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       # taz.de -- 1968–2018: 50 Jahre danach: § 219a hat viel mit den 68ern zu tun
       
       > Ostern 1968 wurde auf Rudi Dutschke geschossen: Was bedeutet uns die
       > 68er-Bewegung heute noch? Junge Leute aus der Redaktion geben Antwort.
       
   IMG Bild: Mit einem Transparent fordern Demonstrantinnen die Abschaffung des Paragrafen 219a
       
       Wäre ich gerade schwanger, ich würde wahrscheinlich abtreiben. Ob ich es
       wirklich täte, weiß ich natürlich nicht. Aber darum geht es nicht. Es geht
       darum, dass es 2018 ist und ich mich als Frau sowohl für als auch gegen ein
       Kind entscheiden kann.
       
       Das war bekanntermaßen nicht immer so: Abtreibung wurde in
       (West-)Deutschland erst 1974 legal. Es war ein Triumph für alle Frauen und
       ihre sexuelle Selbstbestimmung, die die 68er zum ersten Mal ernsthaft
       politisch eingefordert hatten. Mit ihrem Leben in Kommunen genauso wie mit
       ihren Forderungen auf der Straße.
       
       Heute profitiere ich von dem, was die 68er damals erkämpften. Ich kann mit
       vielen Männern schlafen oder es lassen. Ich kann heiraten oder es lassen.
       Ich kann Kinder bekommen oder es lassen. Als jemand, der 1991 geboren ist,
       musste ich mich an diese Freiheiten noch nicht einmal gewöhnen. Sie waren
       einfach da.
       
       Die Debatte über den Paragrafen 219a, der Werbung für
       Schwangerschaftsabbrüche verbietet, hat mir jüngst wieder gezeigt, wie
       privilegiert diese Einstellung ist – und wie selbstgerecht. In der
       Retrospektive ist es immer so einfach, Gleichberechtigung als etwas
       Normales und Selbstverständliches wahrzunehmen. Dabei ist genau das
       gefährlich: Wer vergisst, dass der Freiheit meist Kämpfe,
       Auseinandersetzungen und Streitereien vorausgingen, setzt sie zu leicht
       aufs Spiel.
       
       Das Jahr 1968 ist für mich deswegen vor allem ein Meilenstein, an dem wir
       uns selbst messen können. In meinem Fall bedeutet das, mich zu fragen: Was
       tue ich eigentlich für meine Freiheit?
       
       Als Bundesgesundheitsminister Jens Spahn in einem Interview sagte, dass
       Frauenrechtler:innen sich eher für Tiere als für menschliches Leben
       einsetzen würden, sagte eine Freundin: „Jetzt reicht es. Wir werden auf die
       Straße gehen müssen“. Am 8. März tat sie es, wie viele tausend andere
       Frauen. In der Hand hielt sie Plakate, auch gegen den Artikel 219a. Zwei
       Wochen später schrieb auf Twitter jemand: „Lebe so, dass Jens Spahn etwas
       dagegen hätte.“
       
       Anfang der Woche zeigte sich Spahn nun immerhin „kompromissbereit“.
       Paragraf 219a ist damit noch längst nicht abgeschafft, der Kampf noch nicht
       gewonnen. Doch immerhin hat er wieder angefangen.
       
       Die Autorin (26) zog nach sechs Jahren Marburg nach Hamburg, studierte
       Friedens- und Konfliktforschung, jetzt lernt sie Journalistik an der
       Henri-Nannen-Schule. 
       
       Der Text ist Teil eines Schwerpunktes zur 68er-Bewegung in der
       taz-Printausgabe zu Ostern 2018. Darin weitere Statements junger AutorInnen
       – und ein Spaziergang mit Manfred Prütz, Berliner Urgestein der linken
       Szene, auf den Spuren der 68er-Bewegung. Am Kiosk oder als e-paper zu
       kaufen!
       
       31 Mar 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Katharina Meyer zu Eppendorf
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt 1968
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