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       # taz.de -- Bewegungsforscher über Ostermärsche: „Falsche Freunde im Boot“
       
       > Simon Teune erklärt, warum die Ostermärsche nach rechts offen sind, kaum
       > noch eine Rolle spielen und es nicht geschafft haben, sich zu verjüngen.
       
   IMG Bild: Die Ostermärsche werden dieses Jahr 60. Ihre Ursprünge liegen in frühen Atomkraftprotesten in Großbritannien
       
       taz am wochenende: Herr Teune, die Ostermärsche spielen kaum noch eine
       Rolle. In Frankfurt am Main gingen letztes Jahr rund 2.000, in Berlin
       gerade mal 1.000 Menschen auf die Straße. Rechnen Sie für dieses Jahr mit
       mehr TeilnehmerInnen? Schließlich dürfte die diplomatische Krise mit
       Russland viele beunruhigen. 
       
       Simon Teune: Das Thema allein führt nicht unbedingt dazu, dass mehr
       teilnehmen. Zwar ist das Mobilisierungspotenzial in der Bevölkerung bei
       friedenspolitischen Themen wie der aktuellen Russlandkrise recht hoch.
       Viele fühlen sich angesprochen, eine stabile Bevölkerungsmehrheit ist
       gegen kriegerische Außenpolitik. Zugleich muss man sich aber fragen, mit
       welchen Slogans, welchem Deutungsangebot man die Leute auf die Straße
       bringt. Da wird es in Sachen Frieden schnell kompliziert.
       
       Ist Frieden nicht der einfachste Slogan überhaupt? 
       
       Natürlich ist niemand gegen Frieden. Aber wenn man genauer hinschaut, kommt
       man schnell in die Bredouille, sich in komplizierten Konflikten
       positionieren zu müssen. Die erste Generation, die die Ostermärsche
       organisierte, hatte selbst noch Kriegserfahrung, da war die Parole „Nie
       wieder Krieg!“. In den 1980er Jahren stand im Kalten Krieg nicht weniger
       als die Auslöschung der Menschheit auf der Tagesordnung. Da war es
       leichter, Stellung zu beziehen. Heute ist die Konfliktlage viel diffuser.
       Wenn man zum Beispiel sagt: „Kein Krieg gegen Russland“, läuft man Gefahr,
       die russische Außenpolitik reinzuwaschen.
       
       Im diesjährigen Berliner Aufruf zu den Ostermärschen stehen die Slogans
       „Russland wird als Bedrohung aufgebaut“ oder „Die Nato steht an den Grenzen
       Russlands“. Ist das klassisch pazifistisch oder eher unhinterfragt
       russlandfreundlich? 
       
       Das zeigt genau, wie problematisch friedenspolitische Positionierungen
       geworden sind. Putin ist ja kein Friedensfürst. Die Rolle Russlands in
       Syrien und der Ukraine oder die Beeinflussung der öffentlichen Meinung in
       vielen Ländern rücken aber in den Hintergrund. Friedenspolitische
       Positionen haben ihre Unschuld verloren: Sie tendieren dazu, sich in einem
       Konflikt auf eine Seite zu schlagen.
       
       Wie kommt es, dass so viele prorussische AktivistInnen in der
       Friedensbewegung versammelt sind? 
       
       Das ist eine Frage der Kompatibilität. Der Teil der Friedensbewegung, der
       die Ostermärsche organisiert, ist stark von einer Generation geprägt, die
       sich in den 80ern gegen die Politik der Nato positioniert hat. Da war recht
       klar, wo der Feind steht: Das waren die USA, im Zweifel auch Israel. Viele
       sind bis heute davon geprägt.
       
       Es ist also eine Generationenfrage? 
       
       Mit allen Konsequenzen: Auch online sind die Ostermärsche kaum präsent. Da
       fehlen sowohl Leute, die das hätten vorantreiben können, als auch
       Multiplikatoren. Letztlich ist es ja nur ein Strang der Friedensbewegung,
       der zu den Ostermärschen besonders aktiv ist. Es gibt andere Teile, die zu
       den Märschen eher Abstand halten. Diejenigen zum Beispiel, für die
       Kurdistan oder Syrien im Vordergrund stehen, haben eher Probleme, an Ostern
       auf die Straße zu gehen.
       
       Das Demokratische Gesellschaftszentrum der KurdInnen in Deutschland,
       NAV-DEM, ruft dieses Jahr allerdings zum ersten Mal zur Beteiligung an den
       Ostermärschen auf. 
       
