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       # taz.de -- Straßenstrich in Berlin: Raus aus der Schmuddelecke
       
       > 60 Prozent der Befragten nördlich der Kurfürstenstraße fordern eine
       > Sperrzone. Der Bezirksbürgermeister will die auch, hält sie politisch
       > aber nicht für durchsetzbar.
       
   IMG Bild: Das Gebiet um die Kurfürstenstraße ist schon lange Rotlichtviertel
       
       Das Bild passt gut zu der Position, die der grüne Bezirksbürgermeister von
       Mitte in der Berliner Politik innehat: schwarzer Anzug, weinrotes Hemd, die
       Hände tief in die Hosentaschen gebohrt, steht Stephan von Dassel ganz
       allein vor dem Publikum. Auf der riesigen Bühne wirkt der nicht sonderliche
       große Mann wie verloren. Ihm seien die Hände gebunden, sagt von Dassel mit
       Blick auf das Ergebnis der von ihm gestarteten Bürgerumfrage. Trotzdem:
       „Aus meiner Sicht kann es nur besser werden.“
       
       Sex auf offener Straße, Fäkalien und Präservative in Hauseingängen, auf
       Spielplätzen und Schulhöfen: Die Liste der Beschwerden von Anwohnern aus
       dem von Prostitution betroffenen Kiez rund um die Kurfürstenstraße ist
       lang. Der Bauboom im Kiez hat die Probleme noch verschlimmert: Es gibt kaum
       noch Brachen, wohin sich Sexarbeiterinnen mit Freiern zurückziehen können.
       Aber auch das gehört zur Wahrheit: Über kaum ein Thema wird in Berlin so
       heftig gestritten wie über den Umgang mit Straßenprostitution. Tolerieren
       oder verbieten – das sind die Pole.
       
       Mit der Forderung, ein Sperrgebiet einzurichten, hatte sich der
       Bürgermeister von Mitte im Sommer 2017 weit vor gewagt. Weder in der
       eigenen Partei noch in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) oder im
       gleichfalls von Prostitution betroffenen Nachbarbezirk Tempelhof-Schöneberg
       ist so ein Vorschlag mehrheitsfähig. Und schon gar nicht beim
       rot-rot-grünen Senat, der die Sperrzone beschließen müsste.
       
       Um die Befindlichkeit der Anwohner in dem betroffenen Kiez genauer zu
       ermitteln, hatte von Dassel die Bürgerbefragung in Auftrag gegeben. Das
       Ergebnis stellte er am Montagabend zusammen mit dem Wissenschaftler
       Matthias Döring von der Universität Potsdam im Kulturzentrum Pumpe vor.
       Döring hatte die Antworten ausgewertet. Rund 50 Anwohner und Anwohnerinnen
       waren der Einladung zur Präsentation gefolgt.
       
       Bei der Umfrage waren 7.000 Anwohner angeschrieben worden, 1.100 hatten
       online oder schriftlich geantwortet. Der Rücklauf betrage 17,7 Prozent,
       damit handele es um eine repräsentative Umfrage, sagte von Dassel. Zwölf
       mögliche Störfaktoren seien abgefragt worden. Vier davon hätten sich in den
       Antworten als besonders störend dargestellt, so Döring. Am meisten gestört
       fühlten sich die Leute vom öffentlichen Sexvollzug – 35,3 Prozent hätten da
       ihr Kreuz gemacht. Allerdings gebe es einen fast ähnlich großen Anteil –
       30,2 Prozent –, der sich von der Prostitution überhaupt nicht gestört
       fühle. „Bei keinem anderen Störfaktor gibt es so eine starke
       Polarisierung“, so Döring.
       
       Der zweitgrößte Störfaktor sei Müll (33,7 Prozent), gefolgt von Fäkalien
       (29,2) und Ansprache durch Sexarbeitende (29 Prozent). Danach gefragt, wie
       den Problemen begegnet werden solle, hätten sich rund 60 Prozent der
       Befragten für ein Sperrgebiet ausgesprochen. Etwa 50 Prozent votierten
       dafür, Uhrzeiten festzulegen, zu denen Prostitution auf der Straße verboten
       sei. Am stärksten (59 Prozent) werde die Störung zwischen 22 Uhr und
       Mitternacht empfunden.
       
       Und nun? „Die Botschaft an die Politik ist eindeutig“, konstatierte ein
       Mann im Publikum, das mehrheitlich aus spürbar genervten Anwohnern bestand.
       Von Dassel stand tapfer seinen Mann. Seine Haltung zu einem Sperrgebiet sei
       bekannt, aber restriktive Maßnahmen seien bei den derzeitigen politischen
       Gegebenheiten nicht zu machen. Deshalb suche er nach anderen Lösungen. Die
       BVV habe 100.000 Euro für ein Platzmanagement zur Verfügung gestellt. Davon
       werde er Dixiklos in besonders verschmutzten Ecken aufstellen lassen. Auch
       für eine Vergrößerung der vollzugsfreien Bereiche vor Kitas und Schulen
       werde er sich einsetzen. Und das Ordnungsamt werde stärker präsent sein.
       
       Auch sogenannte Verrichtungsboxen, in die Freier mit dem Auto fahren
       könnten, könne man erproben, sagte der Bürgermeister.
       
       „Es darf keine Denkverbote geben“, sagt von Dassel. Und überhaupt: „Wir
       müssen weniger diskutieren und mehr machen.“ Die Klos würden auch nur
       wieder zu Sexzwecken „missbraucht“, kam es aus dem Publikum. „Verzweifeln
       Sie nicht“, bat der Bürgermeister.
       
       10 Apr 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Plutonia Plarre
       
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