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       # taz.de -- Autorin über Rassismuskritik: „Mit Anfängern rede ich nicht mehr“
       
       > Mit „Deutschland Schwarz Weiß“ schrieb Noah Sow ein Standardwerk. Ein
       > Gespräch über den Diskurswandel der letzten zehn Jahre.
       
   IMG Bild: Autorin Noah Sow hält nichts davon, in rassismuskritischer Arbeit Harmlosigkeit zu signalisieren
       
       taz: Frau Sow, 2008 ist Ihr Buch „Deutschland Schwarz Weiß“ erstmals
       erschienen. Inzwischen sehen es viele als deutsches Standardwerk zum Thema
       struktureller Rassismus. Wie wurde es damals aufgenommen? 
       
       Noah Sow: Das Feedback, das mich dazu erreicht, hat nach wie vor im Großen
       und Ganzen zwei Varianten: einige, die Gesprächsbedarf über ihr Leben und
       ihre Einstellung zum gesellschaftlichen Leben haben, und andere, die
       einfach nur mal danke sagen wollen. Anfangs empörten sich noch mehr Leute
       mir gegenüber. Auch vor zehn Jahren wurde in der Analyse von Rassismus im
       öffentlichen Diskurs um das Weißsein herumgeredet, um weiße
       Befindlichkeiten zu verschonen, sogar noch mehr als das heute der Fall ist.
       Nicht alle haben mein Buch gut verkraftet.
       
       Wie hat sich der rassismuskritische Diskurs seitdem gewandelt? 
       
       Er hat sich insofern gewandelt, als dass wir, die von Rassismus negativ
       betroffen sind, inzwischen ein gutes Vokabular haben, unsere Erlebnisse und
       Politiken auszudrücken. Und es hat sich auch herumgesprochen inzwischen,
       dass in der Antirassismusarbeit gut gemeint nicht dasselbe ist wie gut
       gemacht. Außerdem scheint es immer mehr Menschen zu geben aus allen
       möglichen Positioniertheiten, die es geschafft haben, aus der Dauerschleife
       „hier geht es um mein Selbstbild“ herauszukommen, und die viel lernen und
       mitbewegen.
       
       Dort hinzukommen fällt ja schwer, solange man in Abwehrdiskursen verstrickt
       ist. Und was mich besonders freut: dieser ganz naive und gleichzeitig
       freche Typus– die, die denken, sie könnten gar nicht rassistisch sein, weil
       sie in Afrika oder auf der Waldorfschule waren, Schwarze Familienangehörige
       haben oder die Grünen wählen – poltert inzwischen gefühlt nicht mehr ganz
       so laut, dreist und ahnungslos herum.
       
       Welche Rolle hat Ihr Buch darin gespielt, Theorien wie Critical Whiteness
       aus der Akademie in den weniger wissenschaftsbezogenen Alltag zu holen? 
       
       Ich versuche eigentlich, mich von den herkömmlichen Akademien und
       Gesellschaftswissenschaften möglichst fern zu halten, weil die nämlich im
       Moment genau das Gegenteil machen: Erlebtes, verfasstes Wissen in einen
       Betrieb reinzubringen, in dem die Konsequenzen höchstens freiwillig sind.
       Befreiungswissen ist eine harte, existenzielle Verhandlung einer Gruppe,
       der bestimmte Rechte strukturell verwehrt werden. Wenn der Malte das an der
       Uni studiert und danach Chef im Antidiskriminierungsbüro wird, lief was
       falsch.
       
       Nun haben Sie eine Neufassung veröffentlicht. Was ist in dieser Version
       neu? 
       
       Gegenüber bisheriger Printfassungen habe ich viele Änderungen und
       Ergänzungen vorgenommen. Zum Beispiel musste ich auf den medialen Backlash
       der sogenannten „Flüchtlingswelle“ eingehen. Weitere Updates sind u. a.
       beim Begriff „PoC“, in „Was ist Rassismus?“, „Das N-Wort“, „Weiße Eltern
       und Schwarze Kinder“, „Offene und getarnte rassistische Strategien“,
       „Institution Schule“, „Ethno-Lexikon“ und einigen Kapiteln mehr. Und ich
       habe ableistische diskriminierende Inhalte, die von mir selbst stammten,
       ersetzt, soweit ich sie identifiziert habe. Und endlich hat das Buch den
       Gender gap.
       
       Damals erschien Ihr Buch bei C. Bertelsmann, nun im Eigenverlag. Was heißt
       das für Sie? 
       
