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       # taz.de -- Abgasprobleme in Osnabrück: Eine Stadt erstickt
       
       > Die Stickstoffdioxidwerte übersteigen in Osnabrück die EU-Vorgaben.
       > Umweltschützer fordern Fahrverbote. Die Stadt laboriert an
       > Luftreinhalteplan.
       
   IMG Bild: Osnabrück hat ein Abgasproblem: Fahrverbote soll es trotzdem nicht geben
       
       Osnabrück taz | Betrugsdiesel. Michael Hagedorn, Fraktionsvorsitzender der
       Grünen im Osnabrücker Stadtrat, sagt dieses Wort oft. Er sagt es mahnend,
       zornig, frustriert. Natürlich hat er es auch am 27. Februar gesagt – an
       diesem Tag erklärt das Bundesverwaltungsgericht Fahrverbote für
       Diesel-Fahrzeuge für statthaft. „Es kann nicht sein, dass die Gesundheit
       der Anwohner betroffener Straßen noch weiter unter den Betrugsdieseln
       leiden muss.“ Das Leipziger Urteil stärke das „Recht auf gute Luft“.
       
       Gute Luft? Wer die in Osnabrück atmen will, wohnt besser am Stadtrand. Oder
       in der Nähe der „Grünen Finger“, auf die sich die Stadt so stolz gibt,
       obwohl die aus der „freien Landschaft“ in sie hineinragenden Wald-,
       Landwirtschafts- und Grünflächen Stück um Stück schwinden.
       
       Das Hauptproblem: In Osnabrück übersteigt der Jahresmittelwert an
       Stickstoffdioxid (NO2) die 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft (µg/m³) ,die
       seit 2010 EU-weit einzuhalten sind, deutlich – und zwar seit es den
       Grenzwert gibt. Wer sich durch die NO2-Werte klickt, die das
       Lufthygienische Überwachungssystem Niedersachsen für Osnabrück online
       stellt, ist alarmiert. An Tagen wie dem 22. März zum Beispiel. Maximum: 76,
       um 16 Uhr. Zwölf Stunden vorher waren es nur 17. Dennoch: Das Unbehagen
       bleibt. Seit 2010 hat Osnabrück zwar eine Umweltzone. Aber dem NO2 war so
       nicht beizukommen.
       
       Hauptverursacher sind Dieselfahrzeuge. Mehr als jeder dritte der 80.000 PKW
       der Stadt ist eines. Plus LKW, plus Busse, plus Pendler-PKW, plus
       Kleintransporter. Die Osnabrücker Werte sinken zwar. Der Jahresmittelwert
       von 2017 war mit 44 µg/m³ der niedrigste, den die Verkehrsstation am
       innenstädtischen Schloßwall je maß – 35.000 Autos pro Tag rauschen hier
       durch. 2016 lag der Messwert bei 47 µg/m³, 2015 bei 50, 2006 gar noch bei
       61. Andererseits hat Osnabrück nach Oldenburg die höchsten Werte von ganz
       Niedersachsen.
       
       ## Mehrheiten zu organisieren, ist schwierig
       
       Entwarnung kann es also nicht geben. Denn schon die Höhe des Grenzwerts ist
       ein Problem. Thomas Lob-Corzilius, Osnabrücker Kinder- und Jugendarzt,
       spezialisiert auf Allergologie und Umweltmedizin, sagt: „Anfang 2017
       erschien eine Meta-Analyse, in der 41 weltweit durchgeführte Studien
       bewertet wurden: Danach stieg das relative Risiko, Asthma zu entwickeln, um
       48 Prozent, wenn die mittlere jährliche Belastung über 30 µg/m³ lag.“ Und
       es geht nicht nur um Asthma, auch um Herz-Kreislauferkrankungen und
       Hyperaktivität bei Kindern.
       
       Drei Mess-Stellen gibt es in Osnabrück. Eine am Standrand, zwei in der
       Innenstadt. Der Rest ist Hochrechnung, Annahme. Nicht, dass in Osnabrück
       niemand wüsste, was geschehen muss, damit der NO2-Wert schnell und
       nachhaltig sinkt. Aber für unpopuläre Maßnahmen sind Ratsmehrheiten schwer
       zu organisieren. Und Diesel-Halter zur freiwilligen Hardware-Nachrüstung zu
       bewegen, kann man vergessen.
       
       Einer, der an diesem Tanz auf dem Vulkan manchmal verzweifelt, ist Detlev
       Gerdts, Fachbereichsleiter Umwelt und Klimaschutz: „Klar, man könnte jetzt
       strengere Fahrverbote aussprechen. Der Effekt wäre rein rechnerisch sofort
       zu spüren. Aber solange ich die Verbotseinhaltung nicht kontrolliere, ist
       das reiner Aktionismus.“ Kontrollen setzen Kenntlichkeit voraus – die blaue
       Plakette, die noch in den Sternen steht.
       
