URI: 
       # taz.de -- Debatte Giftanschlag auf Exspion Skripal: Seht her, wie es Verrätern ergeht
       
       > Die Auseinandersetzung um das Attentat auf den Exagenten zeigt, welche
       > Rolle die soziale Medien heute in der Propaganda spielen.
       
   IMG Bild: Der Fall ließe sich sowohl als westliche als auch als russische Inszenierung denken
       
       Das Attentat auf den ehemaligen russisch-britischen Doppelagenten
       [1][Sergei Skripal und seine Tochter Julia] ist noch nicht aufgeklärt. Zwar
       sind die Diplomaten wechselseitig ausgewiesen, jede Seite hat ihrer
       Empörung über die Verworfenheit der Gegenseite lautstark Ausdruck verliehen
       und denkt über weitere Gegenmaßnahmen nach. Aber auch ohne eindeutiges
       Resultat, kann der Fall helfen, einige Unterscheidungen zu beachten.
       
       Die auf Chemiewaffen spezialisierten Forscher wüssten mehr, wenn man sie
       nachschauen ließe. Vor allem aber gibt es diese Wissenschaftler, und mit
       ihnen nicht nur die Kontrolleure, sondern auch die Produzenten von
       Chemiewaffen. Der Vertrag zu deren Begrenzung hat sie nicht beseitigt, aber
       in geheime Lagerstätten verbannt und so die Verdachtsmöglichkeiten
       vermehrt:
       
       Der Kampfstoff Nowitschok wurde einst in der Sowjetunion produziert und
       nach deren Ende von der internationalen Gemeinschaft kontrolliert
       vernichtet. Also haben alle jetzt daran Beteiligten sehr präzise
       Kenntnisse, aber sie unterliegen der Geheimhaltung und damit der
       geheimdienstlichen Kontrolle. Und damit gibt es auch folgenreiche
       Vermutungen über Zusammenhänge und Verschwörungen, die
       „höchstwahrscheinlich“ sind.
       
       Einiges verweist gerade in diesem Fall auf Veränderungen des
       Kampfgeschehens, die leicht übersehen werden. Auf eine scheinbare
       Ungereimtheit hat die russische Informationsmaschine verwiesen: Skripal
       wurde in Russland rechtskräftig verurteilt, saß seine Zeit ab und kam 2010
       über einen Austausch von Spionen mit den USA in den Westen. Was er verraten
       konnte, hat er verraten. Warum also sollte man jetzt die Notbremse ziehen?
       Man hätte ihn problem- und spurlos verschwinden lassen können. Die gleiche
       Entlastung gilt aber auch für die Gegenseite: Warum sollte die Briten oder
       andere den alten Herrn töten?
       
       Allerdings war das Attentat sorgfältig und öffentlichkeitswirksam
       inszeniert. Wie wir inzwischen durch britische Experten wissen, verlangte
       seine Durchführung einen hohen Grad an Wissen und Umsicht. Wer Nowitschok
       einsetzte, wusste, dass es in der Sowjetunion produziert worden war. Der
       zuständige russische Geheimdienst würde auf jeden Fall in Verdacht geraten.
       Das Gift hatte sich auf der Klinke der Haustür befunden. Dafür musste man
       es für seinen Einsatz kenntnisreich verändern. Es durfte bei der Berührung
       nicht unangenehm auffallen, etwa nass wirken, so dass das Opfer seine Hände
       abwischte. Es durfte aber auch nicht zu fest auf der Klinke aufsitzen,
       sondern musste auf die Haut übergehen. Offensichtlich also war das Attentat
       eine Inszenierung, eine Botschaft.
       
       Dahinter könnte eine westliche Strategie stecken: Sie zeigt, dass die
       russische Seite internationale Abkommen bricht und so tut, als sei dies
       nicht der Fall. Sie zeigt damit auch die Unschuld des Westens, der guten
       Seite also. In diesem Sinne argumentiert höchst empört der russische
       Außenminister Lawrow. Allerdings war der parallele Fall Litwinenko von
       2006, in dem radioaktives Polonium eingesetzt wurde, nicht weniger
       auffällig. Dass in ihm russische Dienste verwickelt waren, ist nicht nur
       wahrscheinlich. Immerhin wurde einer der beiden mutmaßlichen Mörder ins
       russische Parlament platziert.
       
       Aber es ließe sich auch eine russische Inszenierung denken. Im Westen
       würden die meisten ohnehin von einer russischen Schuld ausgehen. Das
       Attentat wäre dann eine Warnung an Funktionsträger der russischen Seite,
       sich mit westlichen Diensten einzulassen.
       
       ## Die westliche Empörung
       
       Immerhin haben sich Russlands Koordinaten in den letzten Jahren weiter
       verändert. An die Stelle des Sozialismus ist ein verpflichtender
       Patriotismus getreten. Der Nationalstolz kann helfen, die Komplexität von
       Geschichte und Gegenwart zu übertünchen. Der Verräter wird da zu einem
       wichtigen Bezugspunkt. Als klassische Figur ist es der die Seiten
       wechselnde Geheimagent. Aber auch einfachen Oppositionellen kann dieses
       Etikett angehängt werden, auch sie sind dann für weitere Maßnahmen
       freigegeben.
       
