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       # taz.de -- Hype um Intervallfasten: Von Mäusen und Menschen
       
       > Immer wieder Hunger auszuhalten, lässt Pfunde purzeln. Ob Intervallfasten
       > auch vor anderen Krankheiten schützt, ist noch unklar.
       
   IMG Bild: Labormaus mit Übergewicht auf der Waage
       
       München taz | Dass unsere Vorfahren, egal ob Steinzeitmensch oder
       Ackerbauer und Viehzüchter, nicht täglich einen voll gedeckten Tisch
       hatten, ist sicher. Unfreiwilliges Hungern war also gang und gäbe. Und
       später verzichtete der Homo sapiens immer wieder phasenweise und aus
       diversen Gründen freiwillig auf Nahrung: Die Spartaner, Perser,
       griechischen Philosophen und später auch die Christen, Juden und Muslime
       kannten Fastenzeiten. Viele Gläubige praktizieren das heute noch. Könnte es
       also sein, dass der menschliche Körper an diese Hungerphasen angepasst ist
       und sie ihn gesund erhalten?
       
       Das glauben zumindest einige Wissenschaftler, allen voran Valter Longo,
       Gerontologe an der University of Southern California. Er und viele andere
       untersuchen seit einigen Jahren, was im Stoffwechsel passiert, wenn über
       mehrere Stunden oder Tage keine Nährstoffe mehr zugeführt werden. Und diese
       Forschung hat einen regelrechten Hype ausgelöst. Wer etwas auf sich hält,
       bucht im Frühjahr eine mehrwöchige Heilfasten-Kur, erlegt sich einzelne
       Verzicht-Tage alle paar Monate (periodisches Fasten) auf oder praktiziert
       eines der verschiedenen Systeme des Intervallfastens. Dabei wird zum
       Beispiel entweder täglich abwechselnd gedarbt und gefuttert (Alternate Day
       Fasting), 5 Tage normal gegessen und 2 Tage sehr kalorienreduziert gespeist
       (5/2-Fasten) oder an einem Tag 16 Stunden Verzicht geübt und an 8 Stunden
       Nahrung zugeführt (16/8-Fasten). Meist sollen solche Prozeduren beim
       Abnehmen oder Gewichthalten helfen. Doch womöglich tun sich die
       Fastenanhänger auch darüber hinaus etwas Gutes.
       
       Darauf weisen zumindest Tierversuche und vereinzelte, kleine Humanstudien
       hin. Nahrungsverzicht führte hier zu Gewichtsverlust, senkte die
       Cholesterin- und Blutzuckerwerte, programmierte das Immunsystem neu,
       schützte vor Depressionen sowie Demenz und könnte sogar die Verträglichkeit
       von Chemotherapeutika verbessern. „Die positiven Effekte des Fastens sind
       enorm“, sagte Longo kürzlich gegenüber dem Spiegel.
       
       Studien von Satchidananda Panda, Wissenschaftler am kalifornischen Salk
       Institute haben etwa gezeigt: Wenn man einer Gruppe Mäusen eine der
       diversen Fastenzeiten auferlegt und einer anderen Gruppe dieselbe
       übermäßige Kalorienmenge, aber ohne Hungerphase, zu fressen gibt, werden
       die Fasten-Mäuse nicht dick, während die Vergleichsgruppe an Gewicht
       zulegt.
       
       Eine kürzlich erschienene britische Übersichtsarbeit belegte, dass
       Intervallfasten tatsächlich auch beim Menschen ebenso zum Abnehmen taugt,
       ähnlich wie kalorienreduzierte Diäten. Allerdings liegt hier die Vermutung
       nahe, dass Fastende eben nicht die gleiche Energiemenge aufnehmen wie
       Menschen, die regelmäßig und mit Zwischenmahlzeiten essen. „Wer etwa 16
       Stunden lang nichts isst, der isst im Tagesdurchschnitt weniger als jemand,
       der häufige Mahlzeiten einnimmt“, sagt Klaus Parhofer, Endokrinologe an der
       LMU München.
       
       ## Es besteht Forschungsbedarf
       
       Ob sich ein Vorteil auch bei gleicher Kalorienaufnahme beim Menschen wie
       bei Mäusen ergibt, ist bislang also unklar. Auch welche Art des
       Intervallfastens die besten Ergebnisse bringt, ist wenig erforscht. „Aus
       tierexperimentellen Studien geht jedoch hervor, dass die Effekte umso
       größer sind, je länger die Fastenperioden sind“, sagt Annette Schürmann,
       Biologin am Deutschen Institut für Ernährungsforschung.
       
