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       # taz.de -- Mit Robotern gegen den Pflegenotstand: Kann man Liebe programmieren?
       
       > In der Pflege gibt es zu wenige Fachkräfte. Roboter könnten den Notstand
       > lindern. Was halten SeniorInnen von der Idee?
       
   IMG Bild: Menschliche Nähe und Mitgefühl: Roboter können in der Pflege nicht jede Aufgabe übernehmen
       
       BERLIN taz | Mit einem Roboter zusammenzuleben, das klingt noch immer nach
       Science-Fiction. Auch im Jahr 2018. Aber es ist eben etwas anderes, das
       Smartphone mit ins Bett zu nehmen, als sich von einem humanoid aussehenden
       Metallwesen mit Beinen, Armen und Gesicht aus ebenjenem heben zu lassen.
       Dennoch sind Pflegeroboter die Zukunft – jedenfalls wenn man Menschen aus
       Politik und Wirtschaft fragt. Doch was sagen diejenigen, die vielleicht
       bald von Maschinen gepflegt werden?
       
       „Der Roboter kann Kaffee kochen und Essen machen, meinetwegen. Aber die
       menschliche Zuwendung, die jeder irgendwann braucht, die können
       Pflegeroboter sicherlich nicht ersetzen“, sagt Axel Birsul. Er und vier
       weitere SeniorInnen sitzen um einen langen Tisch im Besprechungsraum des
       Deutschen Senioren-Computer-Clubs e. V. in Berlin-Lichtenberg. Der
       69-Jährige ist der Präsident des Vereins, in dem viele RentnerInnen ihre
       Vor- und Nachmittage verbringen – beim Videoschnitt, bei Flugsimulation
       oder für ein Update ihres PC-Wissens. Heute sind sie hier, um über
       Pflegeroboter zu philosophieren. Denn ihre Generation könnte die erste
       sein, bei der diese Robotik zum Einsatz kommt.
       
       [1][Schon jetzt sind viele PflegerInnen überlastet]. Die Bundesagentur für
       Arbeit hat in einer Analyse von 2017 einen bundesweiten Mangel an
       Fachkräften und Spezialisten in der Altenpflege festgestellt. Obwohl die
       konkrete Zahl der fehlenden Kräfte von Studie zu Studie variiert, sprechen
       viele von einem „Pflegenotstand“. Auch deshalb wird gerade an
       Pflegerobotern geforscht. Die Politik fördert diese Projekte. Die
       Wirtschaft sieht einen wachsenden Markt. Aktuell sind beinahe 3 Millionen
       Menschen in Deutschland pflegebedürftig – und es werden immer mehr. Viele
       sind 65 Jahre und älter.
       
       Was halten die Senioren in Lichtenberg von Pflegerobotern? „Schon der
       Begriff ‚Pflegeroboter‘ – da müsste man was anderes überlegen“, sagt Stefan
       Streicher, 68 Jahre alt, und für Organisatorisches im Computerclub
       zuständig. Vor ihm liegen Bilder von drei Robotern: Robear aus Japan, der
       schwer heben kann, zum Beispiel auch bettlägerige Patienten. Giraff, ein
       fahrbares Kommunikationsgerät, mit dem man ähnlich wie bei Skype über einen
       Bildschirm miteinander reden kann. Und Care-O-bot, eine Haushaltshilfe, die
       ein Glas Wasser bringen, sich aber auch auf eine gestürzte Person zubewegen
       und eine Videoverbindung zu einem Notfallcenter aufbauen kann. „Immerhin
       hat der hier ein Gesicht, nicht unsympathisch“, findet Gabi Bothin, 65
       Jahre alt. Sie war bis vor drei Jahren als Soziologin tätig und zeigt auf
       Robear, der aussieht wie ein Bär. „Es gab ja früher Roboter, die gar kein
       Antlitz hatten.“
       
       ## Es kommt auf die Aufgabe an
       
       „Ich habe zu dem Thema ein gespaltenes Verhältnis“, sagt Hans-Peter
       Specht,; er ist 75 Jahre alt und hat 1986 in der DDR zum ersten Mal vor
       einem PC gesessen. „Meine Mutter ist vor fünf Jahren in einem Pflegeheim in
       Dresden gestorben. Wie eine alte Frau, die inkontinent ist, behandelt
       werden muss, um zumindest einen gewissen Stand der Hygiene beizubehalten,
       das kann ein Roboter gar nicht machen.“
       