       Aber selbst wenn sie käme: Warum sollte es mit ihr besser funktionieren als
       mit der derzeitig gültigen grünen, ohne die niemand die Osnabrücker
       Umweltzone befahren darf – theoretisch? Nur zehn Verstöße ahndet die
       Polizei pro Jahr, nur 1.000 der Außendienst des Ordnungsamts.
       
       Detlev Gerdts winkt ab: „Die blaue Plakette ist sinnvoll, aber wer die
       jetzt einführt, verscherzt es sich mit vielen. Also kriegen wir sie
       wahrscheinlich erst, wenn der Großteil der Euro-5-Diesel ausgemustert ist.
       Vorher traut sich das keiner.“ Fest steht allerdings: Osnabrück muss sich
       bewegen. Geschieht das nicht, droht eine Klage der Deutschen Umwelthilfe
       (DUH). Die DUH hat Osnabrück zwar Aufschub gewährt, weil eine
       Aktualisierung des Luftreinhalteplans der Stadt ansteht. Aber nach dem
       Leipziger Urteil hat die DUH auch in Osnabrück nachgefasst. Wie weit die
       Überlegungen zur Drosselung des NO2-Werts seien? Ende der Meldefrist ist
       der 26. März.
       
       Osnabrück hat geliefert. Gut, ein Fahrverbot steht in ihrem Plan bislang
       nicht. Und der Plan passiert nicht vor Mai den Rat. Außerdem ist er gerade
       in der Bürgerbeteiligungsphase: Bis zum 21. April nimmt der Fachbereich
       Umwelt und Klimaschutz Stellungnahmen entgegen. „Als eine davon betrachten
       wir das Fahrverbot, das die DUH fordert“, sagt Detlev Gerdts.
       
       Automatisch droht eine Klage dadurch aber nicht. Jürgen Resch,
       Bundesgeschäftsführer der DUH, sagt, dass das ergänzende Material, das die
       Stadt kürzlich eingereicht hat, „sehr substanziell“ aussehe. „Die Stadt
       nimmt den Dialog mit uns offenbar sehr ernst, das ist anzuerkennen.“ Und
       vielleicht geht es in Osnabrück ja wirklich ohne Fahrverbot. Es ist
       schließlich keine der Städte jenseits 50 µg/m³ aufwärts, bei denen
       Fahrverbote wohl unumgänglich sind.
       
       „Am liebsten wäre es uns natürlich, alle Städte wären einsichtig“, sagt
       Jürgen Resch von der DUH. „Dann könnten wir es uns sparen, zu klagen.“ Aber
       realistisch ist das nicht. „Wir haben ein toughes Gerichtsprogramm vor
       uns.“ Verloren hat die DUH bisher keines dieser Verfahren.
       
       Neun Maßnahmen zur Einhaltung der NO2-Grenzwerte listet der aktuelle
       Entwurf des Osnabrücker Luftreinhalteplans auf. Sie sollen helfen, den
       Grenzwert „bis spätestens 2022“ zu unterschreiten und reichen vom Einsatz
       von Elektro-Bussen über ein LKW-Verbot bis zur umweltsensitiven
       Verkehrslenkung.
       
       ## Citymaut in Osnabrück?
       
       2022? Nicht nur für Tobias Demircioglu vom Osnabrücker Kreisverband des
       ökologisch orientierten Verkehrsclubs Deutschland (VCD) dauert das zu
       lange: „Der motorisierte Individualverkehr muss stark eingeschränkt werden.
       Und das schnell.“
       
       Der VCD würde sich an einer Fahrverbots-Klage der DUH gegen die Stadt
       beteiligen. Eine Citymaut könnte Demircioglu sich vorstellen, eine
       Nahverkehrsabgabe für Firmen ab neun Vollzeitbeschäftigten. „Und die Preise
       für ÖPNV müssen fallen – radikal!“
       
       Auch Stadtbaurat Frank Otte hätte gern bereits gehandelt: „Unhaltbar, das
       nicht in den Griff zu kriegen.“ Stattdessen fühlt er sich wie Don Quixote:
       „Das ist oft ein Kampf gegen Windmühlenflügel.“ Aber Otte ist zugleich
       Verwalter. „Bund und Land geben leider keine klaren Linien vor.
       
       Die Städte sind da alleingelassen.“ Dazu kommen politische Kräfte in der
       Stadt, für die jede Einschränkung des motorisierten Individualverkehrs den
       „Untergang des Abendlands“ bedeute, so Gerdts. Der Bund Osnabrücker Bürger“
       (BOB) etwa, der da mit der CDU konform geht. Der BOB-Abgeordnete Ralph
       Lübbe glaubt, Mobilität bleibe „immer individuell“.
       
       Aber mit der DUH sollten sich beide nicht anlegen. Im Februar hat die für
       die Studie „Decke auf, wo Atmen krank macht“ an 559 Messorten Deutschlands
       die NO2-Belastung erhoben. 89 Prozent der Messstellen zeigten
       „gesundheitlich bedenkliche Belastungen“ von über 20 µg/m³.
       
       26 Mar 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Harff-Peter Schönherr
       
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