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       # taz.de -- TV-Doku über syrische Kriegsverbrechen: Irgendwo zu Hause sein
       
       > Syrische Rechtsanwälte arbeiten die Menschenrechtsverletzungen des
       > Krieges auf. Tina Fuchs hat sie begleitet.
       
   IMG Bild: Rauch steigt nach dem Einschlag einer Rakete der syrischen Armee Anfang April über Duma auf
       
       Sieben Jahre ist es her, dass Teile der syrischen Bevölkerung begannen,
       sich im Zuge des Arabischen Frühlings friedlich gegen die Diktatur Baschar
       al-Assads zu erheben und für Demokratie zu kämpfen. Seitdem tobt ein Krieg
       im Land, in dem unter anderem das Regime und seine Verbündeten versuchen,
       Aufstände blutig niederzuschlagen, und in dessen Zuge systematisch
       Verbrechen gegen die Menschheit begangen wurden: So wurden Hunderttausende
       verschleppt und in syrischen Gefängnissen unter grausamen Umständen zu Tode
       gefoltert.
       
       Die Journalistin Tina Fuchs hat die syrischen Menschenrechtsanwälte Anwar
       al Bunni und Marzen Darwish zwei Jahre lang bei ihrer Arbeit begleitet,
       diese systematischen Menschenrechtsverbrechen aufzuarbeiten. Die daraus
       entstandene Dokumentation stellte sie am Donnerstag zusammen mit den beiden
       Anwälten bei den Völkerrechtlern der Freien Universität in Berlin vor. Ihr
       Film zeigt die festgefahrene Situation bei den Vereinten Nationen: Seit
       sieben Jahren gibt es keinen internationalen Strafgerichtshof für Syrien,
       da das Land sich nicht zu Den Haag bekennt. Die zuständige
       Kommissionsvorsitzende trat zurück.
       
       Eine rechtliche Aufarbeitung scheitert zudem unverändert am Veto Russlands
       und Chinas. Al Bunni und Darwish können also nicht auf die Unterstützung
       dieser etablierten Institution zählen und haben alternative Wege
       eingeschlagen. Bei ihrer Arbeit wandten sie das sogenannte
       Weltrechtsprinzip an: In Deutschland ist 2002 das Völkerstrafgesetzbuch in
       Kraft getreten, durch das Ermittlungen zu Verbrechen gegen die Menschheit
       ermöglicht werden, ohne dass Täter oder Opfer Deutsche sein oder die Taten
       in Deutschland begangen worden sein müssen. Die Generalbundesanwaltschaft
       in Karlsruhe hörte beide Anwälte an.
       
       ## In syrischer Haft
       
       Hierbei ging es nicht nur um die Zeugen, mit denen sie gearbeitet haben,
       sondern al Bunni und Darwish sind auch selbst Opfer des Regimes geworden
       und saßen in syrischen Gefängnissen ein: Al Bunni war fünf Jahre in Haft,
       Darwish drei Jahre. Beide mussten ähnliche Gräueltaten miterleben, die
       ihnen die Zeugen schildern, die sie durch aufwändige internationale
       Suchaktionen auch mithilfe sozialer Netzwerke ausfindig machen.
       
       Im Film kommen unter anderem Abeer Fahroud und ihr Mann Khaled Rawas zu
       Wort. Beide beteiligten sich mit kleineren öffentlichkeitswirksamen
       Aktionen an den Aufständen: „Wir färbten beispielsweise das Wasser eines
       Springbrunnens rot, um auf das stattfindende Blutvergießen aufmerksam zu
       machen“, erinnert sich Fahroud. Beide landeten in Abteilung 215, einer der
       berüchtigten Folterabteilungen Assads in Damaskus. Die Berichte der beiden
       über psychische und physische Folter lassen einem das Blut in den Adern
       gefrieren.
       
       Mittlerweile leben sie mit ihrer kleinen Tochter in Deutschland und
       wünschen sich nur eines: „Irgendwo zu Hause sein und in Frieden leben.“
       Unabdingbar hierfür ist die rechtliche Aufarbeitung: „Der Kampf um
       Gerechtigkeit war von Anfang an ein Hauptbestandteil der Revolution,
       insofern sehe ich auch die Klage gegen das Regime als Teil der Revolution“,
       sagt Khaled Rawas am Donnerstag in Berlin. „Ohne eine rechtliche
       Aufarbeitung wird das, was passiert, legalisiert“, fügt Abeer Fahroud
       hinzu.
       
       ## Syrien kann demokratisch werden
       
       Trotz zahlreicher Rückschläge zeigen sich Al Bunni und Darwish in Berlin
       optimistisch: „Es geht nicht darum, in Syrien geschehene Verbrechen in
       Deutschland aufzuarbeiten, sondern wir wollen von hier aus ein Signal
       senden: Das, was in Syrien passiert, hat das Potenzial, die Welt zu
       verändern. Syrien kann demokratisch werden, nur braucht es dafür den
       internationalen Willen.“
       
       Neben technischen Problemen internationalen Rechts zeigt der Film auf tief
       berührende Weise vor allem eins: die Kraft und das Durchhaltevermögen der
       Opfer in einem schier ausweglos erscheinenden Kampf um Selbstermächtigung,
       Demokratie und Gerechtigkeit, und die enorme menschliche Größe, die hinter
       einem solchen Kampf steht.
       
       9 Apr 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Annika Glunz
       
       ## TAGS
       
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