       Gerade die große westliche Empörung könnte der russischen Seite helfen, die
       Botschaft zu übermitteln, die man in den eigenen Medien nicht
       transportieren kann, weil das Faktum geleugnet werden muss: Seht her, wie
       es den Verrätern ergeht, wir kriegen alle überall. Früher betrieb jede
       Seite ihre Selbstdarstellung als gute Seite und versuchte die andere Seite
       zu diskreditieren. Jetzt würde man also die Empörung der Feinde nutzen, um
       die eigene Seite anzusprechen. Dass die russische Dienste die modernen
       Medien geschickt nutzen können, haben sie bewiesen.
       
       Die Propaganda ist in einer Weise weiterentwickelt worden, die das Problem
       der Glaubwürdigkeit besser mitdenkt und das Vertrauen bei spezifischen
       Zielgruppen sucht. Zur Verbreitung von falschen und echten Nachrichten
       bedarf es einer Kenntnis dessen, was das Publikum für glaubhaft hält. Alles
       lässt sich folgenreich vortäuschen, wenn es glaubhaft wirkt.
       
       ## Die Rolle der sozialen Medien
       
       Die neuen sozialen Medien sind zu einer Sphäre geworden, in der sich über
       Falschmeldungen oder Inszenierungen politische Wirkungen erreichen lassen,
       sofern sie auf spezifische Überzeugungsgemeinschaften zugeschnitten sind.
       Sie können Hass lenken und steigern oder von gefährlichen Wahrheiten
       ablenken. Das aber muss mit Wissen, Umsicht und Skrupellosigkeit ins Werk
       gesetzt werden. Das Wissen braucht man, um nur das Mögliche zu wollen.
       
       In diesem Rahmen macht die Inszenierung des Skripal-Attentats einen durch
       die neuen Medien getragenen Wandel erkennbar, auch wenn die Frage, wer was
       getan hat, ungelöst bleiben sollte. Noch hat der Westen einige
       rechtsstaatliche Qualitäten, die ihn verwundbar, aber sympathisch machen.
       Russland hingegen spielt im globalen Machtpoker mit schwachen Karten, aber
       das tut es meisterhaft.
       
       6 Apr 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /!t5490395/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Erhard Stölting
       
       ## TAGS
       
   DIR Sergej Skripal
   DIR Russland
   DIR Großbritannien
   DIR Agenten
   DIR Lesestück Meinung und Analyse
   DIR Sergej Skripal
   DIR Sergej Skripal
   DIR Sergej Skripal
   DIR Sergej Skripal
   DIR EU
   DIR Russland
   DIR Russland Heute
   DIR Russland
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Nach Skripal-Fall im englischen Salisbury: Zwei Menschen bewusstlos gefunden
       
       Der Fall des vergifteten Ex-Spions Skripal hatte eine diplomatische Krise
       ausgelöst. Nahe dem ehemaligen Tatort wurden zwei Menschen bewusstlos
       aufgefunden.
       
   DIR OPCW zu Anschlag auf Ex-Spion Skripal: Kein Hinweis auf die Täter
       
       Die Organisation für das Verbot chemischer Waffen bestätigt den Einsatz des
       Nervengiftes Nowitschok. Doch wer steckte hinter dem Anschlag?
       
   DIR Affäre um vergifteten Exspion Skripal: Schlagabtausch im Sicherheitsrat
       
       Der Anschlag auf den Exspion Skripal belastet die Beziehungen zwischen
       Moskau und dem Westen. Das zeigte sich auch am Donnerstag im
       UN-Sicherheitsrat.
       
   DIR Anschlag auf russischen Ex-Agenten: Vergiftetes Klima trübt die Aufklärung
       
       Keine Annäherung im Streit über die Aufklärung der Nervengiftattacke auf
       den Ex-Agenten Skripal: Russland scheiterte mit einem Vorstoß.
       
   DIR Die EU und der Fall Skripal: Uneins und gespalten
       
       Nach der Ausweisung russischer Diplomaten hat am Dienstag auch die Nato
       Sanktionen verhängt. Andere Länder weigern sich jedoch.
       
   DIR Putin-Kritiker über Folgen nach Skripal: „Keine Geschäfte mit Terroristen“
       
       Bill Browder vermutet, dass mehr Länder Finanzsanktionen gegen Putins Elite
       verhängen werden. Doch in Deutschland sei die prorussische Lobby zu stark.
       
   DIR Diplomatische Krise nach Salisbury: Weder Käse noch Kultur
       
       London hat russische Diplomaten ausgewiesen und Moskau britische und das
       British Council geschlossen. Was denken britische Expats in Russland?
       
   DIR Debatte zum Anschlag von Salisbury: Sie ziehen alle Register
       
       Die Indizienlage im Fall Skripal ist klar: Sie deutet nach Russland. Warum
       dazu von „Hysterie“ geschrieben wird, erschließt sich nicht.