       Theoretisch gibt es biologische Mechanismen, die erklären, warum
       Intervallfasten dem Körper hilft, Pfunde loszuwerden: Wer mehrere Stunden
       nichts isst, schaltet seinen Stoffwechsel um. So sinken Zucker- und
       Insulinwerte, was einerseits den Appetit vertreibt. Gleichzeitig werden
       Fettreserven mobilisiert, weil Glukose fehlt. Denn Fettsäuren können zu
       Ketonkörpern umgewandelt werden, die verschiedene Zellen als Treibstoff
       verwenden.
       
       Zwar hat eine Studie der Universität Chicago vergangenes Jahr gezeigt, dass
       weniger Menschen eine solche Diät durchhalten. Konkret gaben 38 Prozent der
       Intervall-Fastenden frühzeitig auf, während nur 29 Prozent der Teilnehmer
       das Handtuch warfen, die regelmäßig, aber kalorienreduziert aßen. Trotzdem
       scheint es für bestimmte Personen eben doch leichter zu sein, auf eine
       Mahlzeit ganz zu verzichten, als sich ständig zu zügeln. Zugleich hat
       Intervallfasten offenbar keine Nebenwirkungen. „Gesunde Übergewichtige
       können diese Diät auch ohne ärztliche Beratung ausprobieren“, meint
       Schürmann. Eine Gefahr ist allerdings, dass man in den Essphasen nur
       Fastfood in sich hineinstopft. Und das ist auf Dauer sicher ungesund.
       
       Doch auch wenn es mittlerweile gut belegt ist, dass Intervallfasten als
       Diät taugt und darum wahrscheinlich auch Diabetes und Fettleber lindert,
       sind andere vollmundig propagierte Auswirkungen auf Bluthochdruck,
       Herzkrankheiten, Rheuma, Alzheimer, Depressionen oder Krebs kaum in
       Humanstudien belegt. „Ich würde weitere Effekte des Intervallfastens
       zumindest infrage stellen“, so Parhofer. Valter Longo hat in verschiedenen
       Mäusestudien etwa gezeigt, dass periodisches Fasten die Lebensspanne von
       Mäusen erhöht. Die Tiere erkrankten auch weniger häufig an Tumoren oder
       Entzündungskrankheiten. Gleichsam linderten Fastenintervalle bei
       Krebskranken die Nebenwirkungen von Chemotherapeutika.
       
       ## Schutz vor Stress und Alterung
       
       Auch diese Vorgänge lassen sich aus dem Fastenstoffwechsel heraus plausibel
       erklären: So wird in den Zellen ein Prozess angestoßen, den man Autophagie
       nennt. Das heißt, es werden verstärkt Abfallstoffe wie fehlerhafte Proteine
       und geschädigte Mitochondrien gesammelt und zu neuem Treibstoff umgewandelt
       – schließlich hat der Körper ein Energieproblem. Und dadurch werden Schäden
       am Erbgut vermindert. Letztlich werden auch bestimmte Gene heraufreguliert,
       die sogenannte Sirtuine bilden. Diese schützen den Körper vor Stress und
       verlangsamen Alterungsprozesse.
       
       Auch werden aus alten, geschädigten Immunzellen neue weiße Blutkörperchen.
       Obendrein werden Wachstumsfaktoren wie das IGF-1 und Entzündungsstoffe
       herunterreguliert. Letztlich nehmen hungernde Zellen auch weniger Gifte
       auf, während Krebszellen munter alles futtern, was ihnen in die Quere
       kommt. So erklärt sich der Effekt, dass Chemotherapeutika durch
       Intervallfasten weniger Nebenwirkungen zeigen.
       
       Auch wenn die bisherige Faktenlage Hoffnung gibt, raten Ärzte von
       voreiligen Fastenkuren bei Schwerkranken ab. Auf der Website des Deutschen
       Krebsforschungszentrums liest man etwa: „Derzeit ist es zu früh, um
       Aussagen über eine mögliche Wirkung des Kurzzeitfastens unter Chemotherapie
       zu machen.“ Zumal eine Mangelernährung bei Tumorerkrankungen die Prognose
       verschlechtern kann. Und auch Annette Schürman sagt: „Ich würde
       grundsätzlich Patienten, die an schweren Erkrankungen leiden, raten,
       geplante Diäten oder Fasten-Regime mit dem behandelnden Arzt zu
       besprechen.“
       
       6 Apr 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Kathrin Burger
       
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