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       # taz.de -- Alternativ leben in Berlin: Bauwagen trotzen der Gentrifizierung
       
       > Trotz des Runs auf Baugrundstücke bleibt die Zahl der Wagenplätze
       > konstant. Da die Gefahr einer Räumung immer besteht, will die Linke neue
       > Plätze schaffen.
       
   IMG Bild: Ganz nah an der (Stadt-)Natur: Leben im Bauwagen
       
       Berlin taz | Angesichts der explodierenden Mieten sind Wagenplätze die wohl
       letzte konsequente Art sich dem Wahnsinn des Wohnungsmarktes zu entziehen.
       In alten Bauwägen und ausgebauten Bullis lebt es sich dabei mitunter
       durchaus heimeliger als in so mancher Mietkaserne; und gemeinschaftlicher
       als in großen Häuserblocks sowieso.
       
       Vor allem eine Szene aus Anarchisten, Linken und Hippies hat diese
       Lebensform für sich kultiviert. Dies – und die nicht kommerzielle Nutzung
       von wertvollem Grund und Boden, oftmals auf Grundstücken, die gar nicht zum
       Wohnen vorgesehen sind – erklären auch, wieso viele Plätze mit der
       dauerhaften Gefahr leben, geräumt zu werden.
       
       Wie aus einer kleinen, bisher unveröffentlichen Anfrage der
       Linken-Abgeordneten Katalin Gennburg, stadtentwicklungspolitische Expertin
       ihrer Fraktion, hervorgeht, sind dem Senat derzeit 17 Wagenburgsiedlungen
       bekannt: Sechs davon in Friedrichshain-Kreuzberg, also in bester City-Lage.
       Drei Plätze befinden sich in Pankow, je zwei in Neukölln, Mitte,
       Lichtenberg und Treptow-Köpenick. Zu den bekanntesten gehören die Plätze am
       Mariannenplatz (Kreuzdorf) und neben dem linksalternativen Hausprojekt
       Köpi.
       
       Trotz des Runs auf Grundstücke durch Investoren und inzwischen auch der
       Stadt hat sich die Anzahl in der jüngeren Vergangenheit nicht weiter
       verringert. In Pankow organisiert der Bezirk derzeit sogar die Erweiterung
       eines bestehenden Wagendorfes in der Pankgrafenstraße – das Grundstück
       hatte der Liegenschaftsfonds dem Bezirk überlassen.
       
       In Lichtenberg erhielten die Wagendörfler vom KosmoLaut e.V. im Januar
       einen Ersatzplatz nachdem sie ihre angestammte Fläche wegen Baumaßnahmen
       räumen mussten. Einige Monate zuvor hatte die Bezirksverordnetenversammlung
       beschlossen, alternative Wohnformen, darunter auch Wagenburgen, zu fördern.
       
       ## Bekenntnis der Koalition
       
       Auch die rot-rot-grüne Landesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag auf
       Initiative der Linken einen Passus aufgenommen, in dem es heißt: „Die
       Koalition sucht nach Lösungen, um für Menschen auf sogenannten Wagenplätzen
       Sicherheit für ihre Lebensform zu schaffen und den derzeitigen Zustand der
       Duldung zu beseitigen.“
       
       Die Antwort auf die Anfrage, die der taz exklusiv vorliegt, klingt dagegen
       deutlich nüchterner: „Der Senat weiß um die Existenz der Wagenplätze. Die
       Entscheidung über eine Duldung liegt jedoch bei dem jeweiligen zuständigen
       Bezirk.“ Maßnahmen zum Schutz und Erhalt der Plätze und Wagenplatzkultur
       trifft der Senat demnach „keine“.
       
       Für Gennburg sind das enttäuschende Antworten. Nichts zu tun, sei „genau
       der falsche Weg“, so die Abgeordnete. Sie fordert: „Wir müssen an dem Ziel
       festhalten, mehr Plätze zu schaffen und dafür sorgen, dass bestehende
       Plätze eine Perspektive haben.“
       
       ## Lieber kein Gesetz
       
       Die Idee eines Wagenplatzgesetzes wird nach Kritik aus der Szene derweil
       nicht weiter verfolgt. Dies würde Auflagen etwa zur Wasserversorgung und
       dem Brandschutz mit sich bringen, die für die Wagenbewohner letztlich mehr
       Probleme bereiten. Wagenplätze sind stets, so sagt es auch Gennburg, in
       einer rechtlichen Grauzone. Härter formuliert es der Senat: „Es gibt keine
       und „kann keine Duldungskriterien geben.“
       
       Dennoch existieren viele Plätze bereits seit Jahrzehnten. Dabei kann die
       potentielle Bedrohung schnell konkret werden, wie zuletzt beim Platz in der
       Kreuzberger Ratiborstraße. Auf dem Areal, das auch den Biergarten Jockel
       und Handwerksbetriebe beheimatet, soll eine Modulare Unterkunft für
       Flüchtlinge (MUF) entstehen.
       
       Obwohl die Nutzer gemeinsam an einer Lösung arbeiten, die die bestehende
       Nutzung mit den Flüchtlingen vereint, soll es in Senatskreisen den Wunsch
       geben, dass die Wagenburg weichen muss. „Wir sind untereinander solidarisch
       und lassen uns nicht auseinanderreißen oder ausspielen“, sagt Moritz Metz,
       der Sprecher der Initiative.
       
       Der „Schwarze Kanal“ in der Treptower Kiefholzstraße hatte im vergangenen
       Jahr schon einen Teil seiner Fläche für eine MUF abgegeben. Die Bewohner
       teilen sich das Grundstück nun mit den Geflüchteten. Platz für neue
       Bewohner bleibt da nicht mehr.
       
       Derweil gäbe es auch in der wachsenden Stadt noch Potentiale für den
       steigenden Platzbedarf der Wagenplatz-Szene. Wo jetzt neue Stadtquartiere
       entwickelt werden sollen, wie etwa im Blankenburger Süden, werden mitunter
       noch 20 Jahre vergehen, bis tatsächlich gebaut wird. Für Gennburg eine gute
       Möglichkeit, Wagenburglern einen temporären Raum zu geben. Auch in der
       Europacity am Hauptbahnhof gäbe es noch unbebaute landeseigene Flächen.
       „Ein Wagenplatz da wäre ein angemessener Gegenpart zu den
       Prunkhochhäusern“, so Gennburg.
       
       13 Apr 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Erik Peter
       
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