       Viele dieser Roboter werden oder wurden bereits in Altenheimen oder anderen
       pflegerischen Einrichtungen erprobt. Die Akzeptanz von Pflegerobotern ist
       bei den SeniorInnen hier in Lichtenberg, aber auch deutschlandweit sehr
       unterschiedlich. Laut einer Umfrage des Bundesforschungsministeriums von
       2015 kann sich in Deutschland jeder vierte die Pflege durch einen Roboter
       vorstellen. Dabei kommt es aber darauf an, was der Roboter tut – wie eine
       Forsa-Studie von 2017 zeigt. Während 68 Prozent der Befragten das Heben und
       Umlagern durch einen Roboter okay finden, liegt die Akzeptanz bei Aufgaben
       wie Essenreichen oder Waschen nur bei 25 Prozent.
       
       „Ich habe mich im Internet ein bisschen umgeguckt“, sagt Hans-Peter Specht.
       „In Japan hatte man eine Maschine erfunden, da wurde der alte Mensch
       reingepackt, Deckel zu. Dann wurde er wie in der Spülmaschine gereinigt.
       Wobei die Leute das dort gut finden, weil der Roboter eben auch den
       Intimbereich reinigt und kein Pfleger.“ Gabi Bothin meint, man könne auch
       gegenüber einem Roboter Schamgefühl empfinden. Mehrere am Tisch
       widersprechen: „Ich habe das bei meiner Mutter festgestellt. Gerade wenn
       ein junger Pfleger eine ältere Frau intim reinigen soll – da gibt es ein
       Schamgefühl. Außerdem wird ein Roboter niemals sagen: Sie haben ja schon
       wieder das Bett versaut. Das sagt aber eine Pflegekraft, wenn sie
       überanstrengt ist“, sagt Specht.
       
       ## Schutz privater Daten muss gewährleistet sein
       
       Eine weiterer Aspekt ist das Thema Datenschutz. Den SeniorInnen im
       Computerclub ist Datenschutz sehr wichtig – sie fragen sich mit Blick auf
       Giraff und den Care-O-bot: Können die Roboter und Maschinen gesundheitliche
       Informationen vor dem Zugriff von Unbefugten schützen? Wie gehen die hinter
       den Maschinen stehenden Unternehmen mit den Daten um? „Selbst wenn ich mich
       von einem Computer waschen lasse“, erklärt Hans-Peter Specht, „ich bin mir
       nicht sicher, dass meine Intimbilder nicht übermorgen im Internet sind. Und
       ich kann nichts dagegen tun! Also da ist auch noch eine technische und
       gesetzliche Grauzone, die bedacht werden muss.“
       
       Bei der Pflege im Alter gebe man ohnehin viel von seiner Privatsphäre ab,
       sagen einige SeniorInnen am Tisch, ein gewisses Maß an Kontrolle müsse aber
       sein. Axel Birsul ergänzt: „Solange ich selbstbestimmt in meiner Wohnung
       bin, will ich auch Kontrolle über die Technik haben. Dass heißt, ich muss
       wissen, dass sie das, was bei mir im Hause passiert, für sich behalten
       kann.“ Stefan Streicher zeigt auf das Bild mit dem Robear. „Hinzu kommt
       noch eine weitere rechtliche Komponente. Nehmen wir mal das Bild hier, mit
       der jungen Frau und dem Roboter. Der Roboter hat jetzt plötzlich einen
       Kurzschluss, sackt ab und die Frau knallt hin. Wer übernimmt die Haftung?
       Da lauern doch schon lauter Rechtsanwälte.“
       
       Gerade in der häuslichen Pflege können die Roboter aber tatsächlich
       hilfreich sein, finden die fünf. Unterstützt von der Technik sei es
       möglich, länger autonom zu leben. Von anderen Clubmitgliedern wissen sie,
       wie schnell das gehen kann, wie schnell man im Alter körperlich abbauen
       kann und Hilfe braucht. „Ich kann mir vorstellen, dass es Roboter gibt, die
       den Kontaktpersonen des zu Pflegenden helfen“, erklärt Marianne Birsul, die
       Frau von Axel Birsul. „Ich würde mich zum Beispiel weigern, so eine schwere
       Arbeit zu machen, wenn mein Mann ein Pflegefall werden sollte. Wenn ich
       aber jemanden hätte, der mir diese schweren Arbeiten abnimmt, also Heben,
       Hinstellen, in den Stuhl setzen, diese Sachen – das würde ich als eine ganz
       große Hilfe empfinden.“
       
       15 Apr 2018
       
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