       Die letzten Auflagen waren bei Goldmann erschienen. C. Bertelsmann hat das
       Projekt initial gemacht, wofür ich ihnen immer noch dankbar bin. Wer weiß
       an wen ich sonst geraten wäre. Und Goldmann hat danach die
       Taschenbuchrechte für Folgeauflagen erworben, weshalb ich mit denen jedes
       Mal diskutieren musste, wenn ich was ändern wollte. Das ist bei den Themen
       schon schmerzhaft.
       
       In Zukunft kann ich theoretisch alles sofort ändern, worin auch eine Gefahr
       liegen kann, aber ich denke nicht, dass ich nachts um 12 direkt spontan
       hektisch neue Satzdateien erstellen werde, die ich dann am nächsten Tag
       bereue.
       
       Viele Ihrer Texte haben eine humorvolle Ebene. Braucht es diese, um
       Debatten über Rassismus auch außerhalb negativ betroffener Communities
       fortzuführen? 
       
       Ich brauche Humor vor allem für die Debatte innerhalb unserer Communities
       und zugegeben auch zu meinem eigenen Überleben. Es stimmt, dass viele weiße
       Menschen entertaint werden wollen, um sich mit Rassismus freiwillig zu
       beschäftigen. Da ist das Praktische an „Deutschland Schwarz Weiß“, dass die
       Witze alle auf ihre Kosten gehen. Das war glaube ich damals der Tabubruch.
       Vielen wäre es bestimmt lieber, das Buch wäre trockener, damit es sie
       emotional nicht so verwirrt.
       
       Übrigens halte ich nach wie vor überhaupt nichts von dem unempowerten
       Ansatz, in rassismuskritischer Arbeit Harmlosigkeitssignale auszusenden.
       Mein Humor ist gottlob alles andere als harmlos.
       
       Wie schätzen Sie die Transferleistung US-amerikanischer Rassismusforschung
       in Deutschland ein? 
       
       Was die universitäre Forschung angeht: Der Transfer klappt nicht halb so
       gut wie es auf den ersten Blick scheint, weil vieles daran sogar dazu
       geeignet ist, unsere eigenen Diskurse zu verdecken oder zu überlagern. Und
       weil in den deutschen Hochschulen nicht einmal im Ansatz genügend
       qualifiziertes Personal vorhanden ist, diese Lehre verantwortungsvoll und
       differenziert, ohne grobe Verzerrungen, zu behandeln.
       
       Was alles außerhalb der Unis angeht, dort gibt es viele fruchtbare Dialoge
       und im Moment ist die Aufgabe der Schwarzen deutschen Diskurse, sich von
       den US-amerikanischen und britischen zu emanzipieren. Wir können vieles
       gemeinsam machen und denken, aber nicht alles, und das Verhältnis muss auch
       stimmen.
       
       Sie erklären in einem Kapitel, warum es keinen Rassismus gegen weiße
       Menschen gibt. Bekommen Sie den Vorwurf dennoch oft zu hören? 
       
       Mit Anfängern rede ich schon länger nicht mehr und kann das als
       performativ-didaktische Maßnahme allen nur total empfehlen. Bevor jetzt
       einige „überheblich“ schreien: Von Gesprächen, in denen ich zusätzlich zum
       Thema erst mal meine Subjektposition mitverhandeln müsste, habe ich
       wirklich nichts. Wer das noch nie erlebt hat, denkt bitte erst mal darüber
       nach.
       
       Rassismus ist auch, „arrogant“ genannt zu werden, wenn man sich nicht
       erniedrigen lassen will, oder dass das Schaffen sicherer Räume als
       „separatistisch“ angesehen wird.
       
       Rassismus gegenüber Schwarzen Menschen gibt es nicht nur von der weißen
       Mehrheitsgesellschaft, sondern auch durch People of Color – auch wenn es
       viele coole antirassistische Allianzen gibt. Die Schwarz-Weiß-Einteilung
       geht in diesem Fall nicht auf. 
       
       Das wird in „Deutschland Schwarz Weiß“ seit jeher an mehreren Stellen
       konkret behandelt, u. a. in „Wer ist Schwarz und wer ist weiß?“. Es ist
       wichtig, nicht in die Falle zu tappen, dass Rassismus ein Charaktermerkmal
       sei und es darauf ankäme, wer die Bösen sind. Davon, das herausgefunden zu
       haben, habe ich ja noch nichts. Viele verwechseln auch die Schuldfrage mit
       der strukturellen Verantwortung.
       
       Rassistisch ist, wenn das Ergebnis zur strukturellen Benachteiligung führt.
       Einfacher verständlich wird es, wenn wir fragen: „Wem wird dadurch
       geholfen/wer wird dadurch bevorzugt?“ Darauf müsste dann meiner Meinung
       nach folgen: „Wie kann ich mithelfen, das auszugleichen?“
       
       7 Apr 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Hengameh Yaghoobifarah
       
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