       Es ist ja auch kein Ausschlusskriterium. Aber wenn es einem um Ghouta geht,
       ist die Aussicht darauf, dass neben mir einer ein Transparent hochhält, auf
       dem „Schützt Russland vor der Nato-Aggression“ steht, nicht sehr
       motivierend, wenn ich gleichzeitig weiß, was Russland so in Syrien treibt.
       
       Die Ostermärsche werden dieses Jahr 60. Ihre Ursprünge liegen in frühen
       Atomkraftprotesten in Großbritannien, ihre besten Zeiten in Deutschland
       hatten sie um 1968 und in den 80ern zu Zeiten des Kalten Kriegs, als bis zu
       300.000 Menschen auf die Straße gingen. Viele OrganisatorInnen gehören der
       ersten oder zweiten Generation an. Warum haben es die Märsche nicht
       geschafft, sich zu verjüngen? 
       
       Die Märsche haben gut funktioniert, als es mit dem Kalten Krieg eine
       Systemauseinandersetzung gab, die sich über Jahre verfestigt hat. Das
       Format ist aber ziemlich unflexibel, um aktuelle Ereignisse wie zum
       Beispiel Afrin auf die Tagesordnung zu setzen. Da muss man von der
       Bundesregierung von einem Tag auf den anderen eine Position verlangen und
       kann nicht jedes Jahr bis Ostern warten.
       
       Es liegt an der Form? 
       
       Nicht nur. Der Erste Mai hat eine ähnliche Form, funktioniert aber
       trotzdem. Das ist zumindest in Hamburg und Berlin für viele Jüngere ein
       Pflichttermin, die Ostermärsche sind das eben nicht mehr. Es hätte mehrfach
       die Möglichkeit gegeben, die Märsche zu verjüngen: Gegen den zweiten
       Golfkrieg 1991 und den Irakkrieg 2003 haben viele aus dem Spektrum der
       Ostermärsche mobilisiert. Viele, die mit auf die Straße gegangen sind,
       waren SchülerInnen und StudentInnen. Die Konflikte wurden aber nicht
       innerhalb der Form der Ostermärsche ausgetragen, und es gab keine
       nachhaltige Integration der Generationen. Jetzt macht sich die
       demografische Lücke bemerkbar.
       
       Jüngere, die angesprochen wurden, kamen neuerdings auch aus dem neurechten,
       politesoterischen und verschwörungstheoretischen Spektrum. Vor allem beim
       sogenannten Friedenswinter 2014/15, als mit Mahnwachen auf die Krimkrise
       reagiert wurde. Hängt das auch mit der Russlandfreundlichkeit zusammen? 
       
       Die alte Friedensbewegung hatte Probleme, sich gegenüber dieser „neuen
       Friedensbewegung“ zu positionieren. Die einen wollten kooperieren – auch,
       um sich zu verjüngen –, die anderen wollten gegen nach rechts offene
       Gruppen eine klare Kante. Diese Ambivalenz liegt auch daran, dass es in
       weiten Teilen der alten Friedensbewegung ein ungeklärtes Verhältnis zum
       Antiamerikanismus gibt. Da ist also die Schnittstelle zur
       Russlandfreundlichkeit, und dann wird’s mit links und rechts schon
       kompliziert.
       
       Spielen Neurechte dieses Jahr bei den Ostermärschen eine Rolle? 
       
       Ich habe nicht gesehen, dass die neue Rechte die Ostermärsche in größerem
       Stil für sich entdeckt hätte. Um eine harte Auseinandersetzung kommen die
       OrganisatorInnen also noch mal herum. Aber das Grundproblem bleibt, dass
       schnell falsche Freunde im Boot sitzen, wenn man sich auf die Seite von
       Russland schlägt.
       
       Welche Erfolge konnten die Ostermärsche in den 60 Jahren für sich
       verbuchen? Friedlicher ist die Welt nicht geworden. 
       
       Krieg und Frieden sind keine Themen, die an der Meinung der Bevölkerung
       ausgerichtet werden. Den Irakkrieg haben auch weltweit Millionen
       DemonstrantInnen nicht stoppen können. Erfolg kann man eher daran
       messen, dass Aufmerksamkeit auf bestimmte Konflikte gerichtet wird und
       Menschen sensibilisiert werden. Für den Einzelnen steht bei diesen
       Erfolgsaussichten eher eine moralische Frage im Vordergrund: Wenn ich die
       Möglichkeit habe, mich zu engagieren – tue ich es dann auch?
       
       30 Mar 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Patricia Hecht
       
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