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       # taz.de -- Symbolpolitikà la française
       
       > Die französischen Regierungen stellen immer wieder neue Maßnahmen gegen
       > die sogenannte islamistische Indoktrinierung vor. Doch deren Geschichte
       > ist eine des Scheiterns: Bei vielen Projekten versickerte das Geld,
       > andere erreichten nie ihre Klientel
       
       Von Adèle Cailleteau
       
       Vor einem Monat stellte der französische Premierminister Edouard Philippe
       einen aus 60 Maßnahmen bestehenden Plan zur Prävention gegen islamistische
       Radikalisierung vor. Seit dem Anschlag gegen die Redaktion der
       Satirezeitung Charlie Hebdo im Januar 2015 ist dies schon der dritte Anlauf
       im Kampf gegen den sogenannten islamistischen Terror. 22 Maßnahmen waren es
       im Jahr 2015 und 80 im Jahr 2016. Die Bilanz der „Deradikalisierung“ à la
       française ist trotzdem eine des Scheiterns.
       
       Ein Beispiel ist das „Zentrum für Deradikalisierung“ von Pontourny. Es
       befand sich auf dem Land, 300 Kilometer südöstlich von Paris, und wurde im
       September 2016 eröffnet. Weniger als ein Jahr später musste es schließen,
       nachdem drei Monate kein Gast da war – wohl aber Mitarbeiter, die bezahlt
       werden mussten.
       
       Das Zentrum war für Gefängnisinsassen auf der Schwelle zum offenen Vollzug
       konzipiert, deren Verhalten befürchten ließ, dass sie die dschihadistische
       Ideologie in Taten umsetzen könnten. Die Teilnahme war allerdings
       freiwillig, was eine große Motivation voraussetzte. Wegen des Standorts in
       der Provinz mussten die Teilnehmer zudem bereit sein, ihr Lebensumfeld zu
       verlassen. Das erklärt, warum das Zentrum nie mehr als neun Gäste auf
       einmal hatte – bei 25 Plätzen – und warum alle das Programm vor dem Ende
       abbrachen.
       
       ## 60.000 Euro unterschlagen
       
       Ein weiteres Scheitern endete vor einem Jahr vor Gericht, als eine
       Symbolfigur der „Deradikalisierung“ in Frankreich, Sonia Imloul, zu vier
       Jahren auf Bewährung für die Unterschlagung von 60.000 Euro öffentlicher
       Gelder verurteilt wurde. Imloul, eine Sozialarbeiterin mit algerischen
       Wurzeln, wurde 2014 schlagartig berühmt, als sie in der Nähe von Paris ein
       „Präventionshaus für Familien“ eröffnete. Das Haus wurde von der Regierung
       gelobt, und der damalige Innenminister Bernard Cazeneuve stattete ihm sogar
       einen Besuch ab. Das Ziel der Einrichtung war die Begleitung von Familien,
       deren Mitglieder sich dem Dschihad angeschlossen hatten. Außerdem sollten
       dort neue Techniken der Desindoktrinierung entwickelt werden.
       
       Für Julien Revial, einen ehemaligen Mitarbeiter von Imloul, war das Haus
       ein Erfüllungsgehilfe der Politik. „Die Institutionen wussten, dass wir
       nicht so viele Familien begleiteten, aber machten uns nie einen Vorwurf
       daraus“, sagte er dem französischen Rundfunkprogramm France Inter. „So
       konnten sie zeigen, dass das System gut aufgestellt war, dass der Staat
       diese Themen anpackte und solide, ernsthafte Projekt unterstützte, die es
       schaffen konnten, das Problem der religiösen Radikalisierung einzudämmen.“
       
       Nach Ansicht der Abgeordneten Esther Benbassa von den Grünen haben viele
       große Organisationen von staatlichen Präventionsgeldern profitiert, ohne
       eine effektive Arbeit zu leisten. Kleinere Organisationen dagegen , die
       teilweise schon Erfahrungen mit Neonazis oder Straftätern hatten, waren in
       der Lage, eine persönliche und darum effektivere Arbeit zu leisten. Die
       Abgeordnete hat sich viel mit dem Thema „Radikalisierung“ beschäftigt und
       befürwortet eine individualisierte Betreuung. „Es geht um Stabilität. Wenn
       ein Typ einen Job findet, eine Wohnung hat und ein normales Leben führt,
       hat man gewonnen. Man kann es schaffen, die Leute wieder in ein stabileres
       Leben zu integrieren“, erklärt Esther Benbassa der taz.
       
       ## Politik der kurzen Zeiträume
       
       Sinnvolle Maßnahmen dauerten aber lange, während die Politik in kurzen
       Zeiträumen denke, so die Grünen-Politikerin. „Man hat zu schnell
       gearbeitet, weil die Bevölkerung, die um ihr Leben fürchtete, auf Antworten
       wartete. Die Politik hat Trostpflaster verabreicht, um zu zeigen, das sie
       macht, was wirklich wichtig ist.“
       
       Mehr als ein Jahr haben Esther Benbassa und ihre Kollegin Catherine
       Troendlé von den Republikanern sich mit dem Thema beschäftigt, um im Sommer
       2017 einen Bericht zur Desindoktrinierung von Dschihadisten zu
       veröffentlichen. Ihre Vorschläge wurden im neuen Plan der Regierung aber
       kaum berücksichtigt: Die Hauptmaßnahmen dort sind eine Sensibilisierung von
       Lehrkräften, Polizeibeamten und Erziehern und die Schaffung von 1.500
       Gefängnisplätzen, um indoktrinierte Menschen zu isolieren.
       
       14 Apr 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Adèle Cailleteau
       
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