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       # taz.de -- Volksbegehren für bessere Kliniken: Gepflegtes Sammeln
       
       > Ein Bündnis will mit einem Volksentscheid mehr Personal in Berlins
       > Kliniken durchsetzen. Das Sammeln von Unterschriften läuft gut. Ein
       > Besuch.
       
   IMG Bild: Mit Musik geht alles besser: Aktivisten des Klinik-Bündnisses am Samstag beim Sammeln von Unterschriften
       
       „Das hier betrifft alle“, ruft der junge Mann im weißen Patientenhemd den
       Passanten zu, die die Brücke am S-Bahnhof Warschauer Straße überqueren.
       Viele schauen zunächst skeptisch, nähern sich dann aber interessiert. „Es
       geht um Gesundheit“, erklärt der Mann mit dem Klemmbrett in der Hand, „und
       das betrifft wirklich alle.“
       
       Es ist Samstagnachmittag, und das Berliner Bündnis für mehr Personal im
       Krankenhaus sammelt Unterschriften für einen Volksentscheid für gesunde
       Krankenhäuser. Mindestens 20.000 Unterzeichner braucht die Initiative in
       der ersten Stufe.
       
       Gesammelt wird auf der Straße und in mehr als einem Dutzend Abgabestellen
       in der ganzen Stadt: in Krankenhäusern, sozialen Einrichtungen, Geschäften.
       Mit dem Volksentscheid wolle man die Versorgungsqualität in den Kliniken
       verbessern, etwa durch Veränderungen im Landeskrankenhausgesetz, heißt es
       auf der Webseite des Bündnisses. Dort fehlen laut Gewerkschaft Verdi bis zu
       3.000 Pflegestellen.
       
       Sechs MitarbeiterInnen des Bündnisses stehen deshalb an der Warschauer
       Straße – es sind Pflegekräfte, Auszubildende, MedizinstudentInnen. Valentin
       Herfurth trägt einen Kopfverband, einen Mundschutz um den Hals und eine
       Gitarre in der Hand. „Wir wollen pflegen für gutes Leben, für einen jeden
       und für dich“, singt der Azubi auf die Melodie des italienischen
       Kampfliedes „Bella Ciao“. „Manche reißen uns die Zettel aus der Hand, wenn
       man sagt, es geht um mehr Personal im Krankenhaus“, sagt er.
       
       Und immer wieder berichten Leute beim Unterschreiben von eigenen
       Krankenhausgeschichten. Eine Frau erzählt, ihre Tochter habe vor Kurzem
       erst schlechte Erfahrungen gemacht. Das Thema sei ihr daher persönlich sehr
       wichtig.
       
       Aktuell verhandeln die Deutsche Krankenhausgesellschaft und der
       Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen über Untergrenzen für
       Pflegepersonal. „Da verhandeln die, die das finanzieren sollen, und die,
       die mit Personaleinsparung Gewinne gemacht haben“, sagt Herfurth, „nicht
       aber die Betroffenen, also die PatientInnen oder Pflegenden“.
       
       Auf einer öffentlichen Anhörung hatten die Verhandelnden ihre Vorschläge
       konkretisiert. Demnach sollten Mindestbesetzungen lediglich im
       Quartalsdurchschnitt, nicht aber schichtweise gelten. Sanktionen gebe es
       nur, wenn diese drei Jahre in Folge nicht eingehalten würden. Auch dürfe
       ein Drittel der Mindestbesetzung aus Hilfskräften bestehen.
       
       Verdi kritisierte die Vorschläge scharf. „Die Beschäftigten erwarten mehr
       als Scheinlösungen“, hieß es von Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler.
       Diese Kritik teilt auch Laura Beckmann. Sie hat selbst schlechte
       Erfahrungen als Patientin gemacht und trat 2013 in das Bündnis ein, um sich
       zu engagieren. Das Personal würde nicht am tatsächlichen Bedarf gemessen,
       sagt sie. Stattdessen werde vom Istzustand – das heißt: Pflegenotstand –
       ausgegangen, und nur einige Ausreißer nach unten würden bestraft.
       
       Vergangene Woche hat sich Gesundheitssenatorin Dilek Kolat (SPD) im
       Bundesrat für bessere Personalschlüssel eingesetzt. „Ein schönes Signal“,
       findet Valentin Herfurth, „und auch auf unseren Druck entstanden.“ Auch
       Laura Beckmann begrüßt die Bundesratsinitiative. Dennoch dürfe das Land
       Berlin die Verantwortung nicht auf den Bund schieben. Im Bündnis ist man
       sich sicher: „Die rot-rot-grüne Regierung kann jetzt schon auf Landesebene
       aktiv werden.“
       
       Es sind viele Touristen an der Warschauer Straße unterwegs, gültige Stimmen
       können jedoch nur in Berlin gemeldete Personen abgeben. Hin und wieder
       unterschreiben auch Nichtberliner aus Solidarität. Diese werden bei der
       Überprüfung der Unterschriften nicht gezählt. Für Herfurth sind sie aber
       ein Zeichen dafür, wie breit die Unterstützung ist.
       
       Eine weitere Voraussetzung für die Unterschrift ist ein deutscher Pass –
       eine problematische Regel, wie Beckmann findet. Jeder, der in Berlin lebt
       und somit direkt von dem Gesundheitssystem betroffen ist, sollte die
       Möglichkeit haben, das Projekt zu unterstützen, sagt sie. Dennoch: Mehr als
       15.000 Unterschriften hätten sie bereits gesammelt.
       
       25 Mar 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Daniel Stoecker
       
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