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       # taz.de -- Prozess Skandal in Haasenburg-Heimen: 1.500 Euro für ein kaputtes Gelenk
       
       > Die Misshandlungen in den Haasenburg-Heimen hatten strafrechtlich kaum
       > Folgen. Jetzt endet ein Prozess mit einem einfachen Deal.
       
   IMG Bild: Geschlossene Fenster in den Heimen der Haasenburg GmbH
       
       Berlin taz | Wegen Misshandlung eines Schutzbefohlenen mussten sich am
       Donnerstag ein 55-jähriger Exbetreuer der Haasenburg-Heime und sein
       50-jähriger Kollege vor dem Amtsgericht Strausberg verantworten. Ihnen
       wurde vorgeworfen, im Jahr 2011 den damals 16-jährigen Jugendlichen G. am
       ersten Tag seines Aufenthalts im Heim Müncheberg in seinem Zimmer mit
       schmerzhaften Hebelgriffen an den Händen festgehalten zu haben. Dabei soll
       er in Ohnmacht gefallen sein. Außerdem soll sein Handgelenk dauerhaft
       geschädigt sein.
       
       Der Prozess wurde nach vier Stunden Verhandlung vorläufig eingestellt.
       Voraussetzung ist, dass die beiden Angeklagten an das Opfer je 750 Euro
       zahlen. „Der Vorfall war 2011. Das Verfahren ist für alle sehr belastend“,
       sagte Richterin Susanne Cramer. Für ein Urteil hätte man weitere Beweise
       erheben und das Verfahren nicht an diesem Tag beenden können.
       
       Vier Jahre ist es her, [1][dass die Haasenburg-Heime in Brandenburg durch
       die Landesregierung geschlossen wurden.] Grundlage war der Bericht einer
       Untersuchungskommission. In den Heimen seien „Willkür und Bestrafung
       unzulässig ausgeprägt“, sagte der Kommissionsvorsitzende Martin Hoffmann
       damals.
       
       Parallel gab es bei der Staatsanwaltschaft 55 Ermittlungsverfahren gegen
       insgesamt 85 beschuldigte Betreuer. Doch der größte Teil wurde inzwischen
       eingestellt. Der einzige andere Fall, der wegen dem Einsatz körperlicher
       Gewalt vor Gericht kam, endete im März 2015 mit Freispruch.
       
       Allerdings war damals das mutmaßliche Opfer ohne Anwalt im Gerichtssaal.
       Das war am Donnerstag in Strausberg anders. Der inzwischen 21-jährige G.
       wurde durch Anwalt Joachim Herrmann aus Berlin vertreten. Außerdem wurde
       ein ehemaliger Bewohner als Zeuge geladen.
       
       ## Grund: Blick aus dem Fenster
       
       Auslöser für die Maßnahme im Heim war laut Anklage, dass der Junge während
       der Bearbeitung von Aufgaben aus dem Fenster schaute, weinte und nach
       Aufforderung durch den Betreuer nicht mit ihm sprechen wollte. Der zweite
       Angeklagte und ein unbekannter Dritter sollen den Jungen etwa 40 Minuten an
       beiden Armen festgehalten und so viel Kraft auf den Geschädigten ausgeübt
       haben, dass dieser vor Schmerzen schrie und weinte und wegen des Schleims
       in Mund und Nase keine Atemluft bekam.
       
       Zudem existiert ein Protokoll, dass der Junge selbst am Tattag schrieb. In
       dem Dokument hat er den Vorgang einschließlich der schmerzenden Handgriffe
       beschrieben. Er habe nichts gemacht, was diese Handlung rechtfertige,
       schrieb G. damals. Er habe nur aus dem Fenster geguckt, obwohl Betreuer J.
       ihn aufgefordert habe, sich umzudrehen. „Das kann doch kein Grund sein, die
       Handgelenke so zu verdrehen.“
       
       G. wiederholte die Schilderung vor Gericht. „Die haben alle fünf Minuten
       gefragt, ob ich mit ihm sprechen kann. Ich habe mit dem Kopf geschüttelt“,
       sagte er mit sehr leiser Stimme. Dann hätten die Betreuer jeweils den Druck
       erhöht. „Die Schmerzen waren so stark, dass ich ohnmächtig geworden war.“
       Er demonstrierte dem Gericht im Stehen an Armen und Beinen seines Anwalts,
       wie die Betreuer ihm die Gelenke umbogen.
       
       Der junge Mann wurde 2012 aus dem Heim entlassen. Die Hände seinen danach
       immer dicker geworden. Als er später ein Praktikum bei einem Gerüstbauer
       machte, wurden die Probleme so deutlich, dass er sich 2015 in ärztliche
       Behandlung. Die Hände wurden operiert und zuvor untersucht. Der Spezialist
       stellte zwei Rissverletzungen an Gelenkkapsel und Gelenkknorpel fest.
       
       ## Erinnerungslücken
       
       Die beiden Angeklagten sagten, sie könnten sich an den Vorfall nicht
       erinnern. Es gibt jedoch ein Protokoll des Betreuers B., aus dem
       hervorgeht, dass der Junge an besagtem Tag in seinem Zimmer „stehend
       begleitet“ wurde. Es sei bei dem Jungen eine rein verbale Grenzsetzung
       erfolgt. Er sollte sich umdrehen, um ein Gespräch zu ermöglichen. Die
       Handgriffe seien demnach gar nicht angewandt worden.
       
       Die Strategie der Verteidigung war es, die Glaubwürdigkeit des Zeugen
       infrage zu stellen. Auch die Staatsanwältin fragte den jungen Mann peinlich
       nach seinem Lebenslauf. Immerhin warf die Richterin kurz ein, dass der
       Zeuge im Saal nicht der Angeklagte sei. Anwalt Jens Hennersdorf duzte gar
       den Opferzeugen, was ihm einen Rüffel der Nebenkläger einbrachte.
       
       Nach einem Rechtsgespräch einigten sich die Verfahrensbeteiligten am
       Nachmittag auf einen Handel. Das Opfer bekommt 1.500 Euro Schmerzensgeld.
       Dafür wird das Verfahren eingestellt. „Besser der Spatz in der Hand als die
       Taube auf dem Dach“, sagte Anwalt Herrmann.
       
       22 Mar 2018
       
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