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       # taz.de -- Kolumne American Pie: Beten für den Basketballsieg
       
       > Der deutsche Basketballer Moritz Wagner könnte mit den Michigan
       > Wolverines College-Meister werden. Eine 98-jährige Nonne will das
       > verhindern.
       
   IMG Bild: Schwester Jean ist eine internationale Berühmtheit
       
       Sich einen Traum erfüllen, das wollte Moritz Wagner, als er vor drei Jahren
       einen Profivertrag bei Alba Berlin ausschlug und stattdessen ein Stipendium
       an der University of Michigan annahm. Nun hat er mit den Michigan
       Wolverines das Final Four der College-Basketball-Meisterschaft erreicht, an
       diesem Wochenende spielt er in San Antonio um den Titel – und das ganze
       Land wird zusehen: Das Turnier der besten vier Uni-Teams ist das größte
       TV-Ereignis in den USA nach dem Super Bowl.
       
       Im Halbfinale in der Nacht von Samstag auf Sonntag bekommt es der
       20-jährige Wagner, den in den USA alle nur „Moe“ nennen, allerdings mit
       einem ungewohnten Gegner zu tun: einer 98-jährigen Nonne. Denn kein
       Spieler, auch nicht wie sonst einer der Millionen Dollar verdienenden
       Trainer, ist in diesem Jahr der unumstrittene Star des College-Turniers,
       sondern: Schwester Jean, Seelsorgerin und zugleich Maskottchen des
       Überraschungsteams von der Loyola University Chicago.
       
       Die Loyola-Universität ist eine private Hochschule, die größte, die der
       Jesuitenorden in den USA betreibt. Ihr Basketballteam, die Ramblers, konnte
       ein einziges Mal die Meisterschaft gewinnen. Das war im Jahr 1963 und
       damals, zur Zeit der Bürgerrechtsbewegung, eine Sensation, auch weil Spiele
       des mehrheitlich aus Afroamerikanern bestehenden Teams im immer noch von
       der Rassentrennung gezeichneten Süden der USA von rassistischen Protesten
       begleitet wurden. Nach ihrem großen Triumph verschwanden die Ramblers
       allerdings in der sportlichen Versenkung.
       
       Schwester Jean kann sich noch an die glorreichen Zeiten erinnern. Sie war
       damals aktiv in der Bürgerrechtsbewegung, aber vor allem großer
       Basketball-Fan. Die Ordensschwester mag nahezu ein Jahrhundert alt sein,
       aber kennt sich aus. In der Highschool, also in den 30er Jahren, spielte
       Jean Dolores Schmidt noch selbst, später hat sie trainiert, heute sitzt sie
       im Rollstuhl, aber schickt ihren Spielern sportliche Ratschläge per E-Mail.
       
       ## Internationale Berühmtheit
       
       Ihre wichtigste Aufgabe aber ist es, den Ramblers Glück zu bringen und vor
       den Spielen mit der Mannschaft zusammen um göttlichen Beistand zu bitten:
       „Ich bete auch für die gegnerische Mannschaft“, hat sie im
       Frühstücksfernsehen erzählt, „aber möglicherweise nicht ganz so intensiv.“
       
       Hilfe von ganz oben haben die Loyola Ramblers auch nötig, denn sie sind den
       meisten ihrer Gegner unterlegen. Die Ramblers sind das, was die Amerikaner
       „Cinderella“ nennen und lieben. Allerdings kam selten solch ein
       Aschenputtel-Team so weit, bis ins Final Four. Dabei gibt es in der
       Mannschaft keinen einzigen Spieler, der sich Hoffnungen auf eine
       Profikarriere in der NBA machen darf – im Gegensatz zu Moritz Wagner, der
       sich Chancen ausrechnet, kommende Saison für ein NBA-Team zu spielen.
       Selbst Clayton Custer, Aufbauspieler und bester Punktesammler der Ramblers,
       ist neben dem Spielfeld eine dermaßen wenig beeindruckende Erscheinung,
       dass er nach dem Viertelfinale in der Hotellobby von Fans gebeten wurde,
       Fotos von ihnen und anderen Spielern zu machen.
       
       Kein Wunder, dass eine Nonne der Star des Teams geworden ist. Bei den
       Übertragungen wird sie regelmäßig eingeblendet, wie sie im Rollstuhl sitzt
       und breit grinst, weil die Ramblers mal wieder überraschend gut spielen.
       Und nach den Spielen gibt sie Interviews, in denen sie mit feiner Ironie
       glänzt. „Die Leute fragen mich immer, warum ich mir den ganzen Trubel
       antue, ob ich nicht schrecklich müde sei“, erzählte sie unlängst, „aber was
       macht das für einen Unterschied, ob ich müde bin oder nicht? Ich bin 98!“
       Als sie gefragt wurde, ob sie sich bereits wie eine nationale Berühmtheit
       fühle, antwortete sie: „Darf ich Sie korrigieren? Internationale
       Berühmtheit. Mir wurde gesagt, man kennt mich nun auch in Mexiko und
       Großbritannien.“
       
       Für das Magazin Sports Illustrated ist die Nonne ein „nationales Kleinod“,
       Barack Obama erwähnt sie in Tweets, die Loyola-Universität wirft
       Sister-Jean-Merchandising-Produkte auf den Markt. „Wir sind das
       Aschenputtel“, sagt Schwester Jean, „aber ich komme mit nach San Antonio,
       das wird großartig.“ Moritz Wagner sollte sich in Acht nehmen.
       
       31 Mar 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Thomas Winkler
       
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