dass die
       Kommunisten in dem sich abzeichnenden Machtkartell unter Babiš zu viel
       Einfluss haben werden.
       
       Die Wucht des Protestes hat dem Ministerpräsidenten Grenzen aufgezeigt.
       Schon vor den Demonstrationen machte er einen Rückzieher. Er sei immer
       gegen die Wahl Ondráčeks gewesen und werde empfehlen, für seine Abberufung
       zu stimmen, beteuerte Babiš in der Presse und auf seiner Facebook-Seite.
       
       Zurück auf dem Wenzelsplatz verläuft der Protest laut, aber friedlich.
       Polizeipräsenz ist kaum zu bemerken. Umso mehr Familien mit Kindern, alte
       Frauen mit Rollatoren.
       
       „Andrej Babiš hat eins geschafft“, wird der tschechische Journalist Pavel
       Šafr am nächsten Tag auf seinem Webportal Forum 24 süffisant vermerken,
       „nämlich die Menschen im Land zu einen“.
       
       ## Rückkehr der Stammgäste
       
       Langsam zerstreut sich die Menge. Ins U Jelínků kehren jetzt nur noch die
       Stammgäste zurück. Ivana und ihre Freunde wollen mit der Tram zurück in
       ihren Kiez am anderen Moldauufer.
       
       Der Wenzelsplatz wird wieder den Touristen überlassen. „Was war hier
       eigentlich los?“? fragt eine junge Frau auf Englisch, die sich vor einer
       der Wurstbuden auf dem Platz an ihren Koffer lehnt. „Nur eine Demonstration
       gegen die Regierung“ ruft ihr Ivana noch zu, bevor sie um die Ecke
       verschwindet.
       
       Tags darauf zeigt sich: Der Protest hat gefruchtet. Noch bevor er abgesetzt
       werden kann tritt Zdeněk Ondráček von seinem Posten als Vorsitzender der
       Polizeikommission zurück.
       
       6 Mar 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Alexandra Mostyn
       
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