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       # taz.de -- Sex-WM in Zukunftsroman: Vertrauensverlust beim Sportficken
       
       > In Helmut Kraussers Roman steht der Leistungssex vor großen
       > Herausforderungen. Religiöse Gruppen versuchen, die Sportart zu
       > sabotieren.
       
   IMG Bild: Wenn diese Pandas nicht tätowiert sind, dürften sie ja eigentlich beim Leistungssex mitmachen, oder?
       
       Gao Lin ist ein Star im chinesischen Fußball. Mit seinem Klub Guangzhou
       Evergrande hat er siebenmal hintereinander die nationale Meisterschaft
       gewonnen und ist damit in gewisser Weise sogar dem FC Bayern München ein
       Stück weit voraus. Zweimal hat er die asiatische Champions League gewonnen
       und 85-mal für die chinesische Nationalmannschaft gespielt. Und Gao Lin ist
       tätowiert. Das passt nicht in die Sauberkeitsfantasien der herrschenden
       Kommunistischen Partei. Die hat für alle chinesischen Fußballer ein
       Tattooverbot verordnet. Gao Lin läuft deshalb nun mit einer hautfarbenen
       Armbinde auf.
       
       Auch Marita ist tätowiert. Auch sie ist Leistungssportlerin. Und auch in
       ihrem Fall bestehen die Funktionäre auf einer Entfernung beziehungsweise
       Verdeckung des Tattoos. Auf ihrem Körper prangt ein Davidstern. Über Marita
       erzählen sie sich, dass sie gar keine Jüdin ist, dass sie sich in einer
       pubertär-satanistischen Phase ein Pentagram stechen lassen wollte, dass der
       Tätowierer aber bekifft gewesen sei und etwas verwechselt hat.
       
       In ihrem Verband sind jedenfalls schnell Diskussionen aufgekommen, und
       bevor die Frage geklärt war, ob es sich bei dem Davidstern nun um ein
       politisches oder ein religiöses Symbol handelt, wurde ihr aufgetragen, den
       Körperschmuck entfernen zu lassen oder in Wettkämpfen zu überdecken.
       
       Gerade noch rechtzeitig vor der Weltmeisterschaft in Kopenhagen hat die
       Sportlerin dann ein Deckmittel gefunden, welches auch auf stark
       schwitzender Haut nicht zerfließt. Die Sportfunktionäre, die nicht müde
       werden, die Trennung von Sport und Politik zu predigen, waren zu ihrem
       Recht gekommen, und Marita konnte an ihrem ersten wirklich großen Wettkampf
       teilnehmen.
       
       Dass der überhaupt zustande gekommen ist, darf getrost als kleines Wunder
       bezeichnet werden, denn für die Titelkämpfe der International Federation
       für Competition Sex (IFCS) bewerben sich immer weniger Städte. Neue
       Christen, Islamisten, Salafisten sowieso, aber auch Aktivisten von rechts
       außen hatten für Kopenhagen Demonstrationen angekündigt. Auch weil es 2021
       bei einem Turnier in Marseille zu einem schweren Anschlag gekommen war, der
       sieben Menschen das Leben gekostet hat, galt die WM als
       Hochrisikoveranstaltung und konnte nur bei massiver Präsenz von
       Sicherheitskräften stattfinden.
       
       ## Leistungssex in Gefahr
       
       „Geschehnisse während der Weltmeisterschaft“, heißt der Bericht, den Helmut
       Krausser über die Tage dieses Wettbewerbs vorgelegt hat (Berlin Verlag,
       2018). Einer der Spitzenathleten, der dreifache Weltmeister Leon
       Sklydolchowski, erzählt darin seine Sicht auf die Geschehnisse dieser Tage.
       Vom rätselhaften Aufstieg der chinesischen Athleten, die lange Jahre im
       Wettbewerbssex gar keine Rolle gespielt haben, etwa.
       
       Auch davon, wie während der WM ein notorisch korrupter Funktionär tot in
       seinem Hotelzimmer aufgefunden wird, just nachdem er versucht hatte, den
       amtierenden Präsidenten der IFCS aus dem Amt zu drängen. Der gerät
       daraufhin in den Fokus der Ermittler, wird des Mordes beschuldigt und
       verhaftet. Zustände sind das, schlimmer noch als bei der Fifa.
       
       Strippenzieher, die sich mit den Christen arrangieren, sich den Faschisten
       andienen und ohne Sicherheitsgarantien der Islamisten schon lange kein
       Turnier mehr veranstalten könnten, tun Dinge, die Sportfunktionäre eben
       tun. Sie zerstören den Sport, an dem die Spitzenathleten schon lange
       leiden.
       
       Am Ende, nach dem tragischen Tod von Sklydolchowski und seiner
       Teamkameradin Sally Cellar, ist der Verband jedenfalls gezwungen, sich neu
       aufzustellen. Mit Brasilien soll bald das erste lateinamerikanische Land in
       die IFCS aufgenommen werden, was den Austritt Österreichs und der Schweiz
       kompensieren soll. Der Leistungssex steht vor einer ungewissen Zukunft.
       
       12 Apr 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Rüttenauer
       
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