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       # taz.de -- „Freiwillige“ Ausreise aus Deutschland: Kühlschrank statt Sicherheit
       
       > Asylbewerber sollen durch die Auszahlung von Geld- und Sachmitteln dazu
       > gebracht werden, in ihre Heimat zurückzukehren. Ein perfides Vorgehen.
       
   IMG Bild: Wer sich bis Februar zur Ausreise entschied, konnte Sachleistungen von bis zu 3.000 Euro beantragen
       
       Deutsche Politik ist eine unerschöpfliche Quelle für Wortungetüme, die
       gleichzeitig verkomplizieren und beschönigen. Reintegrationsunterstützung
       ist so ein Wort: Asylbewerber sollen durch die Auszahlung von Geld- oder
       Sachmitteln dazu gebracht werden, Deutschland freiwillig zu verlassen.
       
       Seit vor zwei Jahren die Balkanroute geschlossen wurde – also die
       europäische Freizügigkeit aufgehoben und ein Deal mit einem türkischen
       Diktator eingegangen wurde –, ist die Zahl der in Deutschland ankommenden
       Flüchtlinge drastisch gesunken. Die restlichen Flüchtlinge sollen aber am
       besten auch noch weg. Also hat sich das Innenministerium etwas ausgedacht:
       Flüchtlinge, die sich bereits vor Abschluss des Asylverfahrens für eine
       freiwillige Ausreise entscheiden, bekommen eine Prämie von 1.200 Euro pro
       Person ausgezahlt. StarthilfePlus heißt diese Maßnahme offiziell.
       
       Im Dezember startete das Ministerium zusätzlich noch die Aktion „Dein Land.
       Deine Zukunft. Jetzt!“: Wer sich bis Ende Februar zur Ausreise entschied,
       konnte zusätzliche Sachleistungen in einer Höhe von bis zu 3.000 Euro pro
       Person beantragen.
       
       Es läuft also folgendermaßen in Deutschland: Auch wenn die Verfahrensdauer
       gesunken ist, dauert es nach wie vor oft Monate, bis über einen Asylantrag
       entschieden wird. Schon im Wartezimmer der Ausländerbehörde, noch vor der
       ersten Anhörung, stellt das Innenministerium auf bunten Flyern mit einer
       eigens entworfenen Kampagne in Aussicht, ein paar tausend Euro seien schon
       drin, sollte man sich das mit dem Antrag noch mal überlegen. Wessen Antrag
       abgelehnt wurde, soll Deutschland eh schnell wieder verlassen.
       
       Die Romafamilie beispielsweise hat in ihrer Siedlung auf dem Balkan zwar
       weiterhin keinen Stromanschluss und lebt in der täglichen Ungewissheit, ob
       heute Nacht die Bulldozer kommen. Doch falls sie zuvor Deutschland
       freiwillig verlassen haben und sich zum Kauf eines Kühlschranks entscheiden
       sollte, könnte sie den als Reintegrationsunterstützung abrechnen. Super.
       
       ## Ein mieses Angebot
       
       Dass, wie in diesen Tagen bekannt geworden ist, bei fast 40 Prozent der
       Klagen gegen die Ablehnung eines Asylantrags zugunsten des Asylbewerbers
       entschieden wird? Egal, wer sich mit 1.000 Euro in der Hand zur Ausreise
       entschieden hat, kann nicht mehr klagen.
       
       Diese Gesamtschau ist es, die das Vorgehen der deutschen Behörden so
       perfide macht. Während Verfahren verschleppt und fehlerhaft entschieden und
       Asylbewerber unter Generalverdacht und damit unter psychischen Druck
       gesetzt werden, beauftragt man Werbeagenturen mit der Entwicklung von
       Kampagnen, die mit einmaligen Zahlungen zur Ausreise bewegen sollen:
       Tausche auch du dein Recht auf Asyl gegen ein paar tausend Euro.
       
       Ein mieses Angebot – eigentlich sollte es nicht verwundern, dass nur ein
       kleiner Teil der Asylbewerber darauf eingeht. Gut 4.500 Flüchtlinge hätten
       sich zwischen Dezember und Februar für die freiwillige Ausreise
       entschieden, meldete am Dienstag die Neue Osnabrücker Zeitung mit Verweis
       auf Zahlen des Innenministeriums, rund 50 Prozent weniger als im
       Vorjahreszeitraum, als es die Sachleistungs-Extrakampagne noch nicht gab.
       Scheint doch weniger zu ziehen als erhofft.
       
       Das ist aber nicht so schlimm, im Innenministerium gibt es schon neue
       Pläne: Wenn Flüchtlinge in Zukunft tatsächlich für die gesamte Dauer des
       Asylverfahrens in sogenannten Ankerzentren kaserniert werden und
       unabhängigen Rechtsberatungsstellen dort der Zugang verweigert wird, wie
       jüngst in Bayern geschehen, dürfte das die Erfolgschancen des Programms
       deutlich steigern. Und vielleicht findet man ja auch einen neuen, noch
       tolleren Namen.
       
       27 Mar 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Malene Gürgen
       
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