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       # taz.de -- Unfähigkeit zur Konfliktlösung: Wie wäre es mit einem Argument?
       
       > Revolver im Gürtel, eine Welt unter Waffen und verbale Gefechte von Spahn
       > bis Tellkamp – das muss doch auch zivilisierter gehen.
       
   IMG Bild: Bewaffneter Platzsturm: Iwan Savvides, der Präsident von Paok Saloniki außer Rand und Band
       
       Es läuft die 89. Minute des Spiels zwischen Paok Saloniki und AEK Athen. Es
       steht 0:0 in diesem Spitzenspiel der griechischen Fußballliga. Ein Tor
       fällt. Der Schiedsrichter entscheidet auf Abseits. Was folgt, sucht
       seinesgleichen. Iwan Savvidis, der Präsident von Paok Saloniki, stürmt auf
       den Platz und bedrängt den Schiedsrichter. Der Revolver, der an seinem
       Gürtel hängt, macht seinem Protest zum Terror. Die Schiedsrichter haben
       Angst, unterbrechen das Spiel, fliehen in die Kabine. Dort ändern sie ihre
       Meinung.
       
       Das Tor würde nun doch zählen, soll der Schiedsrichter dann gesagt haben.
       Nichts Genaues weiß niemand. Der griechische Fußball steckt wieder einmal
       in einer Krise. Durchatmen. Was ist passiert? Der Präsident eines
       Fußballklubs hat mit der Androhung von Waffengewalt versucht, die
       Entscheidung eines Schiedsrichters zu manipulieren, möglicherweise sogar
       erfolgreich.
       
       Hätte sich die Szene in den USA abgespielt, es hätte sich gewiss einer
       gefunden, der fordert, die Schiedsrichter müssten auch bewaffnet werden.
       Wenn Waffengleichheit herrsche, dann werde schon nichts passieren. Das ist
       die Idee, die dahintersteckt. Die führt irgendwann zu dem Zustand, den man
       zu Zeiten, als in der alten Bundesrepublik noch Hunderttausende mit weißen
       Friedenstauben auf die Straßen gegangen sind, Gleichgewicht des Schreckens
       genannt hat.
       
       ## Letale Konflikte
       
       Ein anders Wort, das in jenen 1980er Jahren Konjunktur hatte, ist
       Abrüstung. Wer es heute benützt, wird sich nicht wundern, wenn er als
       Naivling belächelt wird. Es gibt eine Sehnsucht, Konflikte definitiv zu
       entscheiden, letal. Gegen Abrüstung wird zwar erstmal kaum einer etwas
       sagen. Wirklich darüber geredet wird wahrscheinlich erst wieder, wenn die
       letzte Schlacht geschlagen ist.
       
       Bis dahin wird man viel hören von neuen Atomwaffen, die selbst von den
       besten Antiraketenraketen nicht getroffen werden können, über neue
       Kleinwaffen und in Handelskriegen gehärteten Stahl für gepanzerte
       Fahrzeuge. Dass es, wie das [1][schwedische Friedensforschungsinstitut
       Sipri nun wieder gemessen hat], immer mehr Waffen auf dieser Welt gibt,
       wundert wirklich niemanden.
       
       Es wird scharf geschossen in diesen Zeiten. Auch verbal. Statt Diskussionen
       gibt es Gefechte. Dabei sitzen die Kontrahenten in ihren Schützengräben und
       wollen sie partout nicht verlassen. Lieber einfach abdrücken. Einer wie der
       frische Gesundheitsminister Jens Spahn wird via Twitter zum zum Unmenschen
       erklärt, weil er sagt, was er sagen muss, als Regierungsvertreter: dass in
       Deutschland niemand hungern müsste, gäbe es die Tafeln nicht.
       
       ## Der Tod des Arguments
       
       Statt sich über Sozialpolitik zu streiten, über Umverteilung in einer
       Gesellschaft, in der Vermögen immer ungleicher verteilt ist, wird versucht,
       Spahn mit der Moralkeule zu erschlagen. Und was macht der? Er schlägt
       zurück und behauptet wider besseres Wissen, dass es in Deutschland keine
       Armut gebe. Schon gibt es den ersten Toten in dieser Auseinandersetzung:
       das Argument. Wie wäre es also mit Abrüstung?
       
       Dass im Weißen Haus ein Wahnsinniger herrscht, in Pjöngjang ein Irrer, das
       könnte schon stimmen. Weg mit ihnen? Wer das fordert, mag für eine bessere
       Welt stehen, und hat sich dennoch aus jedem Diskurs verabschiedet. Aus dem
       sind schon lange die ausgestiegen, die vor ein paar Monaten noch gesagt
       haben: „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“ und die heute nach jeder
       Äußerung anfügen: „Aber das darf man ja heute nicht mehr sagen.“ Wer den
       Begriff Meinungsfreiheit wie Dynamit verschießt, ist für Argumente nicht
       empfänglich.
       
       Das sollte kein Grund sein, selbst mit dem Argumentieren aufzuhören. Einen
       wie den Schriftsteller Uwe Tellkamp kann man für scheiße, schlimm, rechts
       und pegidakompatibel erklären, man kann aber auch erklären, was nicht
       stimmt an dem, was er zum Thema Migration verzapft – dass über 95 Prozent
       der Flüchtlinge nur kommen, um in die Sozialsystem einzuwandern etwa. Mit
       der letalen Diskurswaffe, mit der Gegner niedergestreckt werden, indem man
       sie als AfD-nah bezeichnet, sollte man vorsichtig umgehen.
       
       Über das Fußballspiel in Griechenland muss nun am Grünen Tisch entschieden
       werden. Leicht wird das nicht, nachdem eine Seite schon vorher mit der
       Waffe gewedelt hat.
       
       12 Mar 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Globaler-Waffenhandel-haelt-an/!5487995
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Rüttenauer
       
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